„Generation P”, ein Theaterstück nach Viktor Pelewin (Max Bornefeld-Ettmann)


„Generation P“
Theaterstück nach Viktor Pelewin
Mit Vivien Mahler, Daniel Fries und Sebastian Weber
Regie: Friederike Heller
Theater in der Fabrik, Dresden
14. März 2004

Lyrik und Bewußtseinsindustrie
Den Dingen einen Namen geben

Als die Sowjetunion in ihren letzten Zügen liegt und der Nachwuchsliterat Babilen Tatarski (Sebastian Weber) sich des Tags mit Übersetzungen aus den Sprachen der Völker der Sowjetunion abmüht, um des Nachts seinen eigenen lyrischen Dichtungen nachgehen zu können, da war noch alles in Ordnung. Mit Pepsi-Cola in der Hand und im Bann der Verhältnisse gelingt der Blick in die bessere Zukunft. Dialektik pur.

Die Sonnenjahre der Wende durchschwimmt Babilen jenseits des Rausches, der sich seiner Mitmenschen annimmt. Er findet sich als Angestellter in einem Kiosk wieder – eine gepanzerte Schachtel, in die nur gelegentlich eine Hand mit Geld hineingesteckt wird, um mit einem Konsumgut wie Zigaretten oder Wodka in der Faust wieder zu verschwinden. Auf einer Matratze liegend und den Blick fest auf den Fernsehbildschirm gerichtet, versucht er sich bewußt zu machen, was passiert ist – ist an die Stelle des guten Kerns des schlechten Sowjetsystems und -daseins etwa ? Leere getreten?

Die an Depression grenzende Selbstbefragung hat ein schnelles Ende als die ehemalige Kollegin aus dem Konservatorium einen Job als Scriptwriter (Werbekonzeptionist) vermittelt – ohne Babilen vom tschetschenischen Kioskbesitzer freizukaufen. Es liegt nun an Babilen, ob er, im mafiösen Dschungel von Reform, Reaktion und Kriegsgewinnlertum die neue Realität in Form von Fernsehwerbung – erfindet oder erschafft oder abbildet? Jedenfalls ist viel Kitsch aus Sowjetzeit und Konsumwesten dabei. Und wenn die Ideen einmal ausbleiben, dann muß man eben auf eine Reise der besonderen Art gehen – mit Hilfe von inspirierenden Pilzen: Halluzinatorischer Weg hinter einem Schmetterling her in die oberen Stockwerke des Ichs.
Wer den Dingen einen Namen geben kann, bringt es ob naiv oder abgeklärt in die Riege der propagandistischen und finanziellen Elite. Die Degeneration des Helden führt ihn in verschiedenste Partnerschaften und an den Partnern – Vivien Mahler und Daniel Fries in zahlreichen Rollen – kann man die Transformation erleben.

Mit drei Schauspielern die Wandlung von System und individuellem Bewußtsein erfahrbar zu machen, ist eine überzeugende Regieleistung und eine schauspielerische Herausforderung, die hier mit Bravour gemeistert wurde. Auf einige der Charaktere nach Ende der Vorstellung verzichten zu müssen, grenzt an Entzug.

(Max Bornefeld-Ettmann)

Nächste Vorstellungen:
29. und 30.03.04

Lektüreempfehlung:
„Buddhas kleiner Finger“
„Generation P“

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