„Schultze gets the Blues”, ein Film von Michael Schorr (Stefan Horlitz)

Schultze gets the blues
D 2003, 110 min
Regie und Buch: Michael Schorr
Darsteller: Horst Krause, Harald Warmbrunn, Karl-Fred Müller u. a.
Kinostart: 22. April 2004

(Bilder: UIP)
Aussteiger- und Musikfilm ohne Ausstieg und Musik
Schultze gets the blues von Michael Schorr

Stillleben mit Kalibergwerk, Windrad und Hochspannungsmast. Ach was, Stillleben – hier lebt nichts, aber auch gar nichts mehr. Es sieht nur so aus.

Drei Kumpels – Manfred, Jürgen und der vornamenlose Schultze (je länger ich drüber nachdenke: er kann einfach nur Horst heißen), alle vermutlich in den Fünfzigern, sind soeben in den Vorruhestand entlassen worden. Sie leben irgendwo im Anhaltinischen, sind folglich Männer auf verlorenem Posten. Sie vegetieren in einer Welt aus Bierfürzen, stieren Blicken, Ethanol und Monotonie. Man pflegt die Steckenpferdchen. Kleingarten, Skat, Schach – nur Schultze könnte sich, wäre er in den Zwanzigern und lebte er in einer Großstadt, getrost als „Kreativer“ bezeichnen. Im örtlichen Musikverein bedient er das Akkordeon mit einigem Geschick und wird einmal jährlich zum Spielen seiner „traditionellen Schultze-Polka“ auf die Bühne der örtlichen Mehrzweckhalle gebeten. Bis er eines Abends am Radio dreht und unerhörte Klänge vernimmt.

Wer nun eine Entwicklungskomödie vom Format „Fetter Gartenzwerg-Musikverein-Spießer zieht in die Welt hinaus und lernt, wie schön das Leben ist“ erwartet, der sei gewarnt. Die Stationen von Schultzes musikalischer Entwicklung sind nur ein paar Tupfer auf einer sehr breiten, sehr graubraunen Leinwand, auf der alles erstickt wird, was nach Veränderung, Ausbruch und Liebe aussieht. Den „Blues“ entdeckt er eines abends daheim am Volksempfänger. Ein paar kurze Takte Zydeco (die Tanzmusik der Kreolen in Louisiana), und die Polka ist für immer passé. Er spielt also mal ein bisschen was Flotteres, will sich aber von diesen wenigen Takten für den Rest des Films nicht mehr trennen (was bisweilen ein bisschen Sehnsucht nach der Polka aufkommen lässt). Die neue Musik katapultiert ihn in die Position eines örtlichen Avantgardisten. Vielleicht ist mit dem „Blues“ gar nicht mal die Musik gemeint (ist ja sowieso Zydeco), sondern die Tatsache, dass es in Schultzes Schädel, irgendwo ganz tief unter seiner Hirnschwarte zu dämmern beginnt, dass seine Welt ein defektes Uhrwerk ist, das ohne Sinn und Ziel vor sich hintickt, und sich im Bierdunst die Worte „Wat nu?“ materialisieren.

Man möchte ihn so gern haben, den Schultze-Film. Liebevolle Landschaftsaufnahmen, die perfekte Abbildung des Null und Nichtigen und der sagenhafte Hauptdarsteller Horst Krause – kein großes Gequatsche… Doch regelmäßig stellt der Film sich selbst in den Weg. Ärgerlich geraten zum Teil die Randfiguren. Verkrachte Möchtegern-Schauspieler, die mangels Engagement im Stellwerk arbeiten und überdreht aus Dramen deklamieren, möchte ich genauso wenig mehr ertragen müssen wie Figuren vom Kaliber der Lisa. Lisa ist so, wie man sich Spießers Alptraum vorstellt. Lisa ist der fleischgewordene, abgedroschene Carmen-Kitsch, leicht aufgewärmt und mit dem Aufkleber „ungewöhnlich aber nett“ versehen. Natürlich schwarzhaarig, dilettierend in Flamenco, und „eigentlich“ hält sie sich für eine Spanierin und ist als sprühender Freudenbringer für das kleine Städtchen gemeint. Also eine von diesen „Eigentlich“-Personen: „eigentlich bin ich ja Filmemacher“, „eigentlich bin ich ja auch irgendwo Künstler“. Die will man ebenso wenig im Film wie in echt treffen. Wie ihr Pendant, die sympathische Schabracke Frau Lorant, dient sie allerdings nur dazu, den trägen Schultze endgültig aus der tiefen Verankerung zu reißen und ihn nach Übersee zu verschicken. Der Musikverein hat nämlich plötzlich eine Partnerstadt, und die ist drüben!

Wer nun sehen will, wie Schultze sich dort in nächtelangen, versoffenen Sessions zum anhaltinischen Zydeco-Star mausert, wird, wie gesagt, enttäuscht werden. So richtig interessiert sich keiner für Herrn Schultze, der zwar ein netter Kerl, aber bar jeder soft skills ist. Das kann einen ganz schön einsam machen. Seine musikalische Expertise ist in dünnwandigen Hotels nicht gefragt, und deutsche Musik kann der Texaner auf dem „Wurstfest“ im „Spass haus“ selbst viel besser spielen. Schultze geht also lieber, besorgt sich ein Boot (??) und fährt den Mississippi herunter. Wie er das nur plötzlich gemacht hat…

Bei allen unfreiwillig oder gewollt komischen Einlagen ist „Schultze“ ein tieftrauriger Film über Erstarrung, Leerlauf und Einsamkeit. Keine Frage – der Film hat nicht nur seine Längen, sondern ist eine Länge. Eine sehr absichtliche Länge, zähflüssig wie der Ol‘ Man River, auf dem Schultze durch das letzte Drittel des Films dahindümpelt. Sehr, sehr langsam. Immer wenn es anfängt, nach Slapstick oder Dialog auszusehen – und das geschieht nicht mal selten – drückt der Regisseur auf die Bremse, und Gag wie Gespräch verpuffen in jener bräsig-hoffnungslosen Atmosphäre, die wohl auch angestrebt ist. Trist sieht es nahe des Arschs der Welt aus, ob im Anhaltinischen, in Louisiana oder Texas, und die Tristesse kriecht in jede Nervenfaser. Der Film ruht im Wesentlichen auf dem massigen Körper von Horst Krause, und da ist er auch gut aufgehoben. Wie Krause virtuos zwar nicht das Zerbrechen, aber die langsame Erosion von Schultzes Welt nur in seinen Augen spiegelt, ist so hinreißend, dass man zum Taschentuch greifen will. Dass Schultze auf die etwas abgestandene Moral, im Ungewöhnlichen selbst finde sich ein Ethos oder gar freudenspendender Sinn, verzichtet, ist ihm beinahe hoch anzurechnen. Bleibt nur die Frage, ob das auch so gewollt war. Teils vergnüglich, teils unwahrscheinlich traurig, manchmal aber auch arg zäh, ist Schultze eine durchwachsene Angelegenheit. Das, was daran sehenswert ist – vor allem, wie Schultze ganz langsam das Nichts realisiert und so etwas Ähnliches wie Konsequenzen zieht – ist dafür sehr, sehr sehenswert.

Ein Besuch auf der Website ist allerdings dringend anzuraten. Auf www.schultzegetstheblues.de finden sich nämlich die authentischen Kochrezepte aus dem Film. Die Jambalaya ist fantastisch, und auch das Brot mit Tatar („Den Tatar gleichmäßig auf die Brotscheibe verteilen. Salzen und Pfeffern nach Belieben. Die Zwiebel je nach Geschmack klein hacken und auf den Tatar verteilen oder im Ganzen dazu essen.“) ist narrensicher nachzukochen!(Stefan Horlitz)

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