Amerika, Du hast es besser! Ein Streifzug durch die „MoMA in Berlin”

Malereien für Millionen – Deutschland sucht den Superstar und findet das MoMA

Die Freude ist groß unter den Feuilletonisten Deutschlands: endlich darf mal wieder ausgiebig gejammert werden. Idealer Weise lassen sich nämlich derzeit ihre drei Langzeit-Lieblingsthemen – unangefochten auf Platz 1: die Bequemlichkeit des Volkes, dicht gefolgt von 2.: der Niedergang Berlins und 3.: die selbstgefälligen Amerikaner – anlässlich eines einzigen Ereignisses aufkochen; fatalistisch übersteuerte „Quo vadis, Kultur?“-Rufe und grimmige Kommentare haben Hochkonjunktur. Dieses Ereignis ist, im Gegensatz zu den Entrüstungs-Aufhängern der letzten Monate, mal keine Castingband und keine weitere Ostalgie-Show, sondern eine Kunstausstellung namens Das MoMA in Berlin. Meisterwerke aus dem Museum of Modern Art, New York, kurz MoMA.

Über 200 Werke (größtenteils Bilder, aber auch einige Skulpturen) sind von der amerikanischen Ostküste in den Mies-van-der-Rohe-Bau nach Berlin gekommen, sieben Monate bleiben sie dort; man hofft „auf einen Ansturm der Kunstsinnigen in dieser Stadt, in Deutschland, in Europa“ (Peter Raue, Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie). Ein solcher Ansturm auf die moderne Kunst wird auch nötig sein, allein schon um die immensen Ausgaben für Werbung zu rechtfertigen; bisher geht die Rechnung auf, am 13. März konnte der hunderttausendste Besucher begrüßt werden. „Ha, typisch!“, jammern da manche Kunstkritiker und beklagen, dass sich in der MoMA-Ausstellung viele derer herumtreiben, die sonst nie ins Museum gehen oder höchstens mal zu Körperwelten. Die Kunst werde zum Kommerz, heißt es, die großen Namen (Picasso, van Gogh, Magritte, Matisse, Chagall, Rousseau, Dalí, Monet etc. pp. – das MoMA hat sie alle) würden vermarktet, um auch den letzten vielleicht Interessierten anzulocken. Und Fakt ist: ahnungslose Möchtegern-Kunstkenner, die durch Museen eilen und auf gut Glück Sätze wie „Das da sieht mir doch sehr nach einem Picasso aus, und dort hängt, wenn mich nicht alles täuscht, ein Mondrian – fantastisch, diese Linienführung, kombiniert mit der Anzweiflung des Tatsächlichen – direkt neben einem Modigliani!“ sagen, haben in der MoMA-Ausstellung größte Chancen, ausnahmsweise mal richtig zu liegen. Tatsächlich ist in der Nationalgalerie – allein schon das Gebäude ist einen Besuch wert – momentan das Beobachten der Besucher fast genauso interessant wie das Betrachten der Exponate.

Dienstag, 16. März 2004, gegen 11:30 Uhr vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin: eine schier endlose Warteschlange hat sich vor dem Tickethäuschen gebildet, eine weitere am Einlass. Einige Ankommende drehen bei dem Anblick gleich wieder ab, andere haben sich Klapphocker mitgebracht und rücken, Thermoskannen umklammernd, alle paar Minuten ein bisschen vor in der Reihe. Im Gebäude aber verteilen sich die Besucher erstaunlich gut, es herrscht kein Gedränge und man kommt sehr nah an die Ausstellungsstücke heran (was einige Besucher allerdings dazu verleitet, sich den Bildern bis auf 10 Zentimeter zu nähern und in dieser Haltung minutenlang zu verharren, was wiederum andere Gäste zu mürrischem Rempeln veranlasst). Mit Kunst des ausgehenden 19. respektive beginnenden 20. Jahrhunderts wird man empfangen, „Moderne Anfänge“ heißt dieser erste der acht Themengebiete der Ausstellung. Edvard Munch ist hier genauso vertreten wie Wassily Kandinsky, Bilder von Paul Cézanne hängen hier und auch van Goghs berühmte „Sternennacht“: Vor dem Ölgemälde hat sich eine Schulklasse aufgebaut, die Halbwüchsigen hören über Kopfhörer, was die Lehrerin mit euphorischem Gesichtsausdruck in ihr Mikrofon flüstert. „Boah, mein Kopfhörer rauscht voll“, ächzt mittendrin ein Schüler, die anderen kichern los, die Lehrerin bricht entnervt ab und dirigiert die Klasse schnell Richtung Picasso. Dann positionieren sich zwei ältere Damen vor der „Sternennacht“, die eine flüstert der anderen zu: „Du, das kenn ich aus’m Kalender.“ Die Angesprochene nickt wissend: „Ja, naive Malerei nennt man das, glaube ich.“ Die beiden gehen weiter, neue Schüler rücken nach – überhaupt sind sehr viele junge Leute da, viele machen sich Notizen, einige stehen vor Henri Rousseaus „Der Traum“ und malen Details der abgebildeten Dschungelszene in ihre Blöcke. Viele Besucher schwenken Tüten mit Katalogen aus dem Museums-Shop, dem sie offenbar schon vor der Besichtigung der Ausstellung einen Besuch abgestattet haben; eine Frau tippt ihrem Begleiter auf die Schulter und deutet auf den Umschlag des Katalogs, wo „Der Tanz“ von Henri Matisse abgebildet ist. „Das muss man gesehen haben“, sagt sie, und die beiden machen sich auf die Suche.

Matisse und auch Picasso werden besonders gewürdigt – schon als Alfred H. Barr Jr. im Jahr 1929 Direktor des neu gegründeten MoMA wurde, versprach er sich von Ausstellungen mit den Bildern dieser Künstler internationales Ansehen und Begeisterung bei den Besuchern. So zeigt man jetzt in Berlin über zwanzig Werke der beiden, und natürlich könnte man, wären nicht all die anderen Gemälde auch so verlockend, den ganzen Tag damit zubringen, sich in die Betrachtung der Picassos und Matisses zu vertiefen.
Aber wer Kubismus und Surrealismus, Expressionismus und Pop-Art, Minimalismus und all die anderen Stile zumindest streifen möchte, hat keine Zeit zu verlieren. Jedes der Ausstellungsobjekte hat seinen Platz in der weltberühmten Kunstsammlung des MoMA zweifelsohne verdient, und während man noch über die Aussage der pelzigen Teetasse Meret Oppenheimers nachdenkt, wird man schon mit Marcel Duchamps sonderbarem „Fahrrad-Rad“ konfrontiert. Es folgen Pollock, Hopper, Warhol, Lichtenstein und andere, und dass namedropping in der Werbung für die Ausstellung die entscheidende Rolle spielt, erklärt sich von selbst. Gerhard Richters 15-teiliger Bilderzyklus über die Ereignisse des 18. Oktobers 1977 bildet dann den Abschluss, und das hat er nicht verdient. Die erschütternden Bilder von Szenen aus der Geschichte der Baader-Meinhof-Gruppe werden von den meisten Ausstellungsbesuchern kaum mehr beachtet – wenige Meter weiter ist wesentlich mehr Gedränge. Dort befinden sich der Merchandising- und ein Bücher-Shop, und besonders die Kataloge sind sehr begehrt.

Am Katalog wird allerdings von den Feuilletonisten das kritisiert, was sie auch an der Ausstellung bemängeln, nämlich die Übernahme eines „Komplett-und-Sorglos-Pakets“ von den Amerikanern: John Elderfield vom MoMA ist für Konzept und Bildauswahl verantwortlich, die Katalogtexte wurden von MoMA-Leuten verfasst, das die Ausstellung begleitende Kulturprogramm heißt american seasons. Zuviel Amerika, meinen manche, und zu wenig Initiative aus Berlin; man gebe sich mit einer „Art Fertigprodukt“ (Hanno Rauterberg in der ZEIT) zufrieden. Dabei sollte ein Konzept, wenn es denn gut ist, durchaus übernommen werden dürfen; und dass im Katalog keine deutschen Kunsthistoriker zu Wort kommen, ist gut zu verkraften (zumal es ja nicht so ist, als hätte hierzulande noch niemand über Picasso und Konsorten geschrieben).

Unstrittig ist jedoch eines: wer die MoMA-Ausstellung in Berlin sieht, sieht viele große Kunstwerke, aber nur einen Star – nämlich das MoMA selbst. „Was denkt ihr wohl, was ein Bild an der Wand ist? Ein Salonobjekt? Nein, es ist eine Waffe im Kampf!“, hat Picasso einmal gesagt; könnte er jetzt die Nationalgalerie besuchen, würde er das wahrscheinlich zurücknehmen. Das Revolutionäre der einzelnen Exponate geht unter in deren Vielfalt und Berühmtheit; man sieht eher Namen als Bilder, eher Farben als Bedeutungen. Ein Besuch lohnt sich aber für jeden, und sei es nur, um den Kritikern zu beweisen, dass Kunst Kunst bleibt – auch wenn sie sich rentiert.

Das MoMA in Berlin. Meisterwerke aus dem Museum of Modern Art, New York.

vom 20. Februar bis zum 19. September 2004 in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

Kuratoren:
Angela Schneider / John Elderfield
Anke Daemgen / Angela C. Lange

Projektleitung:
Katharina von Chlebowski
André Odier


ausgewählte Bilder:

Vincent van Gogh: Sternennacht, 1889, Öl auf Leinwand; 73,7 x 92,1 cm

Henri Matisse: Der Tanz, 1909, Öl auf Leinwand; 259,7 x 390,1 cm

Marcel Duchamp: Fahrrad-Rad, 1951, dritte Replik nach dem 1913 verlorenen Original Assemblage: Metallfelge (63,8 cm im Durchmesser), auf bemalten Holzschemel montiert; 60,2 cm hoch, Gesamtmaße 128,3 x 63,8 x 42 cm

Roy Lichtenstein: Ertrinkendes Mädchen, 1963, Öl und Kunstharz auf Leinwand; 171,6 x 169,5 cm

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