Viva la Mamma, viva la Opera Buffa! Donizettis launige Oper feiert Premiere (Sebastian Schmideler)

Gaetano Donizetti: „Viva la Mamma!“
Sächsische Staatsoper Dresden, Semperoper
Donnerstag, 25. März 2003

Musikalische Leitung: Massimo Zanetti
Inszenierung: Alfred Kirchner
Bühnenbild: Annette Murschetz
Kostüme: Marie-Elena Amos

Prima Donna: Marina Mescheriakova
Mamm’Agata: Gilles Cachemaille
Luigia: Sabine Brohm
Procolo: Matthias Henneberg
Maestro: Markus Marquardt
Tenore: Woo-Kyung Kim
Musico: Anke Vondung
Poeta: Jochen Kupfer
Impressario; Rolf Tomaszewski
Direttore Scenico: Rainer Büsching

Herren des Staatsopernchores Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden


Profunder Theaterspaß

Gaetano Donizetti war ein Komponist mit großer Nase, sinnlichen Lippen, durchdringenden Augen und keiner besonders hohen Stirn. Die große Nase störte, die sinnlichen Lippen brachten ihn früh ins Grab, mit den durchdringenden Augen schrieb er über 70 Opern – aber die nicht besonders hohe Stirn nahm man ihm übel. Noch vor ein paar Jahrzehnten hieß es darum, dass Donizetti auf den Spielplänen nördlich der Alpen tot sei. Das Gleiche galt für Bellini, seinem Bruder im Geist.

Die Zeiten ändern sich. Unvermutet sind Bellini und Donizetti zu neuem Leben erwacht. In der Wüste des Humorigen bringen sie wieder Farbe ins Spiel. Auch in Sachsen. Leipzig begann schon 2003 mit einen ganzen Bellini-Zyklus. – Und nun gab auch die Sächsische Staatsoper Dresden mit der Premiere von Donizettis „Viva la Mamma!“ am 25. März 2004 einen furiosen Buffo-Auftakt.

Sie tat mit der Wahl dieses Fundus-Knüllers einen wahren Glücksgriff in das Füllhorn der Operngeschichte und hob mit „Viva la Mamma!“ aus dem Raritätenkasten der vergessenen Buffo-Opern einen besonders originellen Schatz. Denn Donizettis Frühwerk von 1790, das hier erstmals in der 2003 bei dem Verdi-Verleger Ricordi erschienenen kritischen Ausgabe aufgeführt wurde, ist ein spritziges Spiel im Spiele, eine Oper über die Oper. Übervoll von Kapriolen, sprühend vor Sottisen aller Art und üppig ausgestattet mit Späßen jeder Couleur ist dieses Spiegelgefecht ebenso reich an verzwickten Verwicklungen wie an witzigen musikalischen Einfällen.

Weil das Komische aber das Schwierigste ist, braucht es für ein solches Projekt einen sehr guten und das heißt vor allem einen quicklebendigen Theatermann. Denn solche Opern dürfen nicht nur gesungen, sie müssen gespielt werden. Es tat der in letzter Zeit für ihre Inszenierungen viel gescholtenen Semperoper gut, dass sie mit Alfred Kirchner diesmal einen Regisseur gewinnen konnte, der sich in jeder Hinsicht als Idealbesetzung erwies. – Denn das ist ein Mann, der sein Handwerk versteht! Er macht aus dem „dramma gioccoso“ mehr als eine bloße Effekt-Parade.

Kirchner leistet in seiner Inszenierung Erstaunliches. Es gelingt ihm ein Balance-Akt auf dem Hochseil der gekonnten Komik: da werden die Sänger zu Schauspielern, mit denen Kirchner ein imposantes Pointen-Feuerwerk abbrennt, das mit Präzision in die Höhe schießt. Mit exakten Gesten, mit einfachen, aber wirkungsvollen Linien, mit bewusster Struktur. Das ist Ergebnis sehr guter Probenarbeit. Denn auf der Bühne knallen die temporeichen Pointen mit der Energie eines professionell explodierenden Sektkorkens. Dabei sitzen sogar die Kostüme (Maria-Elena Amos) gut.

Was geschieht in den anderthalb Stunden, die diese kurze Farsa dauert? Nicht viel und allerhand: Eine mit allen sieben Todsünden behaftete Theatertruppe, die eine neue Oper plant und probt und sich damit selbst das Urei einer Gattung legt, verwickelt sich – mittendrin – in Liebeshändel, gerät übereinander in Zorn, ergreift vor einander die Flucht und verschwindet schließlich ganz im Off… Arie, Duett, Chorszene, Rezitativ – alle denkbaren Formen werden während dessen kühn adaptiert und parodiert und ad absurdum geführt. Dieses Hasardspiel lebt neben seinem musikalischen Witz vor allem aber von der komischen Travestie der „Mamm‘ Agata“ – einem Theatermonster in persona, das alles besser weiß, aber nichts besser kann.

Die skurrilen Charaktere sind in Dresden sämtlich sehr gut besetzt und ergeben im Zusammenspiel ein wahres Kuriositätenkabinett. Herausragend: Gilles Cachemaille als Mamm’Agata – eine kräftige, virtuose Stimme mit Humor und feinem Sinn für das richtige Maß in der Überdimensionalität dieser verrückten Figur. Ebenbürtig: Marina Mescheriakova als Prima Donna – mit schauspielerischem Talent und einer glockenhellen Stimme von großer Transparenz. Im Unisono mit den anderen klar und ausdrucksvoll gesungenen Opern-Typen entsteht so ein ganzer Reigen skurriler Komik.

Die Sächsische Staatskapelle unter Leitung von Massimo Zanetti stellt sich am Premierenabend als ein funkelndes Orchester heraus, das auch das ironisch Leise nicht überhört. Zanetti sorgt für exakt sitzende Ping-Pong-Würfe zwischen Chor, Solisten und Orchester. – Präzisionsarbeit. Schwachpunkt: das Bühnenbild von Annette Murschetz. Die mattscheibenähnliche Guckkastenbühne mit Giraffenhintern im Rücken wirkt etwas langweilig, zum Teil illustrativ, stört aber nicht wirklich – und das ist schließlich auch schon viel wert.

Alles in allem: Das Publikum amüsierte sich prächtig. Und das zu Recht. Denn das wiederentdeckte Werk ist seinen Spaß wert. Es wirkt nicht zuletzt deshalb auf das mediensatte Hörer-Auge so reizvoll, weil das zwar nicht eben subtile Kabinettstück doch immerhin mit durchdachtem Witz aufwartet. Durchdacht ist dieser Witz, weil Musik und Libretto pointiert sowohl menschliche als auch operntypische Schwächen vor Augen führen. Gerade diese – allerdings auch grobe – Ironie ist es, wodurch sich die Farsa himmelweit von den Eintagsfliegen und Plattituden der Comedy-Industrie abhebt. Und darin liegt wohl auch der Grund, weshalb der Opera buffa wieder gute Zeiten ins Haus stehen könnten. Fest steht: Mancher Zuschauer sehnt sich nach geistvollerer Unterhaltung. Zugegeben: Was ein Mann wie Berlioz nur mit Naserümpfen ignorierte, wirkt heute schon gekonnt. Allerdings: Wenn den Leuten auch nicht mehr über alle Anspielungen ein Licht aufgehen sollte, so lachen sie doch befreiter. Und das ist ein kostbares Gut.

Das Schlussbild der Oper ist dabei aktueller denn je. Die Sänger fliehen von der Bühne und verabschieden sich beschwingt mit den Worten: „Dann wird man sagen in der Stadt: die Truppe ist nicht mehr da!“ – Die Oper ist tot? Es lebe die Opera buffa! In Dresden wurde dazu ein grandioser Anfang gemacht.

(Sebastian Schmideler)

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