Heimspiel bei der Filmpremiere von „Mein Name ist Bach” (Babette Dieterich)

Mein Name ist Bach
Deutschland / Schweiz, 2003, 99 min
Regie: Dominique de Rivaz
Drehbuch: Dominique de Rivaz, Jean-Luc Bourgeois und Leo Raat nach einer Idee von Jean-Luc Bourgeois
Kostüme: Britta Krähe, Friederike von Wedel-Parlow und Regina Tiedeken unter der Supervision von Vivienne Westwood

Darsteller:
Johann Sebastian Bach: Vadim Glowna
Friedrich II. von Preußen: Jürgen Vogel
Friedemann Bach: Anatole Taubman
Emanuel Bach: Paul Herwig
Prinzessin Amalie: Karoline Herfurth
Johanna Bach: Antje Westermann
Sekretär Goltz: Gilles Tschudi
Professor Quantz: Philippe Vuilleumier
Lakai Stumm: Bernard Li?gme
Zollbeamter: Detlev Buck

Passage Kinos Leipzig
Premierenabend am 8. April 2004

Bilder:
Pegasos Film. Oben: Jürgen Vogel (als Friedrich II), Vadim Glowna (Johann Sebastian Bach). Unten: Anatole Taubman (als Friedemann Bach), Karoline Herfurth (als Prinzessin Amalie)
Wer ist hier das musikalische Opfer?

Der Stoff des Filmes ist historisch verbürgt: Im Jahre 1747 besuchte Johann Sebastian Bach seinen Sohn Carl Philipp Emanuel, Cembalist und Musikintendant am Hofe Friedrichs II., in Potsdam. Es kam zur Begegnung der beiden Größen aus Politik und Musik. Da gab es diese kleine, hintersinnige Melodie, die der König Bach vorspielte mit der Bitte, darüber eine Fuge zu drei, nein, „der Greis verdient es, dass man den Einsatz verdopple“, über sechs Stimmen zu improvisieren. Daraus entstand das berühmte „Musikalische Opfer“, das der Komponist dem jungen Monarchen widmete. Doch die Musikwissenschaftler sind sich mittlerweile darüber einig, dass diese kleine Melodie zu subtil ist, als dass sie der durchaus musikalisch gebildete König hätte erfinden können. Egal, dafür findet der Film eine eigenwillige Lösung: Er hat sie dem Klang sich lösender Schröpfköpfe, die ihn von einem Fieberleiden kurieren sollten, abgelauscht.

Das sind die schönen, intimen Momente des Filmes, der nicht nur den Charakteren und ihren Verhaltensweisen nachspürt, sondern auch das Phänomen der kreativen Eingebung immer wieder thematisiert. Beim König sind es die Schröpfköpfe, bei Bach die klirrenden Einmachgläser seiner Schwiegertochter. Und die schwebenden, eingelegten Mirabellen werden in Großaufnahme zu mystischen Gedankenfetzen. Diese Großaufnahmen von Gegenständen und Alltagshandlungen, wie Tischdecken und Instrumente säubern, durchziehen den Film mit ihrer Bildersprache und geben ihm einen träumerischen Rhythmus. Dafür treten die Dialoge etwas zu sehr in den Hintergrund, die Konflikte der Hauptpersonen wirken manchmal auf wenige, exemplarische Wortwechsel reduziert und überzeugen nicht immer.

Da ist der Konflikt zwischen Vater und den Söhnen in der Familie Bach: Johann Sebastian wird sich im Laufe seines Potsdamaufenthaltes über seine eigene Dominanz bewusst und sieht, welch schweres Erbe seine rivalisierenden Söhne antreten mussten. Friedemann, der Erstgeborene, der Vorgezogene, leidet unter seiner Genierolle, obwohl er seinem Vater doch nie das Wasser reichen kann. Seine Wut lässt er an seinem jüngeren Bruder raus, dem braven Familienvater und Monarchenkriecher Carl Philipp Emanuel – ausgerechnet am Tag der Taufe seines ersten Sohnes, dem Anlass, warum die Bachs in Potsdam zusammenflossen. Der Meinungsaustausch über polierte Pfannen in der Küche und braven Eheleutesex wirkt ein wenig zu simpel gestrickt.

Anders gestaltet sich die Darstellung des Vater-Sohn-Konfliktes bei Friedrich II, ist sein alter Herr doch bereits tot. Durch Sequenzen der Erinnerung und innere Monologe kann der in Geschichte weniger bewanderte Zuschauer rekonstruieren, dass Friedrich II. einen Geliebten hatte, Leutnant von Katte, den Friedrich I. vor den Augen des Sohnes töten ließ. Am glaubwürdigsten wird die Rekonstruktion dieser in Bildern nicht gezeigten Vorgeschichte, als Friedrich II. Bach von seinem Vater erzählt, der ihm in die Suppe spuckte und ihn aufforderte, sie auszulöffeln. Dass der König eine Menge an unbewältigter Vergangenheit und Sexualität auszulöffeln hat, wird in bizarren Spielen mit seinem Sekretär klar. Sie tauschen die Rollen, Friedrich II. wird Katte, und er durchlebt noch mal das letzte gemeinsame Zusammensein – eine überzeugende, spannungsgeladene Szene. Überflüssig hingegen erscheint die kurze Sequenz, in der der König sich in Frauenkleidern rasend gebärdet. Sie fügt dem Bisherigen nichts Neues (außer vielleicht schöne Bilder) hinzu. Ja, wir wissen jetzt, wie es um den König bestellt ist.

Natürlich sieht der König zunächst im alten Bach seinen Vater, ein Grund mehr, dem alten Herrn Paroli zu bieten. Und der Komponist erkennt im Monarchen den verlorenen Sohn. Der emotionale Kampf der beiden Egos trägt den ganzen Film und ist berührend am Ende, wenn eine Annäherung stattfindet. Das reicht dann vom gemeinsamen Ritt auf einem Dromedar bis zur geheimen Jam-Session. In solchen ungewöhnlichen Bildern ist der Film stark und lässt die manchmal zu vereinfachten Dialoge vergessen. Doch letzten Endes sind alle großen Künstler austauschbar. Als Bach Potsdam verlässt, begegnet ihm am Zoll Voltaire. Voil?, der nächste große Geist, mit dem der kindische König seine Kräfte messen kann.(Babette Dieterich)

Auszeichnungen:
Schweizer Filmpreis 2004 – Bester Spielfilm, Bester Nebendarsteller (Gilles Tschudi)

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