„Flight”: Jonathan Doves Oper in deutscher Erstaufführung (Steffen Kühn)

„Flight“
Oper von Jonathan Dove
Text von April de Angelis – Deutsch von Ralf Nürnberger
Deutsche Erstaufführung
Oper Leipzig
10. April 2004

Musikalische Leitung: John Axelrod
Inszenierung: Ralf Nürnberger
Bühne: Thomas Gruber
Kostüme: Claudia Rühle
Lichtdesign: Michael Röger, Ralf Nürnberger
Gewandhausorchester

Ein Flüchtling: David Cordier
Controllerin: Julia Borchert
Bill: Torsten Süring
Tina: Marika Schönberg
Eine ältere Frau: Therese Renick
Stewardess: Anne-Marie Seager
Steward: Herman Wallén
Minskman: Jürgen Kurth
Minskwoman: Hendrikje Wangemann
Einwanderungsoffizier: James Moellenhoff


„All you need is Unterhaltung

Die wahre Geschichte eines Flüchtlings, der seit 1988 auf dem Flughafen Charles de Gaulle lebt, ohne Papiere, gefangen im Netz europäischer Paragrafen, liefert die Vorlage für den Flüchtling in „Flight“. Ein Mensch ohne Ort, nicht von dieser Welt, gesungen vom Countertenor David Cordier. Tina und Bill, ein in aktuellen Psycho- und Sexratgebern verlorenes Pärchen, zudem eine alte frustrierte Frau, die sich nur aus der Sehnsucht an ihren 30 Jahre jüngeren Liebhaber im Leben hält. Desweiteren zwei blindwütig kopulierende Flugbegleiter und ein Paar auf der Reise nach Minsk: sie hochschwanger und nicht bereit auf das Abenteuer Russland, er berauscht vom beruflichen Aufstieg des neuen Postens in Minsk. Alltägliche Geschichten und Charaktere – warum sollte man daraus keine Oper machen?

Jonathan Dove hat sich offensichtlich keine großen Fragen gestellt. Mit angelsächsischer Gelassenheit bemüht er sich, ohne musikwissenschaftlichen Überbau das Publikum zu unterhalten.

Zum Set:
Flughafen Wartehalle: Der Flüchtling versucht Kontakt aufzubauen, sucht Hilfe aus seiner ausweglosen Situation. Die Controllerin hält Distanz. Tina und Bill in andauernden Diskussionen über ihr Zusammenleben lassen sich nur kurz unterbrechen. Sie hoffen auf einen Neuanfang durch die Flugreise. Die alte Frau sehnt ihrem jungen Liebhaber entgegen, ist sich aber über dessen Existenz nicht sicher. Stewardess und Steward ständig in Bewegung und auf der Suche nach geschützten Plätzen für Quickies. So ist diese seit Jahren dominierende Lust am Zeigen von Fleisch und allerlei Verrenkungen nun auch in der Oper angekommen. Minskman fliegt schließlich allein ab, seine Frau mag das Abenteuer nicht wagen.

Zum Plot:
Ralf Nürnberger folgt der unterhaltenden Intention des Komponisten. Die Sänger bewegen sich, spielen, tanzen. Schrille Kostüme, ein rosaroter Plüschpulli der alten Frau oder die einer Girlgroup entstammende Tina. Die Bühne zusammengesetzt aus Fragmenten eines Flughafens ist unbeweglich, bis auf den als Behausung des Flüchtlings dienenden Karton, der auch mal als Sichtschutz für die sich gerade mal wieder verrenkenden Flugbegleiter missbraucht wird.

Durch die Übersetzung geht leider die Qualität des Originaltextes von de Angelis teilweise verloren. Im Original auf der naiven Ebene von Kinderreimen gehalten, wirken Verse wie „?phantastisch, Höschen klein und elastisch“ in der Übertragung zu sperrig und eben nur wie eine Übersetzung. Nürnberger muss sich dessen bewusst gewesen sein und hat einige Stellen im Original belassen: „?we always want to be on holiday?“.

Zur Musik:
Jonathan Dove bedient sich des klassischen Repertoires. Ausgangspunkt der Komposition sind die Stimmen, oft nur durch zurückhaltende Flächen aus Streichern und leichtem Blech unterstützt. Ein dichtes Streicherthema, beschleunigt durch Xylophone kehrt regelmäßig wieder und hält das Stück zusammen. Wie der Inszenierung gelingen John Axelrod mit dem Gewandhausorchester vor allem ironisch überhöhte Szenen. Die Musik illustriert dann sehr farbig, etwa die Niederkunft von Minskwoman und den Kommentar zum Säugling: „?runzlig, man muss es einfach lieben?“

Stellt man sich anfangs vielleicht noch solch notorisch deutsche Fragen wie „Ist das nicht zu banal?“, „Was hat das mit moderner Oper zu tun?“ oder „Sind solche Storys nicht schon zu oft benutzt worden“, setzt sich recht bald und sehr angenehm das Gefühl durch, „ernsthaft unterhalten zu werden“. Vielleicht ist das auch ein kleines Aufatmen, dass „zeitgenössisch“ nicht zugleich schwierig sein muss. Das Publikum war offensichtlich auch dieser Meinung bis auf wenige, welche die Pause zum vorzeitigen Abgang nutzten. Wie beispielsweise ein älteres Paar, das Minskwomans Worte „Sabbertuch, Brustwarzenpflegecreme ? Wo führt das alles hin?“ aufgriff und mit einem empörten „Wo führt das alles hin ?“ das Haus verließ.

(Steffen Kühn)

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