Monty Python meets The Hilliard Ensemble

Das niederländische Ensemble „Intermezzo” brilliert auf dem 5. a cappella-Festival

Dass in den flachen Gestaden unseres geheimnisvollen Nachbarlandes bisweilen bizarre musikalische Pflänzchen gedeihen, vermag immer wieder zu überraschen. Man denke nur an die legendären Nits mit ihren Liedern von Tintenmännchen, den geheimnisvollen Vorgängen in den holländischen Bergen und drahtlosen Ventilen im Telefonsee (der ganz aus Schuhcreme besteht). Auch das Utrechter Ensemble Intermezzo verfügt über diese atemberaubende Mischung aus Exzentrik und dem Sinn fürs Schöne. Die zwei größten Stärken ihres Programms sind ihre Professionalität und mehr noch ihre Unberechenbarkeit. Was sich wie ein zwar wohlklingender, aber etwas müder A-cappella-Abend anlässt, verwandelt sich unvermittelt in eine vokale Freakshow. Eine Handvoll federleichter Pop-Nummern, von John Martyns „Head and Heart“ zu einer überzeugenden Version von Peter Gabriels „Solsbury Hill“ sind als Beruhigungspralinchen eingestreut. Zwei kuschlige Lieder, dann geht es richtig los.

Schade, dass die deutsche Schriftsprache keine Mittel zur Verfügung stellt, den wirklich wunderbar musikalischen niederländischen Einschlag ihres ansonsten perfekten Deutschs zu visualisieren. Aber man weiß ja, wie das klingt. „Dat nächse Liet ischon ganz alt. Wir haben es gefunden, auf alte Pergamenten. Die Musik is von Antonio Caldara. Der Text is von Herman van Veen. Der is auch schon ganz alt“. Und es folgt van Veens legendäres „Harlekijnlied“. Zu einem bitterernsten barocken Presto von Caldara erschallen des greisen Meisters Worte: „Flubblregabba stobblegabba flibblrigabba stikkiedikkie hops taps nee reldeldee, kestikkiedikkie floepstikkeflakstikkeflee flangflang flikflakflikflak…“ In Höchstgeschwindigkeit, ohne Fehler und mit tränenziehender Hops-Taps-Choreographie.

Spätestens hier gerate ich erstmals in ernsthafte Luftnot. Intermezzo ist lustig, ohne „auf lustig“ zu machen. Sie haben die sprichwörtlichen „funny bones“, brauchen keinen Sarkasmus zur Schau zu stellen. Sie spielen mit Assoziationen und Klischees, die sie virtuos zu kunstvoller Parodie umbauen. Jeder satirische Hieb ist zugleich eine Hommage von berückender Professionalität, wie etwa das Glanzstück: eine Antwort auf die bulgarischen Frauenchorinflation. In nicht einmal drei Minuten fassen sie „Le myst?re des voix bulgares“ (an anderer Stelle im Festival höchst ernsthaft gecovert) bündig zusammen, baden selig in Sekundintervall, Kieksen, aberwitzigen Rhythmen und saftigen Harmonien. Und das mit bierernsten Gesichtern in schönstem Pseudo-Slawisch. Jedoch: kein Spaß ohne echtes Können. Richtiges Slawisch (und zwar Altkirchen-) haben sie auch drauf, wie eine todtraurige russische Vater-unser-Vertonung beweist. Iek de Vos verwandelt sich kurz darauf in die Essenz all jener französischen Chansonsänger (minutenlanges tiefe Einführungsgerede, minimalistische Einhand-Choreographie), bevor er sich auf hinreißende Art und Weise an Edith Piafs „Padam“ macht.

Die Form des Madrigals scheint ihnen besonders zu liegen und der Textvorlage, nämlich das unsägliche Kunden-Zufriedenheits-Verständnis-Gestammel der Deutschen Bahn, lässt sich wahrhaft eine gewisse Musikalität abringen. Hätte Clément Janequin, Maître du chanson, nicht im mittelalterlichen Paris gelebt, sondern wäre in den Schwulensaunen der Neuzeit verkehrt – das Ergebnis hätte vermutlich nicht anders geklungen als dieses wahrhaft scharfe Stöhnmadrigal mit liebevoll auskomponierter Orgasmusverzögerung.

Weiter in der tiefen Lage: alles was man schon immer über den Orient zu wissen glaubte. Ein Flug von Jakutien nach Indien, mit ausführlicher Pause in der Mongolei. Und wenn Ronald Becker, äußerlich eine Kreuzung aus George Clooney und dem mittleren Robert Redford, dann zu einer herzergreifenden Version von Paul Simons „Still crazy after all these years“ ansetzt, traut man den Ohren nicht und wartet auf den nächsten Schlag: bald darauf ertönt „eine von die wichtichse Hymnen von die Neandertaler.“

Die Speerspitze der A-cappella-Avantgarde kräuselt die Lippen, als Becker ein Comedian-Harmonists-Stück ankündigt. Und dann auch noch die „Liebe der Matrosen“, bitte nicht… Doch aufgemerkt – es erklingt die „Urfassung“! Drei der Herren stellen sich Harmonists-artig nebeneinander auf. Einer zieht ein Megatrötophon hervor und verwandelt sich in ein Grammophon, um drei Minuten nichts als Kratzgeräusche alter Schellack-Platten von sich zu geben. Die Nadel fällt auf die Scheibe, kkrrrzfffzzzkkrzffz; das übrige Triumvirat verschließt mit sicherem Griff Nasen und Münder und krächzt dreistimmig genauso perfekt wie die Harmonists zu fünft. Schließt man die Augen, so ist die Illusion perfekt. Öffnet man sie, muss man sich schütteln vor Lachen. Da hängt die Nadel in der Rille („…Matroooosen……Matroooosen……Matroooosen… …Matroooosen…“), und sie verlassen einfach die Bühne.

Die mit reichlich Schmelz und Schmalz dargebotenen Pop-Nummern federn die exzentrischen Späße sanft ab. Vielleicht tun sie hier – und das sei die einzige Kritik – sogar zuviel des Guten. Doch: im richtigen Moment schlagen sie dann wieder über die Stränge. Arrangements und Ausführung sitzen mit fast schmerzhafter Perfektion. Jeder der vier beherrscht ein gewaltiges Spektrum an Vokalfärbungen, allen voran Merijn Dijkstra, dem vom kellertiefen Schamanenbass bis zum strahlenden Falsett alles mit scheinbarer Leichtigkeit gelingt. Dass sie bei den King’s Singers und dem Hilliard Ensemble in die Schule gegangen sind und ihren Lehrern mit ihrer vollendeten Virtuosität keine Schande bereiten, ist deutlich hörbar. Auf der anderen Seite stehen allerdings Monty Python und Jacques Tati und sind vermutlich genauso stolz.

Nachtrag: Rezensent befindet nicht ohne einen gewissen Stolz, sich im Haupttext jegliche Anspielung auf Käse, Tulpen und Wohnwagen mühelos verkniffen zu haben.

a cappella. 5. Festival für Vokalmusik

Intermezzo (NL):
Ronald Becker
Iek de Vos
Etienne Borgers
Merijn Dijkstra

8.5.2004, Alte Handelsbörse am Naschmarkt


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