Singet der Stadt ein altes Lied

Eröffnungskonzert des Leipziger Bachfestes 2004 unter Leitung von Georg Christoph Biller

Die Massen blockieren den Thomaskirchhof. Eröffnungskonzert, Bachfest 2004. Helmuth Rilling wird geehrt. Ansprache Tiefensee, Laudatio, Dankesworte von Rilling. Hier verquicken sich Vater Bach, kraftvolles Bürgertum und bis dato ungetrübter „Olümmbia-Draum“ zu warm glühendem Lokalpatriotismus. Bachfest ist ja auch irgendwie Olympia. Oder Messe. Alle sind sie da, die da sein sollen, die Stadt ist voll und die Prominenz gibt sich die Stadttorschlüssel in die Hand. Und große Ereignisse verlangen nach entsprechender Musik. Schon bedauerlich, wäre interessant gewesen, wie denn der offizielle Leipziger Olympia-Song geworden wäre. Und wer verantwortlich gewesen wäre… Eine Olympia-Motette „Lob der Körperübung“ von Siegfried Thiele?

Musik gibt es zur Eröffnung des Bachfestes auch noch. Ganz im Zeichen des Mottos „Bach und die Romantik“ prallen Denkmal und Denkmalstifter, Bach und Mendelssohn aufeinander, d. h. sie ergänzen sich aufs Geschmeidigste. Großveranstaltungsmusik, sozusagen. Bachs Kantate „Singet dem Herrn“ – das ist Bach, wie er schreibt, wenn er weiß: diesmal kriege ich die Leute, die ich brauche. Für die Eröffnung einer Messe ließ man sich auch damals nicht lumpen. Man kann sich das richtig vorstellen. Spitzbart, Wallehaar und Halskrause auf der einen, der stets etwas muffelige Thomaskantor auf der anderen Seite. „Bach, mach Er vns ein Werck, auff das die Leyt nimmer vergessen wern. Vnd wenn es die trumpetten Jerichos will, fahre er auff, was immer Ihm eimkombt. Reichlich sol Er belohnet seyn!“ Und Bach stapft über den Marktplatz und reibt sich die Hände: „Sollt ihr haben, hähä!“ Extralang, -schwer und -klangvoll, dass es eine Freude ist.

Inventio, Dispositio und Decoratio sind vom Allerfeinsten, und dass der Mann einen guten Kontrapunkt schreiben konnte und einem dabei die Luft wegbleibt, muss ja nicht noch erwähnt werden. Breitangelegt auch jenes Ausnahmestück, die Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Und gleichsam als Summe unter dem Strich: Felix Mendelssohn Bartholdys „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Auch dies ein Werk mit höchstem Repräsentationsanspruch. So hätte die Neue Protestantische Kirchenmusik klingen können, wäre Mendelssohn mit Posten und Aufgabe zufrieden gewesen. In breiten Pinselstrichen. Dazu Harfen, Sinnenfreude, herrliche Tonmalerei – alles, was die Romantik nur hergibt wird bemüht, um ein Pracht- und Meisterstück zu schaffen.

Immer ein bisschen schade, wenn man niemandem beim Musizieren zusehen kann. Doch so fluten die Schwingungen durch das Gewölbe und tragen einen fort, an den Tisch feiernder Ratsherren, in die Loge des anerkennend nickenden Königs in Berlin, zu Wein, Braten und Bier.

Als sich die Mengen aus der Kirche pressen wie Zahnpasta aus der Tube gibt es noch Gelegenheit, interessante Fachgespräche zu belauschen, auf der Suche nach dem historischen Ort des Johannes Brahms. „Brahms. Ja. Brahms, der komponiert ja ganz anders. Schumann auch. Aber Brahms ist ja ein Impressionist“ – „Scheen woors wiedor!“ – „Joo…!“

Eröffnungskonzert Bachfest

J. S. Bach: Sinfonia aus: Oster-Oratorium, BWV 249,
J. S. Bach: Kantate „Singet dem Herrn ein neues Lied“, BWV 190
J. S. Bach: Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“, BWV 225
F. Mendelssohn Bartholdy: Kantate „Singet dem Herrn ein neues Lied“, op. 91

Ingeborg Danz (Alt)
Jan Kobow (Tenor)
Gotthold Schwarz (Bass)
Thomanerchor
Gewandhausorchester
Thomaskantor Georg Christoph Biller, Leitung

14.5.2004, Thomaskirche

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.