Die „Rocky Horror Show” feiert Musical-Premiere in Leipzig (Friederike Haupt)

15. Mai 2004,
Oper Leipzig, Haus Dreilinden
Richard O’Brian’s Rocky Horror Show, Premiere

Buch, Musik und Songtexte: Richard O’Brian
Deutsche Dialogfassung: Ana Christine Haffter

Musikalische Leitung: Christian Hornef
Inszenierung: Ana Christine Haffter
Bühne, Kostüme: Stefani Klie
Choreografie: Mirko Mahr
Choreinstudierung: Wolfgang Horn

Darsteller:
Brad Majors: Uli Scherbel
Janet Weiss: Katja Kriesel
Frank’N’Furter: Norman Stehr
Riff Raff: Martin Reik
Magenta/Platzanweiserin: Sabine Töpfer
Columbia: Anne-Kathrin Fischer
Rocky: Michael Knese
Eddie: Ullrich Graichen
Dr. Everett Scott: Folker Herterich
Erzähler: Karl Zugowski

Chor und Ballett der Musikalischen Komödie
Musik: Die „Rocky“-Band unter Leitung von Christian Hornef


Don’t judge a book by its cover
Die Rocky Horror Show ist besser als ihr Ruf

Dass es eine Gratwanderung werden würde, war klar. Ein Werk wie die Rocky Horror Show, als Musical-Parodie konzipiert notabene, auf die Bühne zu bringen, ohne kläglich daran zu scheitern, ist eine Herausforderung; es gilt (mindestens!) drei wesentliche Aspekte zu beachten:

1. Die Rocky Horror Show entstand 1973, sieht nach den 1980er Jahren aus und klingt nach den 1990er Jahren. Sie wurde von Richard O’Brian, der unter anderem als Farmer, Müllmann, Friseur, Stuntman und Darsteller des Riff Raff in der 1975 gedrehten Verfilmung des Musicals arbeitete, erfunden, was man ihr auch anmerkt. Kinobesucher verkleideten sich für die Vorstellungen und warfen während der Filmvorführung mit diversen Gegenständen, wobei sie zudem laut mitsangen und -sprachen. Kurz: Die Rocky Horror Show ist ein Splatter-Musical, reich an gewollten und zeitgeistbedingten Peinlichkeiten. Eine Aufführung mit dem Vorsatz, cool statt peinlich sein zu wollen, könnte nie überzeugen; maßlose Übertreibungen und das Eingeständnis, eigentlich out zu sein, sind unverzichtbar.

2. Die Rocky Horror Show ist dennoch von einem überraschend feinen Humor durchzogen, der mit mehr oder weniger bekannten Klischees spielt und vor allem das Genre B-Movie ununterbrochen parodiert. Alle Hauptfiguren sind Stereotypen bestimmter Lebensauffassungen und zeigen in ihrem Zusammenspiel mit schon fast Brechtschen Mitteln die Unterschiede zwischen Schein und Sein auf. Die Handlung (der transsexuelle Alien Frank’N’Furter ist mit seinem Gefolge auf der Erde gelandet, arbeitet in einem alten Schloss an der Erschaffung seines Lustsklaven Rocky, wird dabei zufällig von den biederen Studenten Brad und Janet gestört, welche daraufhin am lasterhaften Schlossleben teilhaben usw. usw., bis irgendwann alles in Mord und Totschlag endet) ist dabei nebensächlich. Zudem ist auch die Musik, obwohl dem Pop/Rock-Sektor zuzuordnen und vornehmlich auf schlechten Parties zu hören, gar nicht übel, wenn sie gut gespielt wird. Fazit: Die Rocky Horror Show ist durchaus lustig. Eine Inszenierung sollte den oft anarchischen Witz O’Briens nicht unterschätzen.

3. Die Rocky Horror Show hat eine Moral. Das ist ein ziemliches Problem in Zeiten, in denen Moral selten ohne erhobenen Zeigefinger vermittelt wird. Und es ist natürlich ein Problem der Glaubwürdigkeit angesichts der nach landläufigem Verständnis eher unmoralisch Handelnden. Dennoch: ohne Moral keine gute Rocky Horror Show.

Frage: Was macht nun die Musikalische Komödie aus alldem?

Antwort: Das Beste. Es wird dermaßen übertrieben, dass selbst der recht trashige Film daneben verblasst. Frank’N’Furter, als Mischung aus George Michael, St. Pauli Ikone und Königin der Nacht gebührend lächerlich gemacht, stöckelt in Schuhen, mit denen die meisten Frauen ihre Probleme hätten, über die Bühne und jagt gierig dem mit goldenen Hotpants und Stiefelchen bekleideten Rocky hinterher. Uli Scherbel und Katja Kriesel glänzen als hilflose Spießer (Sie: „Braaaad, sag doch was!“ Er: „Doch was, hihihi.“), während der Sprecher im Anzug durch die Szenerie läuft oder mit einem Spot ins Publikum leuchtet. Scheibenwischer werden durch Armbewegungen dargestellt, das Ballett tanzt Feuerlöscher schwingend in Tüllröckchen, der Rocker Eddie wird zum Cocktail verarbeitet – schlimmer geht’s nimmer. Aber das ist ja genau der Sinn der Sache.

Dass die schon erwähnte Verwüstung der Kinosäle auch 2004 im Haus Dreilinden zelebriert würde, hatte wohl keiner erwartet. Jedoch: die Besucher der Premiere werden mit Papiertüten ausstaffiert, die unter anderem eine gefüllte Wasserpistole, ein Tütchen Reis, eine Rolle Klopapier, eine Toastscheibe und einen Leuchtstab enthalten. Bei entsprechendem Stichwort kommen die Gegenstände dann auch sehr wirkungsvoll zum Einsatz. „Ein Toast auf Eddie!“, heißt es auf der Bühne, und Hunderte von Zuschauern werfen begeistert mit steinharten Toastscheiben durch den Saal. Brad und Janet laufen durch den Regen, und grinsende Herren entladen ihre Wasserpistolen auf die weißen Blusen ihrer Begleiterinnen. Rocky wird aus seinen Mullbinden gewickelt, und Senioren werfen anderen Senioren Klopapierrollen an den Kopf. Sagt auf der Bühne jemand „Doctor Scott“, ertönt im Publikum ein kollektives „Ouuuh“, gefolgt von begeistertem Kichern. „Put your hands on your hips!“, singen sie auf der Bühne, und alle springen auf und tanzen mit. Wer einmal erlebt hat, wie das durchschnittliche Opernpublikum normalerweise auf tanzbare Melodien reagiert (verschämtes Fußwippen, rhythmisches Klatschen beim Refrain), sollte O’Brian und dem Ensemble der Musikalischen Komödie dankbar sein für diese Abwechslung. Mehr Rock’n’Roll geht nicht auf einer Musical-Bühne.

Und damit wäre auch die Sache mit der Moral klar: Don’t dream it – be it, das ist die Aussage der Rocky Horror Show. Hinter all seiner Albernheit und Überdrehtheit repräsentiert Frank’N’Furter auch den Individualisten, dem es egal ist, was Spießer-Brad über sein Straps-Outfit denkt („Don’t judge a book by its cover!“). „Es ist an der Zeit, dass die Menschheit toleranter wird; die Barbaren haben diesen Planeten lange genug beherrscht“, so O’Brian, und damit hat er wohl nicht unrecht. Und wenn der Weg zu selbstbestimmtem Handeln und individueller Freiheit damit beginnt, dass in der Oper Klopapierrollen fliegen, ist das sicher nicht der schlechteste Anfang. Die minutenlangen Standing Ovations für die Leipziger Rocky Horror Show waren absolut verdient.

(Friederike Haupt)

Weitere Aufführungen:

25.05., 26.05., 27.05., 02.06., 22.06., 23.06., 01.07., 02.07., 06.07., 07.07.2004

Ein Kommentar anzeigen

  1. 04. Juli 2007

    ich nehme mal stark an, es geht um rocky… ^^

    die sind nicht alle homosexuell!

    leider träume ich nicht davon.

    aber echt schade, dass es vorbei ist.

    ich hab voll geheult nach der letzten show. )‘:

    jule

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