Buchempfehlung: Carlos Fuentes: Woran ich glaube (Steffen Lehmann)

Carlos Fuentes: Woran ich glaube. Alphabet des Lebens. Aus dem mexikanischen Spanisch von Sabine Giersberg, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2004, 379 Seiten, 24,90 Euro.


Glaubensbekenntnisse eines Weltbürgers

In seinem letzten Buch schrieb Carlos Fuentes über einen alternden Maestro, dessen auswegloser Affinität zu Berlioz‘ Oper „La Damnation de Faust“ und seine Liebe zu einer glamourösen Sopranistin. Am Ende bleibt dem Dirigenten nur noch die Erinnerung mittels eines gläsernen Siegels. Auf solche Hilfsmittel wollte sich Carlos Fuentes nicht beschränken. Statt dessen erinnert er sich an das, woran er glaubt. Und das ist – bis auf wenige Ausnahmen – die Literatur. Hier kennt er sich am besten aus, muss nicht unbekanntes Territorium erkunden, hier ist er zuhause.

Fuentes spannt den Bogen von A wie Amistad für Freundschaft bis Z wie Zürich. Dazwischen entbreitet er ein dichtgewebtes Netz von Erinnerungen. Fuentes offenbart seine Gedanken über das Leben, Kindheit in Lateinamerika, erste Erfahrungen mit der Literatur. Mal plaudernd, mal bekennend, mal nachdenklich nähert er sich den Themen seiner Romane. Offenes Bekenntnis zu Freundschaft, Schönheit, Familie, Liebe und Sex. „Woran ich glaube“ ist das persönlichste Buch des Autors mit Wohnsitz in London und Mexiko-Stadt geworden.

Fuentes demonstriert seine Belesenheit unprätentiös. Allerdings bleibt der „normale“ Leser manchmal kopfschüttelnd zurück ob des neuen Gedankenganges, der wiederum mit einem Wettstreit der Zitate und Referenz belegt wird. In Fuentes Zeilen schimmert häufig der ehemalige Politiker und Diplomat durch. Gerade bei Themen wie der „Globalista“ (Globalisierung) zeigt er deutlich seinen Standpunkt, ohne aber zu vergessen welche Chancen in dieser Entwicklung liegen. Im Kapitel über die „Bürgerliche Gesellschaft“ denkt Fuentes die Modernisierung ebenfalls als Chance für alle. Sie müsse die Menschen einschließen, nicht ausschließen. Für viele seiner Überlegungen bilden seine mexikanische Heimat und Lateinamerika den Ausgangspunkt. Hier findet Fuentes, der „erst durch Willensanstrengung und einen Akt der Vorstellungskraft Mexikaner geworden“ ist, den fruchtbaren Boden für seine offenherzigen Bekenntnisse.

Oder das Kapitel „Freiheit“. Er nimmt sich die USA und deren „Fortschrittsglauben, der die imperiale Expansion tarnt“ zur Brust. Besser können der Krieg und die Beweggründe für den Einmarsch im Irak nicht beschrieben werden. Das Buch, das weit vor dem April 2002 geschrieben wurde, ist beängstigend aktuell. Als Pate dient ihm William Faulkner, der sich schon zu seinen Lebzeiten als Kritiker des allumfassenden Gründungsoptimismus seiner amerikanischen Landsleute wehrte. Bei seinen politischen Bekenntnissen lässt sich Fuentes von der Hoffnung auf bessere Zeiten leiten. Das ist nicht naiv, viel eher mutig. Und so sollte dieses Buch bei vielen Politikern unter dem Kissen liegen.

Die besten Stellen des Buches sind die, in denen Fuentes wirklich persönlich wird und dem Leser „verrät“, woran er wirklich glaubt. Wie in dem Kapitel „Frauen“. Er glaube an Frauen, schreibt Fuentes, mit einer Geschichte, mit einem Namen, einem Schicksal und natürlich Sex-Appeal. Und macht seiner Frau Silvia eine wunderbare Liebeserklärung, indem er jede Nacht unsichtbare Zettelchen auf das Kissen legt, auf dem steht „Du gefällst mir“. Oder wenn er mit der Würde des Alters über Sex nachdenkt und mit englischem Humor süffisant bemerkt: „Die Lust ist kurz, der Preis hoch und die Stellung lächerlich.“

Am Ende des Buches landet der Leser in der Schweiz, in Zürich. Bei einem Besuch sieht der 21-jährige Fuentes in einem Café Thomas Mann. „Seine langen, feinen Finger zerschnitten einen kalten Fasan mit peinlich genauer Wohlerzogenheit. Selbst beim Essen wirkte er stocksteif, voller militärischer Strenge. Aber der Stolz von Lippen und Kinn versuchte verzweifelt die Erschöpfung zu verbergen.“ Fuentes getraute sich nicht, den Meister anzusprechen, beobachtete statt dessen, und lässt die Lektüre von Musil, Schnitzler, Joseph Roth und Franz Kafka an sich vorbeiziehen. Es war in Zürich, wo Fuentes zum Schriftsteller wurde und erkannte, dass nur der erzählt, der sich vorstellen kann.

(Steffen Lehmann)

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