Abschied und Ausblick

Das MDR Sinfonieorchester spielt Werke von Gubaidulina und Franz Schmidt im Grossen Concert

Nach den ersten hingehauchten Bratschentönen, Fragmenten einer Melodie, ist das Publikum im leider nur mäßig gefüllten Großen Saal gebannt und in Konzentration versunken. Die Fragmente verdichten sich im Dialog mit einem monoton wiederholten, flächenhaften Thema des Orchesters. Ein faszinierender Auftakt zu der Reise in die Klangwelt der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina. Ihr tiefes Bewusstsein für die Tradition ihrer Herkunft – sie wurde 1931 in Schistopol (Tatarische Republik ) geboren – verleiht ihrem Stück die in der Neuen Musik so oft vermisste Authentizität. Die Strukturen werden nicht „stur“ entwickelt, das Stück zerfällt auch nicht in ratlose Beliebigkeit. Die wenigen Themen sind emotional gesetzt und erfahrbar, durch ihre jeweils eigene Farbigkeit bilden sie das Grundgerüst der Komposition. Die konzentrierte Spannung entsteht nicht zuletzt durch Pausen. Avet Terterjan, Gubaidulinas armenischer Kollege, auch ein sehr traditionsbewusster Komponist, sagte einmal: „Mir gefällt das folgende Dichterwort: ?Wenn ich schweige, schweige ich über etwas.‘ In einigen meiner Sinfonien vernehme ich dieses Schweigen über etwas. Absolute Ruhe: etwas, das vielleicht mehr sagen kann, als die Musik. Ihr strömt die Musik entgegen. Diese Stille hat etwas Endloses und Tiefes, wie das Weltall, das keine Grenzen zwischen Raum und Zeit zieht.“ Fabio Luisi zeigt sich in dieser Welt der Innerlichkeit überaus zu Hause. Immer wieder nutzt er dramaturgisch die Pausen, um die verschiedenen Elemente zu isolieren, dabei bewusst ihr Nachklingen kalkulierend: schrille Querflöten davonlaufend, einfache Melodien der Wagnertuben, das Orchester flächenhaft illustrierend oder auch vertikal treibend. Veronika Hagen wechselt mühelos von Aktion zu Reaktion und wird vom Orchester feinfühlig unterstützt.

Franz Schmidts 3. Sinfonie dann im zweiten Teil des Abends als Kontrastprogramm? Im fröhlichen Auftakt des ersten Satzes könnte man diese Frage noch mit „Ja“ beantworten. Doch ergeben sich in der Suche nach subjektiven Ausdrucksformen Parallelen zwischen der Modernen und dem Spätromantiker. Beide schwelgen in ihrem eigenen Kanon: Gubaidulina im Kontrast des mit allerlei Schlagwerk, den Wagnertuben und Cembalo besetzten Orchesters mit dem oft geheimnisvollen Bratschentimbre. Schmidt mit eher kleinem Orchester entwickelt und erfindet kunstfertig die Themen, exotische Ausreißer werden alsbald diszipliniert.

Man möchte das letzte Konzert des MDR Sinfonieorchesters unter ihrem Chefdirigenten in ihrer sowohl emotionalals auch intellektuell gekonnten Mischung aus Alt und Neu gern als Ausblick auf die nächste Saison verstehen.

Sofia Gubaidulina ( geb. 1931 ): Konzert für Viola und Orchester
Franz Schmidt ( 1874 – 1939 ): Sinfonie Nr. 3 A – Dur

Solistin: Veronika Hagen, Viola
MDR Sinfonieorchester
Dirigent: Fabio Luisi

22.06.2004, Gewandhaus, Großer Saal

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