Broadway in Bad Elster?

Ute Lemper und Fabio Luisi eröffnen den „MDR-Musiksommer”

„Namen, Namen, Namen?“ verspricht auf Hochglanzpapier das Werbeschreiben des MDR, mit dem der diesjährige MDR MUSIKSOMMER geschmückt wird. Und mit einem so angepriesenen großen Namen ziert sich dann auch das Eröffnungskonzert am vergangenen Samstag im malerischen Kurpark von Bad Elster: Ute Lemper – der deutsche Weltstar der Gesangsszene.

Unter Fabio Luisis Leitung wartet das MDR-Sinfonieorchester zum Musiksommer-Auftakt mit einem schmissigen Programm auf und präsentiert Hits aus den Goldenen Zwanzigern, Musical-Songs und Filmschlager sowie unvergängliche Chansons unseres französischen Nachbarn. Alles im Titel broadway, classics & chansons zusammengefasst. Die musikalischen Erwartungen sind mit einem etwas faden Beigeschmack von „Mainstream“-Programm verbunden, das sicherlich wirkungsvoll ist, doch vor allem ziemlich zusammenhanglos, wahrscheinlich extra fürs Fernsehen zusammengewürfelt scheint.

Zu Beginn schon stellt sich innerlich die kleine freche Frage: Ute Lemper in Bad Elster? Broadway-Stimmung im vogtländischen Kurort? Wie geht das zusammen? Auf Plastikstühlen vor plastikverhangener Bühne sitzend, bei Temperaturen, die eher in den hohen Norden passen, als dass sie sommerliche, musical-angeheizte Stimmung verbreiten? Nun gut, in der Pressekonferenz erfuhr man zwei Tage zuvor, dass man während des Musiksommers besonders und extra bemüht sei, in „regionale Breiten vorzudringen, weil man doch das ganze Jahr über bereits die Metropolen bespiele“. Für die fast herbstlichen Grade kann ja niemand wirklich was. So also dann das Konzept des Senders direkt vor Ort, was wohl auch letztlich zu diesem kontrastreichen Zusammentreffen von ehemals kurfürstlicher Heilanstalt und weltgereister Sängerin führte. Wie die Lemper zu eben besagtem öffentlichen Termin ebenfalls verlauten ließ, mag sie „alle Extreme, wenn sie nur mit Herz und Seele gemacht sind“? Und im gleichen Atemzug teilte der eingeladene MDR-Musiksommer-Stargast mit, dass jeder Auftrittsort auch „wie New York sei, wenn nur das Licht auf der Bühne an- und die Musik auf der Bühne losgehe?“ So einfach ist das wohl im Showbiz; das Augenzwinkern mitgeliefert. Gleichzeitig erfährt man jedoch, dass sie sich als Künstlerin wünscht, „Kontakt zu haben mit der Wirklichkeit und den Menschen im anderen Teil Deutschlands“. Somit scheint das Konzert zur Eröffnung beim Musiksommer des regional ansässigen Senders wie gemacht für Ute Lemper!

Luisi: weiß befrackt – genauer gesagt: weiß „besmokingt“ – kommt mit energisch-agilen Schritten auf die Bühne spaziert und hebt den Taktstock zu Bernsteins „Candide“. Spritziger kann man kein Konzert beginnen. Allerdings haben es Luisi und sein Orchester schwer, den richtigen Musical-Klangschmelz zu zaubern. Vieles holpert im Zusammenspiel, klingt teilweise sächsisch behäbig und erzeugt den Eindruck von extra versuchter und deshalb verkrampfter Lockerheit. Wieviel der Open-air-Akustik anzulasten ist, bleibt fraglich. Sehnlichst erwartet, hat endlich die Lemper mit John Kanders „Willkommen! Bienvenue! Welcome“ aus seinem berühmten „Cabaret“ einen fulminanten Auftritt. Berührend und völlig anders in der Darbietung folgen zwei Kostproben der „dunklen Satiren“ Brechts und Weills.

Das differenzierte thematisch-motivische Arbeiten in Gershwins „Amerikaner in Paris“ klingt analytisch lupenrein und ist im sinfonischen Rahmen löblich hervorzuheben. Jedoch der dazugehörige volle Klangschmelz und der große schwelgerische Bogen können sich nicht so richtig entfalten. Vieles bleibt Stückelarbeit und der so benannte „Amerikaner“ kommt nicht wirklich an im akustisch gemalten Gershwin-Paris. Das ist zuweilen schade, denn wenn Ute Lemper zu Luisi & Co. stößt, kommt endlich Leben ins Spiel, der ersehnte „Pfiff“ auf die Bühne, die Musiker legen sich so richtig ins Zeug. Es ist ihnen auch regelrecht anzusehen, wie es Spaß macht, im Musical-Broadway-Rausch dabei zu sein. Da schaukeln die Streicher vernehmbar mehr im Rhythmus mit als üblich, da glühen den anderen die Ohren deutlich rot vor lauter Inbrunst.

Die Lemper reißt, so scheint es, den Dirigenten und die Musiker letztendlich aus der ungewollten Lethargie heraus, hält und führt die Fäden des Abends in ihren geschickten schlanken Händen. Ob mit einer eleganten Moderation zwischen den musikalischen Themenblöcken, ob mit einem kessen Hüftschwung oder charmanten Lächeln: wohldosiert und nie zuviel des Showeffekts zieht sie in den Bann, wenn sie nur auf der Bühne steht. Egal welcher Ohrwurm oder musikalische Klassiker da gerade produziert wird, es kommt wirklich Schwung in die Musik, die Phantasie des Zuhörers wird angefacht, eine belebende Wirkung bahnt sich ihren Weg. Ute Lempers Gesang entführt nun endlich ins Gedankentheater: alte Filmszenen blitzen vor dem inneren Auge auf, wenn sie französisch gurrt, amerikanisch schwelgt, als „blauer Engel“ schmeichelt oder mit Härte und Nachdruck Brecht deklamiert. Immer wird ihre Fähigkeit, großartig zu erzählen und zu gestalten, lebendig. Wann immer die vielgerühmte Diva singt und ihre ungeheure stimmliche Ausdruckskraft zuweilen durch chamäleonartige Timbrewechsel noch unterstreicht, spürt man, dass man einem großen Abend beiwohnt.

Überhaupt nutzt Ute Lemper ihre Stimme, ihren drahtig-zierlichen Körper, ihre betörend-aktive Mimik in den unterschiedlich dargebotenen musikalischen Kostproben stets als fulminantes theatralisches Instrument. Jede Muskelfaser wirkt von ihr nuanciert dirigiert und bewußt eingesetzt: da passt jeder kesse Fußtritt in die Luft, da fasziniert jeder sanfte Hüftkick – jedes Mal setzt sie ihre Kraft gekonnt und genau dosiert ein. Fast minimalistisch reguliert sie ihr unglaublich weit gefächertes Gesten-Repertoire und unterstreicht das, was gerade simultan musikalisch passiert.

Hervorzuheben ist die ergreifend vorgeführte Variante von Norbert Schultzes berühmtem Song „Lilli Marleen“, die kurz vor Konzertende in der kongenialen Bearbeitung für Orchester von Robert Ziegler zu Gehör gebracht wird. Die davor tiefschürfende Anmoderation Ute Lempers, die unverblümt nach der Chance des Überlebens der damaligen Soldaten fragt, erzeugt eine Atmosphäre, die nicht nur Publikumsgästen im passenden Alter eine Träne der Rührung entlockt. Auch das bedrückende Umkippen des beliebten Lale-Andersen-Schlagers in stampfend-kriegerische Rhythmen ruft nur allzu gut die Situation in den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs klanglich in Erinnerung. Manch einer mag bei den beinah makabren „Lilli-Marleen“-Rufen in Endlosschleife besonders erschüttert und getroffen gewesen sein. Ihre Wirkung verfehlte diese Interpretation keineswegs. Mitreißend, wie Ute Lemper dem alten, fast etwas abgedroschenen Hit eine politisch-kritische, reflektierende Note abgewinnt, was beinahe einer Art Brechtschem Theater in minimalster Ausdrucksweise nahekommt.

Mit John Kanders „All that Jazz“ endet der bitterkalte Musiksommer-Eröffnungsabend und der Kurort hat einen plötzlich wieder. Was im Kopf bleibt, ist das Bild einer Frau mit Stil und Klasse, die vollends in ihrer Musik lebt, sich nicht in vordergründigen Showeffekten verliert, sondern frei von Eitelkeit, Arroganz und Unnahbarkeit auf der Bühne steht. Das macht Ute Lemper so ungeheuer sympathisch. Man darf gespannt sein, wenn sie hoffentlich demnächst, wie angedeutet, mit ihrem „schwierigeren Programm“ – Schönberg, Schulhoff, Eisler – wieder in Deutschland gastiert!

Eröffnung des MDR-Musiksommers:
UTE LEMPER in Sachsen – Bad Elster

26. Juni 2004, Kurpark Bad Elster

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