Dreimal deutsches Sommerkino: „Pipermint”, „Farland” und „Kleinruppin forever” (Maike Schmidt)

Pipermint – Das Leben möglicherweise
Regie und Drehbuch: Nicole- Nadine Deppé
Darsteller: Luisa Soi-Kaiser, Sami Frey, Meret Becker, Marek Harloff
Kinostart: 5. August 2004Farland
Regie: Michael Klier
Drehbuch: Michael Klier, Undine Damköhler
Darsteller: Laura Tonke, Richy Müller, Daniel Brühl, Karina Fallenstein
Kinostart: Oktober 2004 Kleinruppin forever
Regie: Carsten Fiebeler
Drehbuch: Peer Klehmet, Sebastian Wehlings
Darsteller: Tobias Schenke, Anna Brüggemann, Michael Gwisdek, Uwe Kokisch
Kinostart: 9. September 2004

Bilder (Verleih): Pipermint, Farland (2x), Kleinruppin
Vom Erwachen und so tun als ob

Dreimal deutsches Sommerkino

Von Menschen, die erwachen, von Menschen, die erwachsen werden, erzählt diesen Sommer der deutsche Film. Dies geschieht auf ganz unterschiedliche Weise, in ganz verschiedenen Räumen und Zeiten. Mal führen sie uns in eine surreale Umgebung des deutschen Irgendwo, mal weit weg ins sommerliche Kroatien, mal in einen dörflichen Alltag der sozialistischen 80er der DDR. Ihnen gemein ist die ach so menschliche Thematik, die Suche nach sich selbst, nach der Liebe, nach einem Platz im Leben. Jeder der Filme nimmt sich uns zum Vorbild, dargestellt in Figuren, welche sich verlieren, sich manchmal wieder finden, niemals allein, aber immer ein bisschen einsam. Und auch wenn diese Suche oft weit weg führt, die Grenzen des bekannten überschritten werden müssen, so ist doch vertraut und ganz nah am Leben, was dort auf der Leinwand erzählt wird.
Pipermint, der Debütfilm der jungen Regisseurin Nicole-Nadine Deppé, Farland, der neue Film von Michael Klier, und Kleinruppin forever von Carsten Fiebeler, der vor zwei Jahren mit seinem Film Die Datsche erstmals fürs Kino Regie geführt hatte. Pipermint – Das Leben möglicherweise

Zoe möchte weg. Weg von der Schule, wo sie keiner versteht, weg von der Mutter, die lieber ihre Freundin als eine Mutter ist, einfach weg. Da kommt der Plan ihres Bruders Theo, der sich gen Süden aufmachen will, recht gelegen. Zusammen mit dem kleinen Artur machen sich die drei Geschwister auf die Reise nach Kroatien. Schon auf dem Weg macht Zoe klar, was sie will: zusammen sein, zusammen bleiben. Die drei sind eine Bande, die niemanden aufnimmt und die auch niemand verlassen darf. Kindliche Spielregeln gelten, die Zoe ernst nimmt, aber Theo und Artur nur als ein Spiel begreifen. Angekommen, lassen sie sich in einem Haus am Meer nieder, wo sie auf Mendel treffen, einen eigenbrötlerischen Schriftsteller, welcher die Neuankömmlinge eher misstrauisch als freundlich begrüßt. Doch der kleine Artur findet Zugang zu ihm; ohne die Worte des Anderen zu verstehen, freunden sie sich an. Und auch Theo findet einen Menschen für sich, die junge Kroatin Sanja, in die er sich sofort verliebt – ein Bruch mit den Regeln. Zoe versteht, dass sie ihre Bande nicht halten kann, akzeptieren will sie dies nicht. Nach einer Nacht mit Theo eskaliert die Situation.
Eine Bande hält immer zusammen, verteidigt den Einzelnen gegen die gesamte Welt, bietet Zuhause und Freiheit zugleich. Das will Zoe. Dass dies aber nicht immer so funktioniert, dass zwischenmenschliches Begehren oft auseinander fällt und Bande(n) sich lösen, muss sie erst lernen. Zoe ist 16, und wie jede Sechzehnjährige hat sie eine ganz romantische Ansicht vom Leben und der eigenen kleinen Welt. Wir dürfen dabei zusehen, wie ihr diese genommen wird, wie der Einzelne oft wenig Einfluss auf sein Leben hat und wie sie lernt, auf sich allein gestützt Halt zu finden. Pipermint nimmt einen mit auf eine kurze, aber intensive Reise mitten in die wichtige Zeit der furchtbaren Pubertät – jenen Punkt im Leben, an dem alles zusammenbricht, was so lange von Bedeutung war und der Mensch anfangen muss, sich selbst zu suchen. Dies beginnt mit Zoes Körper, mit dem sich der Film viel Zeit nimmt, ihn mal sanft, mal grob ihr und uns näher bringt, und es endet mit einem befreiten Sprung ins Meer, durch den Zoe mit der Suche zu sich selbst beginnen kann.
Farland

Grau und einsam, verloren im Irgendwo eines deutschen Gewerbegebietes liegt das Szenario für Farland. Einsam und verloren begegnen uns auch die Helden dieses Films. Karla, die zurückkehren muss, und Axel, dem dies verwehrt wird, treffen sich in einem Krankenhaus, wo ihre Schwester und sein Sohn ums Überleben kämpfen. Karla ist noch jung, doch schon lange nicht mehr Bestandteil des Lebens ihrer Schwester, hält nur die Stellung bis die Mutter aus dem Urlaub wiederkommt. Axel ist schon älter, noch nie Teil des Lebens seines Sohnes gewesen, und dessen Mutter will es auch nicht zulassen. Die beiden müssen nun warten, Karla darauf, dass sie wieder gehen kann, Axel, dass er nicht wieder gehen muss. Ihrer Begegnung folgt ein Kennenlernen, wie es üblich sein sollte, doch wie soll man jemandem erlauben, einen kennen zu lernen, wenn man sich selbst gar nicht kennt? Karla hat hier die Oberhand, sie glaubt sich zu kennen – eine Liste ihrer Vorlieben und Abneigungen scheint sie immer zur Hand zu haben. Axel muss lange überlegen bis ihm etwas über sich einfällt. Als die Schwester erwacht, kann Karla gehen. Der Sohn schläft noch immer, wer aber anfängt zu erwachen ist Axel.
In ruhigen Bildern, die mehr Tiefe erlauben als die Kulissen es eigentlich zulassen könnten, werden hier zwei Menschen gezwungen anzuhalten – und mit ihnen auch der Zuschauer. Die Frage nach einem Platz im Leben stellt sich hier so essentiell, so verletzend, aber auch so reinigend, dass man nicht mehr über das Woher und Wohin grübeln möchte, sondern allein den Moment der Wichtigkeit dieser Frage erspüren will. Michael Klier gelingt es auf höchst undramatische Weise, uns in eine Welt zu führen, die aus einem Irgendwo ein Hier erschafft, welches ein jeder kennt. Und so passiert auch nicht viel, denn es geht um die Darstellung des Momentes, anhand dessen man begreift, wie oft man sehend blind durch die Welt stolpert, ohne zu erwachen. Stellvertretend für uns tut dies Axel, indem er sich die Augen verbinden lässt und spüren darf, das er noch lebt.Kleinruppin forever

Es ist 1985. Tim lebt im Westen, ist angehender Tennisprofi, hat eine coole Vespa und auch sonst keine wirklichen Probleme. Die beginnen erst, wie sollte es anders sein, bei einem Schulausflug in die DDR. Eben noch lustig gemacht über die peniblen Grenzbeamten, schon sitzt man in der sozialistischen Tinte. Denn was Tim nicht ahnen konnte, es gibt einen Zwillingsbruder: Ronnie, den er im schönen Kleinruppin zufällig trifft, von dem er niedergeschlagen und zurückgelassen wird. Dass irgendwer Tim glaubt, ist hier nicht drin. Im Gegenteil, Tim wird von nun an penetrant von der Stasi verfolgt, da man seine Geschichte für einen absurden Fluchtplan hält. Tim muss sich eingewöhnen. Hilfe bekommt er hierbei von Ronnies Ziehvater Erwin und der süßen Jana, in welche sich unser Held prompt verliebt. Abfinden will er sich aber noch lange nicht mit dieser erzwungenen Situation, und da bietet sich auch schon eine Chance: das Schwimmteam fährt gen Westen. Nun muss Tim nur noch schnell genug schwimmen, und er kann Club-Cola, Schwalbe, FKK, aber auch Jana hinter sich lassen…
Wie eine Mischung aus Das doppelte Lottchen und Good Bye, Lenin! kommt nun diese neue Ost-West-Komödie daher. Aufgeladen mit einer gehörigen Portion „Ostalgie“ zeigt der Film sonst nicht viel Neues. Tim lernt, daß es Wichtigeres gibt als ein cooles Outfit und gesellschaftliches Prestige, nämlich die Liebe. Und das ist doch schon mal was; immerhin entscheidet er sich hier für die auf den ersten Blick viel weniger charmante Seite deutschen Landes. Da man als Zuschauer aber um die Entwicklung in den nächsten vier Jahren weiß, kann man sich beruhigt zurücklehnen und diesen Beitrag zum West-Ost-Konflikt und den 80er Jahren auf sich nieder regnen lassen. Die Grenze wird sich öffnen und zwei junge Menschen haben sich gefunden. Was will man mehr? Der Film jedenfalls belässt es hierbei und das darf er auch ruhig, denn allem Anschein nach ist ihm eine weitergehende Auseinandersetzung mit den genannten Themen gar nicht wichtig. Die Liebe steht halt über allem.

Und so schließt der Kinosommer nun auch recht sommerlich mit einem Sonnenuntergang über Kleinruppin; wer noch nicht genug hat von 80er Jahre Klamotten und vielen DDR-Details, der gehe doch eben in diesen der drei Filme, ansonsten wäre ein Schritt ins merkwürdig nahe Farland wohl eher ein Kinoabend wert, wenn man neben Üblichem gerne über menschlich Absonderliches nachdenken möchte.
Und wer noch seinen Sommerurlaub vor sich hat, der mag sich vielleicht durch Pipermint für den Balkan begeistern. Das scheint eine Reise wert zu sein und bestimmt nicht nur, um sich selbst zu finden – auch wenn dies nie wirklich schlecht, sondern im Gegenteil immer recht erstrebenswert sein kann, was einem diese drei Filme zeigen können. (Maike Schmidt)

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