Das Hitler-Projekt: Oliver Hirschbiegels Film „Der Untergang”
Am Anfang muss man doch kurz den Atem anhalten: Erst jetzt wird sie bewusst, die Sorge, die man vor dem Beginn des Films mit sich herumtrug. Wird es eine Karikatur? Es muss eine Karikatur werden, er ist doch eine Karikatur! Doch die Sorge bleibt unbegründet, Bruno Ganz spielt Hitler ohne jeglichen Anflug von Parodie, keinerlei karikaturistische Verharmlosung ist ihm hier vorzuwerfen. Und nun, da diese Hürde geschafft ist, kann aufgeatmet werden, und die letzten Tage Hitlerdeutschlands nehmen ihren Lauf.
Doch um gleich dabei zu bleiben – es ist ein unglaubliches Glück für diesen Film, dass er einen Bruno Ganz hat, der diese Verantwortung, ja Last auf sich nimmt, die Rolle des Adolf Hitler zu spielen, der scheinbar ohne Anstrengung den Ballast dieses Mythos von sich zu werfen versteht. Während man sich langsam aus der Erstarrung löst, denkt man, weiß man: ja, das ist Hitler. Ganz versagt sich jeder imitierenden Annäherung und schafft dabei eine eigene, gewissermaßen neue Figur. Zum einen durch die Fantasiemischung der Sprachfärbungen – sein eigenes Schweizerisch, das angeeignete Österreichisch und ein universelles Nuscheln – und natürlich durch seine ureigene Präsenz gelingt ihm die Darstellung eines Hitlers, der viel wahrer, authentischer wirkt, als es jeder noch so perfekten Nachahmung hätte gelingen können.
Der Film setzt im April 1945 ein, er umfasst lediglich die allerletzten Tage des faschistischen Regimes und zeigt mit einer völlig irreal wirkenden Szenerie dessen Schizophrenie in aller Deutlichkeit: oben tobt der Kampf um Berlin und unten im Führerbunker feiert die Versammlung der obersten Nazis bei Sekt und Korn ihren eigenen Untergang.
Braucht es diesen Film? Der Vorwurf, den sich Regisseur Oliver Hirschbiegel und Produzent/Drehbuchautor Bernd Eichinger in diesem Zusammenhang mit Sicherheit anhören werden müssen, ist, dass hier doch eine unmoralische Darstellung Hitlers und der Nazis vollzogen werde, indem man sie als Menschen wahrnehmen darf. Diesem Vorwurf schließe ich mich nicht an, ganz im Gegenteil. Dieser Film wirft einen zwar ungewohnten, aber dennoch notwendigen Blick auf die Zeit des „Dritten Reichs“. In dieser besonderen Perspektive werden Goebbels, Speer, Himmler und eben auch Hitler mitunter als Privatmenschen gezeigt. Und doch weil eben in diesem kleinen Kosmos die ganze menschenverachtende, menschenhassende Idee des Nationalsozialismus zum Ausdruck kommt, bekommt man eine Ahnung davon, wie Hitler, wie die ganze Naziideologie im Großen wirken konnte. Es wird einem bewusst, dass dieses Weltbild in letzter Konsequenz doch nichts anderes zum Ziel haben konnte, als auch sich selbst auszulöschen.
Wie kommt diese Haltung zum Ausdruck? Gibt es Darstellungsmöglichkeiten, die einem das Grauen noch nahe bringen können? Gibt es Bilder des „Bösen“, abseits dessen, was uns schon lange hat abstumpfen lassen?
Hirschbiegel und Eichinger verlassen sich zwar im Großen und Ganzen auf konventionelle Bildarrangements, Montagen, Einstellungen und Kameraperspektiven, doch hin und wieder gelingt ihnen eine Idee, die den Atem wieder stocken lässt. So zum Beispiel in der minutenlange Szene, in der Magda Goebbels, gespielt von Corinna Harfouch, ihre sechs Kinder tötet – in einer Welt ohne Nationalsozialismus will sie sie nicht aufwachsen sehen -, ihnen zunächst ein Schlafmittel einflösst, um ihnen später die Zyankalikapsel zwischen die Zähne schieben zu können und dann mit einem Knirschen Kopf und Unterkiefer zusammendrückt.
Warum aber gelingt Hirschbiegel und Eichinger mit „Der Untergang“ alles in allem kein großer Wurf? Was macht es aus, dass man sich trotz allem sagen muss, dass zum Meisterwerk das entscheidende Etwas fehlt?
Zum einen langweilt nach einer Weile die immer gleiche Schnittfolge. Von der Szenerie unter der Erde in der Reichskanzlei, wo eine einzige Party stattzufinden scheint, Eva Braun betrunken und swingtanzend durch die Räume torkelt, wo absurde Entscheidungen über Truppenbewegungen getroffen werden, wird im krassen Schnitt die Realität über der Erde gezeigt: hier herrscht der ganz normale Krieg. Fast jedes Mal, wenn die Szene vom Bunker nach oben zum Krieg wechselt, wird – wie um auch dem Dämlichsten den Gegensatz der Schauplätze nahe zu bringen – die Explosion einer einschlagenden Granate oder Bombe gezeigt. Dieser immergleiche Wechsel wird irgendwann vorhersehbar und entlarvt sich als pures Mittel der Emotionalisierung. Auch andere gewagte Bildideen fehlen, die Einstellungsarten, die Bildaufteilung und -komposition bleiben solide und konventionell: wie die Flure im Bunker abgefahren, wie die Räume filmisch erkundet werden, sowie die Eindrücke aus dem zertrümmerten Berlin. Mit unsichtbaren Schnitten und einer oft eingesetzten Handkamera kommt das Geschehen jedoch sehr nah und wirkt so realistisch, dass man sich nur mit Mühe dem Sog der Geschichte entziehen kann.
Wollen Hirschbiegel und Eichinger denn mehr als ein solides Geschichtenkino auf die Leinwand bringen? Oder ging es ihnen genau darum, dem Zuschauer mit gutem Handwerk die Ereignisse dieser drei Wochen des Untergangs zu erzählen?
Zur Erklärung und auch zu ihrer Verteidigung sollte man vielleicht anmerken, dass man vor der reinen Sachlage doch immer noch erschaudern muss. Und dass man als Regisseur und Drehbuchautor vor diesen reinen Fakten fast kapitulieren muss, um überhaupt eine Art von Aufklärung leisten zu können. „Der Untergang“ ist also eine ziemlich detailgetreue Wiedergabe der letzten Tage von Hitler und damit auch des faschistischen Regimes. Hirschbiegel und Eichinger halten sich zwar manches Mal ein bisschen zu sehr fest an den „Tatsachen“, sie wirken aber natürlich fesselnd und machen den Film zu einem spannenden Stück Zeitgeschichte. Mit einer möglichst genauen Nacherzählung wird versucht, sich dem Grauen nähern. Und über eine gewisse Logik, über die chronologische Abfolge wird der Versuch unternommen, historische Authentizität herzustellen. Nicht umsonst bilden das gleichnamige Buch des Historikers Joachim Fest sowie die Aufzeichnungen von Hitlers Sekretärin Traudl Junge die Grundlagen für den Film.
Vor allem die Person der Traudl Junge (Alexandra Maria Lara), die die letzten Tage im Bunker miterlebt hat, fungiert als eine Art Identifikationsfigur für den Zuschauer. Über sie kann immer wieder die Grundfrage gestellt werden, die den Film wie einen Leitfaden durchziehen: wie viel Schuld und Verantwortung trägt jeder Einzelne? Eine Frage, die Hirschbiegels künstlerische Kontinuität offenbart. Genau wie in seinem Kassenerfolg „Das Experiment“ steht auch im Zentrum von „Der Untergang“ die Analyse der bedingungslosen Unterwerfung und des Aufbegehrens Einzelner im Gefälle von Machtsystemen. Diese Frage nach der Verantwortung für das eigene Handeln rettet Hirschbiegel aus der Geschichte. Das befreit seinen Film von falschen Sentimentalitäten und Schuldgefühlen und macht ihn hochaktuell.
Der Untergang
D 2004, 150 Min
Regie: Oliver Hirschbiegel
Drehbuch und Produktion: Bernd Eichinger
Darsteller: Bruno Ganz (Adolf Hitler), Juliane Köhler (Eva Braun), Alexandra Maria Lara (Traudl Junge), Ulrich Matthes (Joseph Goebbels), Corinna Harfouch (Magda Goebbels), Heino Ferch (Albert Speer)
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