Weihnachten kann kommen: Die Filmmesse Leipzig präsentiert Kuschliges (Maike Schmidt)

4. Filmmesse Leipzig
13. – 17. September 2004
Schaubühne Lindenfels, Passage-KinosAgata und der Sturm (Agata e la tempesta)
Italien 2004, 120 min, R: Silvio Soldini
Kinostart: 23.12.2004Licht meiner Augen (Luce dei miei occhi)
Italien 2001, 114 min, R: Guiseppe Piccioni
Kinostart: 30.12.2004Die große Verführung (La grande séduction)
Canada 2003, 110 min, R: Jean-François Pouliot
Kinostart : 2.12.2004American Splendor
USA 2003, 101 min, R : Shari Springer Berman, Robert Pulcini
Kinostart : 28.10.2004Samaria
Korea 2004, 95 min, R: Kim Ki-Duk
Kinostart : 11.11.2004

Bilder: Filmmesse
1. Agata und der Sturm
2. Die große Verführung
3. American Splendor
4. Samaria (Verleih)Ihr Lieben!

Nach vier Tagen Filmmesse kann ich Entwarnung geben. Ihr braucht nicht länger dem Sommer nachzutrauern und Angst haben vor dem Winter, vor der bevorstehenden Kälte und vor den dunklen Tagen. Filme werden kommen, dies alles zu erhellen. Manche müssen dafür den Großen Ozean überqueren, manche kommen aus dem Süden über die Alpen, um unsere tristen Zeiten ein bisschen schneller vergehen zu lassen. Ihr Ziel sind die Kinoleinwände unserer Stadt, ihre Reise wird hier vor unseren Augen enden. So bitte ich alle Liebhaber des Kinos Platz zu nehmen und Matsch, Weihnachtsstress und triefende Nasen für zwei Stunden zu vergessen. Es wird sich lohnen! Ich verspreche Euch, dass dieses Jahr nicht nur die Heizung im Kinosaal Euch wärmen wird.

Beginnen will ich mein Resümee, indem ich mich dem Süden zuwende, Richtung Italien, das in diesem Winter beschwingt, aber auch nachdenklich, auf jeden Fall aber mit ein paar Sonnenstrahlen im Gepäck daherkommen wird. Kurz vor Weihnachten wird Silvio Soldinis neuer Film Agata und der Sturm der weißen Leinwand einen Hauch von Sommer verpassen, was nicht nur an den luftigen Kleidern der Hauptfigur liegen wird, sondern an dem Thema selbst. Agata ist Anfang vierzig, betreibt einen kleinen Buchladen und hat ein Problem: Ständig geht in ihrer Nähe das Licht aus. Erst beginnen die Glühbirnen zu flackern, dann erlischen sie gänzlich. Bis sie lernt das Licht und die Dunkelheit zu kontrollieren, passieren viele Dinge und treten ganz neue Menschen in ihr Leben. Da wäre auf der einen Seite der junge Nico, mit dem sie eine stürmische Affäre beginnt, obwohl dieser verheiratet ist, und auf der anderen Seite ihr Bruder Gustavo, welcher erfahren muss, dass er adoptiert wurde, und der sich nun auf die Suche nach seiner eigentlichen Familie macht, eine Suche, welche Agata nicht ganz ausschließt. Von Liebe, von Familie, von übersinnlichen Kräften und gepunkteten Kleidern, von Rom im Sommer und vom Tod erzählt dieser Film so berauschend und so luftig-leicht, dass man sich beim Angehen der Lichter im Kinosaal wünscht, Agatas Fähigkeit zu haben, um sie wieder zu löschen. Wie schon in Brot und Tulpen präsentiert uns Soldini Lakonisches aus dem Land von Pasta und Pizza. Garniert hat er dies wieder mit der bezaubernden Licia Maglietta, welche durch den Film führt und diesen zu einem kleinen, aber feinen Erlebnis macht. Und wie schon Brot und Tulpen wird auch dieser Film kurz vor Weihnachten in die Kinos kommen. Ein bisschen Aberglaube soll laut Tobis Filmverleih Agata und der Sturm einen ähnlichen Erfolg bescheren. Und auch wenn der Film das gar nicht nötig hat, so ist der Starttermin doch ein schönes Weihnachtsgeschenk für uns alle.

Schönes Licht meiner Augen

Und wenn wir dann Weihnachtsgans, Lebkuchen und Stollen verdaut haben, alle Geschenke ausgepackt, die üblichen Zwistigkeiten hinter uns gebracht haben und uns dem Jahresende zuwenden können, dann wartet schon ein nächster italienischer Film in den Kinos auf uns, der in dieser ach so besinnlichen Zeit mit einer gehörigen Portion Menschlichkeit aufwartet. Licht meiner Augen von Giuseppe Piccioni erzählt die Geschichte zweier Menschen, welche von Einsamkeit, Geldnot und der Suche nach Liebe zusammengebracht werden. Luigi Lo Cascio (100 Schritte) und Sandra Cecarelli (Nicht von dieser Welt) spielen Antonio und Maria, welche das typische Leben großstädtischer Singles führen und eines nachts, mitten in Rom zueinander finden. Antonio verliebt sich, fängt an, sein eigenes Leben für das von Maria und ihrer kleinen Tochter zu opfern. Sie aber kann nicht, kann nicht lieben und nicht vertrauen. Erst als alles in Scherben liegt, ist sie bereit auf Antonio zuzugehen. Der aber hat da schon fast zu viel gegeben. Mit leisen Tönen, fast schon ein bisschen sentimental lässt uns der Film einen kleinen Teil des Lebens dieser beiden Menschen begleiten. Es passiert nicht viel, nichts Spektakuläres, aber doch zutiefst Menschliches, das berührt und einen gefangen nimmt. Am Schluss bleibt Hoffnung – und das ist einfach nur schön. Ein schöner Film für das Ende des Jahres, ein Film, der ein bisschen Mut macht und einen ganz neuen guten Vorsatz für die lange Sylvesterliste mit sich bringt.

Die große Verführung im kanadischen Stil

Eine ganz andere Art von Filmthematik wird aus Übersee zu erwarten sein. Le grande séduction – Die große Verführung gibt als einziger kanadischer Film dieser Filmmesse einen urkomischen und ein bisschen verschrobenen Blick auf das Leben einfacher Fischerleute frei. Der Regisseur Jean-François Pouliot hat sich mit seinem Film einem kleinen Hafendorf irgendwo weit weg der Großstadt zugewandt, wo 120 Menschen um Würde, ein bisschen mehr Geld und das Gefühl von Müdigkeit, das einen abends nach getaner Arbeit überfällt, kämpfen. Jeden Monat holen sie sich ihren Sozialhilfescheck ab und träumen von vergangenen Zeiten, als die Fischgründe noch nicht erschöpft und der kleine Ort von Liebe erfüllt war. Nun tut sich ein Hoffungsstreifen am Horizont auf – eine Fabrik möchte sich hier ansiedeln, allerdings nur, wenn ein Arzt sich hier niederlässt. Der Ehrgeiz der Bewohner ist geweckt, ein Arzt wird gefunden, jetzt heißt es, ihn zu halten. Die große Verführung kann beginnen. Mit leichter Hand wird der Zuschauer durch den Film geführt, dies gelingt ohne ein Stolpern, ohne eine Spur Klamauk. Der Kampf um ein neues altes Leben wird ernst genommen; Humor und Witz ergeben sich, weil hier die Augen offen gehalten wurden – und das macht wirklich Spaß. Die Adventszeit, in deren Anfang der Film startet, steht also unter einem guten Vorzeichen, einem Vorzeichen, dass man sich nicht entgehen lassen sollte.

Zu dem nächsten Film erst mal eine Frage: Wer kennt Harvey Pekar? Niemand? Gut, ich auch nicht – jedenfalls war dies so vor dem Film American Splendor. Dies ist denn nun die verfilmte Lebensgeschichte dieses Harvey Pekar, eines pessimistischen Losers, welcher mit einem schlechtbezahlten Job kaum über die Runden kommt. Er ist mehrmals geschieden, hasst Ordnung, liebt hingegen Musik und Comics. Aber wofür hat man denn so ein verpfuschtes Leben, wenn man nicht andere daran teilhaben lassen kann? So beginnt Harvey sein Leben niederzuschreiben und es in Comicform unter die Leute zu bringen. Und auch wenn er dadurch immer noch nicht den blöden Job an den Nagel hängen kann, so wird er jedenfalls soweit bekannt, dass sich Shari Springer Berman und Robert Pulcini darauf eingelassen haben, einen Film über ihn zu machen. Es erwartete einen eine hohe Dosis „Pekarmania“, und das von doppelter Seite. Denn nicht nur Paul Giamatti in der Rolle des Harvey Pekar spricht zu uns – dieser selbst wurde ebenfalls vor die Kamera beordert und gibt die nötigen, skurrilen Statements ab. So erfährt man in 100 Minuten ein ganzes Leben und das ist zwar recht nett, aber letztlich wohl doch eher etwas für Fans oder solche, die es werden wollen oder aber auch für alle Pessimisten unter uns, welche noch einen passenden Gesichtsausdruck zur Lebensphilosophie benötigen. Samaria – die koreanische Filmwelt Kim Ki-Duks

Zu guter Letzt zurück zum Anfang dieses Events. Ein paar Worte zu einem Film, mit dem die vierte Filmmesse diese Jahr eröffnet wurde. Es ist der einzige asiatische Beitrag, Samaria, ein Film des koreanischen Regisseurs Kim Ki-Duk, welcher hierfür auf der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie ausgezeichnet wurde. Der Film begleitet Yeo-Jin, ein junges Mädchen, das mit ihrer besten Freundin Jae-Young eine Art geschäftliche Vereinbarung getroffen hat. Jae-Young geht anschaffen, und Yeo-Jin passt auf, dass sie nicht erwischt wird. Das funktioniert ganz wunderbar, auch wenn Yeo-Jin mit Abscheu bei der Sache ist und die Männer mit Verachtung straft. Dann kommt der Tag, der alles verändern soll. Yeo-Jin hat nicht gut aufgepasst, die Polizei filzt ein Hotel, indem Jae-Young gerade zu tun hat; sie kommt dabei zu Tode. Voller Schuldgefühle übernimmt Yeo-Jin nun die Rolle ihrer Freundin. Eine Art absolutistisches Spiel beginnt, in dem alle Freier abgearbeitet werden und diese am Schluss ihr Geld wiederbekommen. Jeder gestrichene Name bedeutet einen weiteren Schritt zurück, als könnte die Zeit so besiegt und die Dinge ungeschehen gemacht werden. Doch Yeo-Jin muss lernen, dass der einzige mögliche Weg ein Weg nach vorne ist. Eine Geschichte um die Moral der Verantwortung tut sich hier dem Zuschauer auf, dies wird Symbol lastig und eigenwillig erzählt, trifft in manchen Bildern einen ästhetisch-philosophischen Ton, in anderen nur einen plakativen Vorwand. Und doch ist der Film in sich stimmig, präsentiert sich ruhig und überschreitet nicht seine eigenen Grenzen. So sind ein paar starke Szenen entstanden, die ein Besuch im Kino auf jeden Fall lohnenswert machen.

Auch wenn uns nun die vierte Jahreszeit ins Haus steht, so ist dies, wenn es nach der vierten Filmmesse gehen darf, kein Grund zur Traurigkeit. Dem Kino sei dank wird es einen gelungenen Ausgleich geben, welcher für verschiedene Geschmäcker mit einer puren Dosis Film daherkommen und uns warm halten wird, bis auch der Letzte beim Anblick der schneeweißen Kinoleinwand nicht mehr sentimental an Winter denken möchte.

Ich wünsche ein schönes Rest-Kinojahr 2004!(Maike Schmidt)

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