Erogene Klimazonen: Ein Programm von Olga Lomenko und Dimitri Sacharov (Stefan Horlitz)

Erogene Klimazonen
Moritzbastei, 23.9.04, 20 Uhr
Show von Olga Lomenko und Dimitri Sacharov
Regie: Volker Insel

Erogene Klimazonen – weltweit

Schön, dass Leipzig seine Kooperationen auf wissenschaftlicher und kultureller Ebene konstant ausbaut. Gerade in Zeiten des Petersburger Dialogs, des von unserem Kanzler gepflegten besonderen Verhältnisses zu Russland ist es doppelt begrüßenswert, wenn russischen Wissenschaftlern die Möglichkeit geboten wird, ihre Ergebnisse verstärkt in Deutschland präsentieren zu können. Dass die renommierte Sexologin Prof. Dr. Olga Nikolajewna Lomenko von der Universität Nischnyj Nowgorod für einen Vortrag in Leipzig gewonnen werden konnte, ist mithin keine Selbstverständlichkeit. Spaß beiseite – Leipzigs liebste Ukrainerin hat ein neues Programm geschrieben und es sieht gut aus…verdammt gut. „Feuerkugel“ steht aus mir nicht bekannten Gründen in eisernen Lettern auf dem Gewölbe der Moritzbastei geschrieben. Das passt ganz wunderbar auf die Protagonistin des Abends.

Olga Lomenko sammelte Stereotypen und Vorurteile und klopfte sie durchaus ernsthaft auf Wahrheitsgehalt ab. Wie wird man von einem Ami in der venezianischen Gondel angegraben? Und wie von einem Japaner? Was hat der spanische Gentleman mit dem Gondoliere zu schaffen? Und warum täuscht man bei dem Herrn aus Deutschland nach zwei Stunden Knierubbeln am besten einen Orgasmus vor? Eine Reise um die Welt also, mit Blick auf Balz- und Begattungsverhalten hierzulande und andernorts. Ihrer Kunstfigur zur Seite steht Dmitrij Anatoljewitsch, ein Trottel vor dem Herrn, der den Vortrag nach modernem Gusto mit multimedialen Blendwerk verzieren soll. Leider versägt er Beamer und Video und Frau Professor muss die Videos selbst performen, eine schöne Ausrede für viel Gesang, Tanz und Theater.

Eigentlich geht es ihr gar nicht um das alte Rein-Raus-Spiel, sondern um einen vertiefenden Blick in die Psyche des Mannes in ihren Varianten und in die Abwehr- und Überlebensstrategien, die ihre Geschlechtsgenossinnen im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben. Dass sie dabei weder in schmierige Zoten noch in den heute beliebten spießig-intellektuellen Flirt mit dem Porno abglitt, liegt an den meist behutsam humorvollen, manchmal zum Schreien komischen Texten. Hier waren harte Arbeit und sorgfältige Recherche im Spiel. Zwischen Vorpremiere und Premierenabend wurde merklich gefeilt, korrigiert und gestrafft (dabei sind leider einige Perlen geopfert worden). Wunderbar ist ihre Apotheose der russischen Frau, jener tapferen Kosmonautin im dunklen, aber zärtlichen Weltall des ihr angetrauten Versagers. Und die deutschen Männer? Nur so viel sei verraten – zumindest in Nischnyj gelten wir zwar als durchaus intelligente und gutaussehende Zeitgenossen. Doch eigentlich sind wir erbärmliche Feiglinge. Und wer nach dem Absacker auf der Premierenfeier (oder sonst später mal im Leben) noch einmal den Mut aufbringen sollte, in der Gastronomie die Worte „Getrennt, bitte“ zu äußern, dessen Ignoranz muss bewundert werden.

Schließlich die Lieder… Olga Lomenko singt arabisch (und zwar mit jordanischem Akzent, wie ihr von kompetenter Warte versichert wurde), japanisch, französisch, spanisch, deutsch, russisch und englisch. Wie ein Chamäleon rauscht sie durch die Typologien. Gerade ist Olga noch die amerikanische Highschool-Schnepfe (Modell „True love waits“), die ihr Pfadfinderlied quäkt („nasal’no!“), dann plötzlich röhrt sie mit Muppets-Perücke „Tits and Ass“. Verschlossene arabische Chanteuse mit exzentrischem Tanz und sparsamer Gestik, bestrapste Guesch-Patti-Figur, Flamencostar – wenn die Reise doch um die ganze Welt gehen würde… Gerade bei der alten Knef-Schnulze „Eins und eins, das macht zwei“ ertappe ich mich bei dem Gedanken, das Kabarett möge enden und Frau Lomenko einfach weitersingen, den ganzen Abend lang, am liebsten altes, melancholisches Zeug. Ihre Stimme ist warm und kräftig, von unglaublicher Leuchtkraft und Wandelbarkeit. Beim russischen Beitrag (douze points!) hört man eine Hundertschaft Komsomolzen buchstäblich von ferne durch die Taiga herbeimarschieren. Nicht genug loben kann man Dmitrij Sacharow, der sich vom unterbelichteten Stift plötzlich in einen kraft- und gefühlvollen Pianisten verwandelt und dem Kränzchen der großen russischen Heldinnen (Anna Achmatova! Marina Zwetajewa!! Valentina Tereschkowa!!!) noch die zwei süßen Kleinen von Tatu hinzufügt (zusätzlich einer wunderbar grässlichen Performance im rosa Spandex-Hemdchen). Sideman Sacharow ist ein geborener Clown, dessen Part dem bisweilen todernsten Vortrag ein wohlgefälliges Slapstick-Element hinzufügt. Doch auch Olga Lomenko besitzt „funny bones“ – allein, wie sie das Rascheln ihres enganliegenden Stewardessen-Anzugs dramaturgisch einsetzt und den Mann am Klavier anblafft wie eine Moskauer Pförtnerin ist ein Vergnügen.

Am Schluss eine Liebeserklärung an die Liebe. Denn darum schließlich ging es die ganzen zwei Stunden – um die Liebe zur Stimme, zum Körper, zur Musik und zu verwandten Seelen. Sehr zu empfehlen.

(Stefan Horlitz)

Weitere Informationen unter:
www.olga-lomenko.de
www.who2.com/valentinatereshkova.html

Ein Kommentar anzeigen

  1. „große Feuerkugel“ war ein Gebäude – wichtiger „Gebäudekomplex“ in Leipzig. über dem Eingangsportal hing der Schriftzug, der beim „Neubau“ der Moritzbastei hierher kam

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