„Bin weder Fräulein, weder schön…” – Ein Gretchen-Theaterkabarett (Babette Dieterich)

Gretchen 89 ff.
Theaterkabarett von Lutz Hübner
Krystallpalast Varieté

Gretchenvariationen mit bissigen Witz

Oft kommt das Gretchen nicht einmal zu jenem sprichwörtlich gewordenen Satz, der die berühmte Kästchenszene aus dem Faust, Seite 89 ff., beschließt: „Nach Golde drängt, / Am Golde hängt / Doch alles! Ach, wir Armen!“ Und warum nicht? Da ist „Der alte Haudegen“, ein Regisseur vom alten Schlag, der sie mit seinen Anekdötchen daran hindert. Oder der junge Rapper mit dem freudianischen Blickwinkel, der vor lauter Phallussymbolik auch nicht bis zum Höhepunkt kommt.

In zehn Variationen wird die berühmte Szene durchgespielt, immer zu zweit, zumeist im Spannungsfeld Regisseur – Darstellerin. Die vier Schauspieler des Abends, die diese tragisch-komischen Geschichten aus der Theaterprovinz als bunte Perlen aufreihen, sind die Fernsehstars der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ Dieter Bellmann, Thomas Koch, Andrea-Kathrin Loewig und, als Gast, Heike Jonka. Doch so provinziell kommen diese Kabinettstückchen gar nicht daher. Hier werden Regisseure, Darsteller, Dramaturgen und Hospitanten in einer zwar starken Überzeichnung, jedoch nur allzu bekannt dargestellt. Marotten, die man auch an Großstadttheatern durchaus erleben kann.

Da ist zum Beispiel „Die Diva“, die es dem jungen Regisseur erst einmal zeigen muss, wie man inszeniert. Oder „Der Streicher“, ein moderner, intellektueller und etwas vergesslicher Regisseur, der mit der permanenten Frage „Brauchen wir das?“ jeden Satz abklopft und am Ende ein belangloses Fragment der Szene übrig lässt. „Das Tourneepferd“, ein angegrauter Regisseur mit Wiener Charme, will von allen gemocht werden. Doch er will hauptsächlich eines: An den jungen Dingern fummeln. Und die Gretchenszene wird zum Operettenauftritt mit Walzermelodie. Ein weiterer erfreulicher Aspekt an diesem Theaterabend: Die Live-Musik. Stefan König begleitet die einzelnen Szenen am Klavier, variiert das zentrale Lied „Es war ein König in Thule“, und schafft gelungene Szenenübergänge. Er könnte sogar noch stärker in das Bühnengeschehen integriert werden und sich musikalisch bemerkbar machen.

Andrea-Kathrin Loewig überzeugt als variantenreiche Gretchendarstellerin. Sie zeigt als Anfängerin ungebrochenen Enthusiasmus und als Diva grenzenlose Arroganz. Heike Jonka verleiht vor allem der bizarren, verkopften Dramaturgin, die sich als Regisseurin bei einem freien Faustprojekt ausprobieren darf, glaubwürdige Züge. Thomas Koch mimt gekonnt den verunsicherten Jungregisseur, den rappenden Freudianer und den arbeitslosen Schauspieler, der im avantgardistischen Faustprojekt das Gretchen spielen soll. Einzig als Hospitant in der letzten Szene wirkt sein Spiel etwas unglaubwürdig und zu vertrottelt. Dieter Bellmann verleiht dem „Tourneepferd“ Wiener Schmäh, überrascht aber auch in eher tragischen Rollen wie dem „Schmerzensmann“, einem kettenrauchenden Regisseur jenseits des Karriereknicks, desillusioniert und voller Hass auf das eigene Metier. Diese ersten Töne geben der Selbstpersiflage auf das Theater weitere, bereichernde Farben. Regie des gelungenen Abends führte Peter Wekwerth. Ob er ein „Streicher“, Tourneepferd“ oder „Freudianer“ ist, blieb jedoch offen.

(Babette Dieterich)

Vorstellungen immer dienstags bis 30.11.04 jeweils 20 Uhr
Kartenhotline: 0341 / 14 06 60
kartenverkauf@krystallpalastvariete.de

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