Schlechte Erziehung – Pedro Almodóvars neuestes Kunstwerk (Maike Schmidt)

La mala educación – Schlechte Erziehung

Spanien 2004/ 106 Minuten
Regie: Pedro Almodóvar
Darsteller:
?ngel/ Juan/ Zahara: Gael García Bernal
Enrique Goded. Fele Martínez
Padre Manolo : Daniel Giménez – Cacho
Paquito: Javier Cámara
Kinostart: 30. September 2004

(Bilder: Verleih)La pasión de Pedro Almodóvar

Wenn ein Mensch die Möglichkeit erhält, sein Leben, sein Schicksal zu ändern, indem er sich an seiner Vergangenheit rächt, so ist dies immer verbunden mit einer außerordentlich tragischen Komponente, die einem glücklichen Ausgang meist im Weg steht. Wenn ein Mensch aber nur in seiner Phantasie einen perfiden Plan ausheckt, welcher Genugtuung weil Gerechtigkeit bringt, so bleibt manchmal ein Stück Papier zurück, das einen unglücklichen Ausgang nicht für möglich hält. Als Ergebnis kann so ein Drehbuch entstehen, welches in filmischer Form beides verbindet und zwischen Glück und Unglück keinen Unterschied mehr macht. So beginnt der neue Film von Pedro Almodóvar.

Enrique ist Regisseur, gerade bei der morgendliche Suche nach einer neuen Idee für einen neuen Film, als diese in Gestalt von Ignacio in sein Leben tritt. Dieser hält in den Händen ein Drehbuch, welches Enrique auf eine Reise in seine eigene Vergangenheit einlädt. Denn Ignacio ist nicht irgendwer, sondern sein bester Freund aus Kindertagen, die beide in der Abgeschiedenheit einer Klosterschule verbracht haben. Hier stellt sich dem Zuschauer der eigentliche Beginn der Geschichte dar; eine Geschichte um Freundschaft, Angst und der eigenen Machtlosigkeit über das Leben. Ignacio hat diese Geschichte niedergeschrieben, hat abgerechnet mit der Vergangenheit, um ein glückliches Ende zu finden. Und so reist der Zuschauer mit Enrique zurück in die 60er Jahre, an einen kleinen Ort, an dem dem kleinen Jungen Schlimmes widerfahren musste. Das Drehbuch mit dem Titel „Der Besuch“ erzählt von Padre Manolo, den eine Sehnsucht treibt – die Sehnsucht nach einem kleinen Jungen mit wunderschöner Stimme, den er besitzen muss, einfach weil er es kann. Dieser Junge ist Ignacio, welcher Jahre später an diesen Ort zurückkehrt, um Rache zu nehmen. Ignacio heißt nun Zahara, welche immer noch singt, aber nicht mehr über Gott, sondern über Männer, die vielleicht mehr halten, als sie versprechen. Auf seinem Weg Richtung Gerechtigkeit trifft er auf den einst so geliebten Enrique, der sich in dem Drehbuch als Wegweiser auftut und Ignacio/ Zahara in dem Vorhaben bestärkt – denn ihre Trennung war Padre Manolos Schuld.

Dies ist die eine Seite der Erzählung, die Vergangenheit. Der Film sieht dieser lange zu, bevor er sich wieder in der Gegenwart umtut und Enrique reagieren und agieren lässt. Diesen überkommen Zweifel über die Identität Ignacios. Erst hat er ihn nicht wiedererkennen können, dann erinnert sich dieser nicht an kleine Details ihrer Freundschaft. Enrique stellt Nachforschungen an und erfährt den wirklichen Abschluss der Geschichte, welcher sich so ganz anders darstellt als es das Drehbuch wollte.

„Schlechte Erziehung“ nimmt sich verschiedenen Erzählsträngen an; Fiktion und Realität vermischen sich innerhalb des Filmes, trennen sich wieder und erscheinen doch niemals alleine möglich. Enrique entscheidet sich, das Drehbuch zu verfilmen, ändert aber den fiktiven, glückhaften Schluss in einen der Realität viel näherkommenden – dies ohne sein Wissen. Erst die Begegnung mit Padre Manolo lässt Enrique das wahre Ausmaß des Schicksals seines Freundes und sein eigenes erkennen.
Ein Drehbuch führt zu einem Film, der Film führt zu einem Drehbuch, welches eine Geschichte erzählt, die über die filmischen Möglichkeiten hinaus Realität erzeugt. Pedro Almodóvar impliziert seinem Film hier die filmische Essenz selbst. Ähnlich wie schon in Sprich mit ihr werden verschiedene Realitätsebenen in einen neuen Zusammenhang gestellt, und eine ganz eigene Linearität entsteht. Immer wieder muss der Zuschauer für sich prüfen, wo der Film ihn gerade hingeführt hat; wenn man z.B. begreift, dass der „erste“ Padre Manolo doch nur ein Schauspieler ist, der vor unseren Augen aus seiner Rolle tritt und von dem „zweiten“ echten Manolo abgelöst wird, der sich nun allein als Filmfigur auszugeben hat, verwischen die Grenzen der filmischen Authentizität und treten an gleicher Stelle um so deutlicher vor Augen. Dieses Spiel mit dem Film an sich funktioniert so reibungslos, dass es einen in rechte Verzückung versetzen möchte und man das Schlussbild, welches dem Zuschauer das Wort „passion“ entgegentreten lässt, nur noch dem wahren Regisseur zuweisen kann. Almodóvar hat wieder einmal gezeigt, wie liebevoll er seine Leidenschaft dem Zuschauer näher bringen kann. Es war mir wie immer eine Freude. Gracias. (Maike Schmidt)

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