Groove-Dialoge: Die 28. Leipziger Jazztage starten wieder in den verschiedenen Spielstätten
Ich traf letztens zufällig einen alten Freund auf der Straße. Wir hatten uns viele Jahre nicht gesehen. Früher haben wir mal zusammen Musik gemacht, Jazz natürlich. Nachdem wir uns drei Stunden über die „guten alten Zeiten“ unterhalten hatten, fragte ich ihn zum Abschied, ob wir uns im Oktober bei den Jazztagen wiedersehen werden. Mein Freund meinte, Jazz interessiere ihn nicht mehr so, das wär‘ doch immer dasselbe. Er sei gelangweilt von dieser muffigen Stagnation, der Wiederkehr des ewig Gleichen. Mein Freund ist Nietzscheaner, müssen Sie wissen. Ich sagte ihm: „Mensch, alter Schwede, nimm dir die Zeit und geh zu den Jazztagen! Wirst sehen, es lohnt sich!“ Daraufhin er: „Ach ich weiß nicht, dieses Thema-Impro-Thema-Gedudel geht mir ziemlich auf die Nerven. Ich steh mittlerweile total auf Wagner, das ist was Handfestes!“ Nachdem ich ihm faschistoide Züge vorgeworfen hatte, ging ich eigentlich davon aus, dass ich ihn bei den Jazztagen wohl nicht treffen würde.
Umso erstaunter war ich, als er mir dort begegnete. Ich fragte: „Na, Kollege Schnürschuh, wohl die Nase voll von Wagner?“ Er: „Nö, das nicht; ich bin nur hier, um Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Ich möchte herausfinden, warum ich früher Tristano mehr mochte als Tristan und überhaupt, wie es kommt, dass so viele Leute Wagner hassen und Jazz lieben, wo es doch auf der Hand liegt, dass Wagnermucke göttlich und Jazz muffig und langweilig ist.“ Ich legte ihm nahe, doch erst mal ein paar Konzerte zu hören und die Vorurteile zumindest vorerst zurückzustellen; es könne ja durchaus sein, dass ihm die eine oder andere Combo gefalle, vielleicht sogar mehr als Wagner. Darauf erwiderte er: „Das ist so wahrscheinlich wie eine Konversion des Papstes!“
Ich verlor meinen Freund im Laufe der Jazztage aus den Augen. Erst am Samstagabend, nach dem letzten Konzert, sahen wir uns an der Garderobe wieder. Wir gingen etwas trinken und unterhielten uns über das in den vergangenen Tagen Gehörte:
„Bist du immer noch der Meinung, dass Jazz öde und Wagner der größte Musiker aller Zeiten ist?“ – „Nun ja, ich muss gestehen, dass eine alte Liebe neu entflammt ist, was nicht bedeutet, dass ich Wagner nicht mehr liebe.“ (Wir lachen beide.) – „Oho, eine alte Liebe ist neu entflammt. Schau‘ einer an! Bei welchem Konzert ist denn der zündende Funke übergesprungen?“ – „Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich denke es waren mehrere Konzerte, die das Feuer wieder entfacht haben, um im Bild zu bleiben. Vor allem drei Bands haben es mir angetan: das James Carter Organ Trio, das Duo Thomas Heberer und Dieter Manderscheid, und das McCoy Tyner Trio.“ – „Aha, und warum gerade diese Formationen?“ – „Nun, bei James Carter, das musst du zugeben, ist die Sache ziemlich klar. Er ist der Teufel! Ein Saxophon spielender Teufel, die Ausgeburt der Hölle! Wenn der Typ einmal warm ist, dann spielt der einfach jeden Saxophonisten an die Wand. Wie der in sein Horn röhrt! Ich habe noch nie einen so vielseitigen Saxophonisten gehört. Kennst du einen, der auf dem Tenor-, Alt- und Sopransax gleichermaßen virtuos spielen kann? Ich nicht. Kennst du einen, der ebenso Blues, Soul, R&B, Funk, Freejazz sowie Hardbop auf diesem Niveau spielen kann? Na, na, nicht? Außerdem spielt der Typ auch klassische Konzerte, habe ich gelesen. Ich denke, der würde auch Wagner spielen, wenn der was für Saxophon geschrieben hätte.“ – „Wie fandest du seine Band?“ – „Der Schlagzeuger groovte zwar wie eine Lok, aber solistisch war mir das nix; da fand ich den Organisten besser, der kochte ein verdammt heißes Süppchen mit viel Groove und scharfen Soli-Gewürzen.“ – „Ja, das sehe ich auch so. Da sind wir uns also einig. Aber sag‘ mir, warum dir das Duo Heberer und Manderscheid imponiert hat.“ – „Ganz einfach, ich fand das Konzept der beiden schlüssig. Zugegeben die Idee ein Louis Armstrong-Tribute-Konzert zu geben klingt nicht besonders spannend, aber wie die beiden das umgesetzt haben, war doch sehr geschmackvoll.“ – „Ja, du hast recht; die eingespielten Armstrong-Zitate zu der gedämpften Trompete und dem warmen Kontrabass-Sound, eine ungewöhnliche aber überzeugend intime Konstellation. Für mich das schönste Konzert der gesamten Jazztage.“ – „Na aber McCoy Tyner war ja wohl das absolute Highlight, oder? Wie der alte Mann die Tasten spielt! Und mit was für einem Tempo, mit was für Power der harmonisch-rhythmische Gebäude errichtet, einreißt und umbaut! McCoy Tyner ist ein wahrhaft phantastischer Pianist, ein Gigant, ein Koloss. Genauso wie Wagner ein Gigant und Koloss war.“ – „Nur dass Wagner wahrscheinlich nicht so gut Klavier spielen konnte, geschweige denn improvisieren.“ – „Dafür war er der größere Komponist!“ – „Geschenkt, jedenfalls hatte Wagner nicht diese Rhythmusgruppe.“ – „Oh, George Mraz am Bass ist ein Traum, in der Tat, und dieser Eric Harland ist ein Schlagzeuger ganz nach meinem Geschmack. Hat mir sehr gefallen!“ – „Und außer diesen Bands hat dir nichts zugesagt?“ – „Doch, doch, dieser jungsche Leipziger Saxophonist, wie hieß er noch mal?“ – „Markus Kesselbauer.“ – „Ja, der war dufte. Wie der als special guest bei James Carter eingestiegen ist! Da hat er echt einen gucken lassen und Carter musste ganz schön ins Horn blasen, um ihm zeigen zu können, wie der Hase läuft, bzw. wer der Meister ist.“ – „Und wie fandest du die Bandprojekte, die sich der zeitgenössischen Clubszene angenommen haben?“ – „Meinst du Bugge Wesseltofts ,New Conception of Jazz‘ und Alex Gunias Band ,Peace‘?“ – Ja, genau die.“ – „Wesseltoft & Co. fand ich musikalisch etwas ausgereifter und feinsinniger; Gunia & Co. hatten aber eindeutig mehr Beat und waren so gesehen noch näher an der Clubszenen-Ästhetik dran. Wenn ich tanzen gehen wollte, würde ich also ,Peace‘ präferieren, wenn ich chillen wollte, dann ,New Conception of Jazz‘.“ – „Gab es denn irgendeine Gruppe bei den Jazztagen, die dir überhaupt nicht gefallen hat?“ – „Ja, das Quartett John Tchicai/Konrad Bauer/Vitold Rek/Makaya Ntshoko.“ – „Was hat dir an diesem Quartett missfallen?“ – „Die Musik war schlichtweg langweilig. Irgendwie hatte man das Gefühl, dass die Jungs nicht richtig beisammen waren. Was die vier gespielt haben, hörte sich für mich unambitioniert und uninspiriert an, so als hätten sie keine Lust gehabt. Vielleicht war das das Konzept, aber es war langweilig und ich denke, dass ich nicht der einzige war, der das so empfunden hat.“ – „Ich fand die Musik auch langweilig; wer weiß was hinter den Kulissen los war; vielleicht haben sie sich vor dem Konzert gestritten.“ – „Ja, vielleicht. Sei’s drum, die Jazztage waren alles in allem eine Art Offenbarung für mich. Ich habe meine Liebe zum Jazz neu entdeckt, weil ich darauf gestoßen wurde, wie heterogen diese Musik doch ist, wie lebendig sie ist und zeitgemäß. Das hatte ich schon ganz vergessen. Die Jazztage haben mich daran erinnert.“ – „Also sehen wir uns nächstes Jahr wieder?“ – „Wir sehen uns sicher schon bald wieder und zu den Jazztagen im nächsten Jahr sowieso.“ – „Und Wagner?“ (Wir lachen beide.)
28. Leipziger Jazztage
13. 10. – 16. 10. 2004, verschiedene Spielstätten
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