Nichts wird gut

Jammern auf hohem Niveau : Ein neues Album von der Band Kante

Man hält es nicht aus. Am Anfang hält man es wirklich nicht aus. Die Texte, zu allem Überfluss auch noch auf deutsch, sind erschreckend. „Wo ist das Licht, das unsrer Welt den Glanz verlieh? / Es ist, als wär ein Stern erloschen, / als wäre er im Fall verglüht, / als wenn er alles Dunkel an sich zieht.“ Das hört sich doch, Entschuldigung, an wie ein selbst für die Bravo-Lyrik-Seite zu übersteigertes Gedicht aus dem Poesiealbum eines emotional orientierungslosen Teenagers. Oder: „Unser Schmerz und unsere Wunden / sind unser größtes Kapital.“ Bitte! Wir sind hier nicht in Gothik-Country. Oder: „Der Nebel wird uns sanft umhüllen / und wir werden uns verlieren.“ Puh. Als „richtungslosen Großstadt-Pop“ hat jemand einmal Musik mit dieser Art von Texten bezeichnet – man könnte auch „Schlager für Leute, denen es peinlich ist, Schlager zu mögen“ dazu sagen. Künstlerische Freiheit hin, Eindringlichkeit verschachtelter Poesie her – was zuviel ist, ist zuviel.

Warum das Album Zombi von Kante, von dem all diese Zitate stammen, trotzdem eines der besten deutschsprachigen Alben dieses Jahres ist, ist nicht so leicht zu erklären. Am deutlichsten wird es, wenn man die Lieder live hört; wer am 21. Oktober beim Kante-Konzert im Leipziger Conne Island war, weiß, was gemeint ist. Für alle anderen: Die Hamburger Band um Peter Thiessen, der bezeichnender Weise von 1996 bis 2002 nebenher Bassist bei Blumfeld war (was eventuell den Stil seiner Kante-Texte erklärt), betreibt einen musikalischen Aufwand von ungeahntem Ausmaß und erstaunlicher Wirkung.

Bruchstücke aus Elektronik, Rock und Jazz vermischen sich mit halbwegs vertrautem Landungsbrücken-Pop, mit dem Ergebnis, dass es von Kontrabass und Posaune dominierte Lieder gibt, die eigentlich schon eher Stücke sind, und andere, die man nach dem ersten Hören mitsingen kann (wobei, das muss leider noch einmal gesagt werden, die meisten der Texte nicht gerade dazu einladen, aber immerhin von einem gewissen Mut zeugen). Die im Pressetext zum Album rührend beschriebenen Lieder (über Ein schwaches Gift heißt es dort „Ein Plädoyer für Immunschwäche“, über den Titelsong Zombi „Für Dorffreaks und Modespezies gleichermaßen geeignet“) werden von der Band auf der Bühne mit einer solchen Intensität dargeboten, dass es Dean Moriarty eine Freude gewesen wäre. Die Musik verströmt sich in alle Richtungen, und im Kante-Tourtagebuch kann man über das Konzert lesen: „Die langen Instrumental-Freak-Nummern fanden besonders großen Anklang.“ So war es tatsächlich bei dem über zwei Stunden dauernden Konzert im Conne Island, und das ist eine kleine Sensation.

Die Lieder auf Zombi dauern im Durchschnitt über sechs Minuten – ziemlich lang für Popsongs. Während es auf Kantes letztem, hochgelobten Album Zweilicht (2001) noch ein eindeutiges Highlight, die Single Die Summe der einzelnen Teilen, gab, ist das neue Werk wohl eher als Gesamtkunstwerk zu verstehen. Produzent Tobias Levin hat hier, ähnlich wie seinerzeit beim Weißen Album von Tocotronic, die Stücke ausgewogen arrangiert, ohne sie eintönig werden zu lassen. Besonders im Gedächtnis bleibt einem aber schließlich doch der Titelsong: Eine Art musikalische 2004-Version von Allen Ginsbergs Howl mit – ja, tatsächlich – stellenweise sehr gutem Text: „Wir sehen unmöglich aus, / wir sind der Zeit voraus, / wir sind die wunde Stelle / mitten unter euch.“ Und: „Im Rahmen der Möglichkeiten / sind wir ein hoffnungsloser Fall.“ Und zum Schluss: „Wir stehen auf der Schwelle / einer neuen Zeit.“ Sollte dem wirklich so sein, gehört Kante die Zukunft.

Kante:
Zombi

Labels / Kitty-Yo

VÖ: 16.08.2004

Tracklist:

01 – Moon, Stars and Planes
02 – Schwaches Gift
03 – Im Inneren der Stadt
04 – Zombi
05 – Baron Samedi
06 – Wenn man im Atmen innehält
07 – Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen
08 – Wo die Flüsse singen
09 – Warmer Abend
10 – New Babylonwww.kantemusik.de
(Auf der Homepage von Kante kann man sich alle bisher von der Band veröffentlichten Lieder, so auch die zehn Zombi-Titel, in voller Länge anhören.)Fotos: Jeanne Faust

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