1001 düstere Spielchen

„Devot” feiert Premiere – ein Film aus Leipzig und Halle

„Devot“ ist ein Signalwort an unsere Phantasie, die einen Film, der sich so nennt, im Zwischenraum der Gelüste und Bizarrerie verortet. So ähnlich mag es Igor Zaritzki gewollt haben, der seinen Film ganz unbewusst in eine Riege lokaler, junger Produktionen einreiht, die von den schummrigen Orten Leipzigs und Halles profitieren und als experimentelle Thriller oder Psychothriller auf sich aufmerksam machen. Mathilda von René Reinhardt ist das nächstliegende Beispiel, das sich Devot zudem in seiner Geschichte ähnelt: In krimineller Atmosphäre trifft weiblicher Täter auf scheinbar unschuldiges, männliches Opfer, um kammerspielartig nach schaurigen Offenbarungen in einen abgründigen Liebestaumel zu münden. Schon Reinhardts Monstrum sah das Völkerschlachtdenkmal als Motiv mysteriöser Gaunerei. Ebenso Thriller wie Komödie und Drama ist Die Datsche aus der Leipziger Produktionsfirma Equinox Film. Und auch Dito Tsintsadze wählte für seinen wundervollen Streifen Schussangst das dunkle, verregnete Halle an der Saale, um feinfühlig der Entwicklung eines Zivildienstleistenden zu einem Killer beizuwohnen.

Desgleichen scheint auch Devot von seiner unverbrauchten Kulisse inspiriert zu sein, einem stillgelegten Fabrikgelände in Halle, das im Film die eigentümlich hermetische Loft-Wohnung des Künstlers Henry Richter beherbergt. Dorthin nimmt er die vorgebliche Prostituierte Anja mit, die sich kurz zuvor noch von der Brücke stürzen wollte. Dass Anja keine Hure ist, wird sehr bald schon offensichtlich. Mit welchen Absichten sie sich aber mitnehmen lässt und zusammen mit Henry eine Nacht voller gegenseitig demütigender Spielchen verbringt, bleibt nur zu erahnen. Auch Henrys Absichten sind keinesfalls jene klaren, die er zu Beginn ihrer Begegnung vorgibt. Als Anja versucht, mit seinem gestohlenen Portemonnaie zu entfliehen, entgegnet ihr Henry darauf mit ungeahnter Brutalität. Er fesselt sie an einen Stuhl, steckt ihr Kokain zu und ruft die Polizei. Während sie warten, gibt er der Situation jedoch eine Kehrtwendung ins seltsam Beängstigende. Er erzählt seinem Opfer die Geschichte der Sheherazade, die vom König gezwungen, 1001 Geschichten erzählen muss, damit er sie nicht tötet, was letztlich auch nicht folgt, weil aus den 1001 Nächten, die sie Geschichten erzählend und zuhörend miteinander verbrachten, viele gemeinsame Kinder erwuchsen.

Wie eine Sheherazade unserer Zeit entwickelt sich Devot zu einem Spiel mit 1001 Wendungen. Auch Anja wird von Henry gezwungen, eine Geschichte zu erzählen und wählt jene über ein Schulmädchen, dass von den Klassenkameraden vergewaltigt wird. Von dieser Erzählung so sehr in den Bann gezogen, weil Henry ahnt, dass es Anjas ganz persönliche ist, lässt er sich überreden, die Polizei nicht mehr herkommen zu lassen. Stattdessen nimmt ihr Spiel der Täuschungen und Lügen, Verführungen und Sadismen in der geheimnisvollen Wohnung ihren Lauf.

Zaritzki ist die Lust am Spielen anzumerken. Die Qualitäten der kostspieligen 35mm-Kamera ausnutzend ist der Film eine Augenweide aus Perspektiven, Licht und Schatten und einem detailversessenen Interieur der Szenenbildnerin Petra Albert und des Kameramanns Guntram Franke. Sie beide folgen Zaritzkis unvorhersehbarem Drehbuch mit der gleichen Spielfreude wie die Schauspieler Simon Böer und Annette Renneberg, die schon für Peter Zadek auf der Bühne stand und einige Filmerfahrung mitbrachte. Böer ist herrlich anzusehen, wie sein strenger Gesichtsausdruck und gestählter Körper langsam durch die Hassliebe zu Anja aufweicht. Und Renneberg ist eine große Entdeckung mit ihrer grazilen Figur, den tiefdunklen Augen und einer geschmeidigen Spielweise zwischen Kindlichkeit und Gefährlichkeit wankend.

Wodurch der Film polarisieren wird, ist sein Plot. Was hält die beiden zusammen? Können die unzähligen Wendungen wirklich dauerhaft Spannung und erzählerische Kohärenz erzeugen? Nicht selten droht Devot mithin ins Groteske abzurutschen. Es bleibt das Verdienst seiner Schauspieler, dass es nicht zu einer Lächerlichkeit wird. Wer sich von Devot daher trotzdem inspirieren lassen möchte, der muss sich darauf einlassen, die eigenen Abstraktionen weiterzudenken. Die Analogie zur Sheherazade mag eine Anregung an die Erzählweise des Films sein. Auf seinen Inhalt wirft der Titel weitere Fragen, obwohl Devot zunächst nur zufälliger Arbeitstitel gewesen sein soll, so Zaritzki, und es dann ebenso zufällig dabei geblieben sei. Kaum vorstellbar, denn der Begriff „devot“ ist in seiner Doppeldeutigkeit von „unterwürfig“ und „Hingabe“ (englisch: devotion) genau jenes nötige Puzzlestück, das dem Film die letzte spielerische Raffinesse verleiht. Devot ist ein Spiel auf der Leinwand und ein Spiel zwischen Leinwand und Zuschauer, ein Film von bewundernswerter Geschlossenheit, gleichwohl erfrischender Experimentierfreude – ein Film, der so nur hier entstehen konnte.

Devot
Deutschland 2002, 92 min.
Regie, Buch, Produktion: Igor Zaritzki
Kamera: Guntram Franke
Darsteller: Annette Renneberg, Simon Böer
Passage-Kinos, Deutschlandpremiere
und Kinostart: 11. November 2004


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