Anziehende Metamorphose und abstoßende Metapher

Kunst kommt von Können: Eine Leipziger Doppelausstellung

Die Zeit zwischen Volkstrauertag und Totensonntag ist naturgemäß nicht die schönste im Jahr. Dieses Jahr jedoch ist sie noch ein bisschen weniger schön als sonst, und daran sind nicht nur der viele Regen und der amerikanische Präsident schuld, sondern vor allem die Tatsache, dass zwei der herausragendsten Künstler Leipzigs und Deutschlands diese Zeit nicht mehr erleben. Wolfgang Mattheuer ist am 7. April 2004 gestorben, Werner Tübke am 27. Mai 2004.

Die Leipziger Ratsversammlung hatte bereits im Mai dieses Jahres beschlossen, Mattheuer und Tübke sowie deren Künstlerkollegen Bernhard Heisig die Ehrenmedaille der Stadt zu verleihen – Heisig nahm sie im Sommer persönlich in Empfang, und stellvertretend für ihre verstorbenen Ehemänner erhielten nun am 16. November Ursula Mattheuer-Neustädt und Brigitte Tübke-Schellenberger die aus Silber und Serpentinstein gefertigten Medaille. „Viribus unitis“ lautet die Inschrift darauf, „Mit vereinten Kräften“, und das hätte durchaus auch das Motto des Festaktes im Alten Rathaus sein können.

Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, Altbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, Kulturdezernent Georg Girardet, Bundes- und Landtagsabgeordnete, Freunde und Verwandte von Tübke und Mattheuer – alle waren gekommen, um die Ehrung der beiden Malerpersönlichkeiten (der Potsdamer Kulturwissenschaftler Heinz Schönemann verglich sie in seiner Festrede mit Cranach und Dürer) beizuwohnen. Die beiden „Lehrer im besten Sinne des Wortes“ (Tiefensee) wurden vom Oberbürgermeister in dessen Ansprache als Ausnahmeerscheinungen der deutschen Kunstszene gewürdigt; souverän, streng und unbeeindruckt vom Innovationszwang ihrer Zeit seien sie gewesen, extravagant und auch im politischen Geschehen zu Hause. Mattheuer, den seine Allegorien zu DDR-Zeiten des Dissidententums verdächtig machten, und Tübke, der seine Professorenstelle an der Leipziger HGB vorrübergehend wegen Formalismusverdachts verloren hatte, seien als Mitbegründer der Leipziger Schule wichtige Stichwortgeber gewesen, die eine „wohltuende, belebende, auch aufreizende Diskussion“ entfacht hätten. Als große Intellektuelle haben sie, so Tiefensee, in schwierigen Zeiten Gegenwelten erschaffen für die, die sehen wollten und sehen konnten.
Als nach gut einer Stunde Medaillen und Urkunden übergeben und die letzten Töne des für die musikalische Untermalung der Feier zuständigen Trios verklungen waren, war aber der Abend für die Tübke-Freunde noch lange nicht zu Ende.

Nur einige Meter vom Alten Rathaus entfernt, im Neubau des Stadtgeschichtlichen Museums, eröffnete nämlich im Anschluss an die Auszeichnung der Künstler die Ausstellung Werner Tübke. Meisterblätter und ausgewählte Gemälde. Museumsdirektor Volker Rodekamp wies auf die Besonderheiten der ausgestellten 74 Zeichnungen und Aquarelle Tübkes hin: Der Künstler, der in seinen letzten Lebensmonaten nur noch gezeichnet hatte und sein Leben auf diese Weise Revue passieren ließ, sah sich selbst nicht nur als den Maler, den die meisten mit seinem Namen in Verbindung bringen. Sicher, das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen oder auch das in der Uni Leipzig zu bewundernde Großgemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“ haben nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Aber: „Zeichnen ist ein elementares Bedürfnis, alles andere kommt dann“, offenbarte Tübke vor 25 Jahren, und wer seine Zeichnungen gesehen hat, wird feststellen, dass sich die Themenvielfalt und der eindrucksvolle Stil des Künstlers auch hier wiederfinden lassen.

Doch auch einige Ölgemälde zeigt das Stadtgeschichtlichen Museum, so zum Beispiel das bisher nie gezeigte Werk „Herbst ’89“ und das letzte Gemälde Tübkes, welches er nicht mehr vollenden konnte. Strandlandschaften, Porträts, „Übungen“ rund um das Panorama-Gemälde und auch mysthische Sujets beweisen, dass Tübke die Welt nicht mit dem rückwärtsgewandten Blick sah, der ihm oft nachgesagt wird. Eduard Beaucamp, langjähriger Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schreibt im Katalog zur Ausstellung: „Über den Rückgriff in die Vergangenheit will Tübke Zukunft entwerfen.“ Beaucamp, der – noch mit Tübke zusammen – die Ausstellung konzipiert hat, über den Künstler, der sich, obwohl in Schönebeck geboren und aufgewachsen, als Leipziger fühlte: „Aus dem bunten Panorama der Gegenwartskunst hebt sich das Werk des Leipziger Malers und Zeichners Werner Tübke durch beispiellose Extravaganz heraus. Als es vor etwa dreißig Jahren im Westen bekannt wurde, diskutierte man es als Phänomen der Postmoderne. Tübke konterte schon damals ironisch, er könne schlechthin nicht postmodern sein, da er nie modern gewesen sei.“

Und wer dann die Ausstellung mit Tübkes Meisterblättern verlässt, begegnet wenige Meter weiter wieder Mattheuer: Im neuen Bildermuseum steht sein „Maskenmann“; gut sichtbar für Passanten ist die Plastik aufgebaut, im Lichthof am Haupteingang, und erinnert an einen der wichtigsten Leipziger Künstler. Es gilt, grundsätzlich und besonders für Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer: Das Leben ist kurz, die Kunst aber lang.

Postume Übergabe der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig an Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke
16.11.2004, 18:00 Uhr
Altes Rathaus, Festsaal

Eröffnung der Ausstellung Werner Tübke. Meisterblätter und ausgewählte Gemälde
Dauer: 17.11.2004 bis 30.01.2005
16.11.2004, 19:00 Uhr
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Neubau

Katalog zur Ausstellung:
Eduard Beaucamp: Werner Tübke Meisterblätter
Hrsg. von Herwig Guratzsch
Prestel Verlag München/Berlin/London/New York
Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, 2004
27,- € an der Museumskasse, 48,- € im Buchhandel

Tübke-Bilder (Stadtgeschichtliches Museum):
1. Harlekin am Strand, 1965
2. Zwei Mädchen, 1970
3. In Torcello/Venedig, 1974
4. Ignatius von Loyola, 1978

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.