Avet Terterian: „Das Beben” (Steffen Kühn)

„Das Beben“ Oper von Avet Terterian
Wiederaufnahme, 13. November 2004, Theater am Gärtnerplatz München
Oper in zwei Teilen
Libretto von Gerta Stecher und Avet Terterian
Musikalische LeitungEkkehard Klemm
InszenierungClaus Guth
Raum und KostümeChristian Schmidt
VideoAlex Buresch, Kai Ehlers
LichtGeorg Boeshenz
DramaturgieKonrad Kuhn
ChoreinstudierungHans-Joachim Willrich, Christian Jeub
Mitarbeit RegieKai Grehn


Nachbeben am Gärtnerplatz

Eine armenische Fabel berichtet von einem Musiker, welcher wochenlang immer den gleichen Ton auf seinem Cello spielt. Seine Frau erträgt das geduldig, eines Tages berichtet sie ihren Mann, dass sie andere Musiker gehört hätte, welche alle Saiten benutzen und durchaus verschiedene Töne spielen, warum er denn das nicht auch mal versuchen wolle. Da sagt der Mann: Siehst du, die anderen sind noch auf der Suche nach dem richtigem Ton, ich habe ihn bereits gefunden. Terterian hat diese Geschichte geliebt, da sie sehr plastisch seinen absoluten Anspruch an Musik ausdrückt. Am Anfang der Oper haben die Streicher einen Ton ungefähr achtzehn Minuten lang auszuhalten, mit chirurgischer Präzision setzt Terterian dann gegen solche meditativen Flächen einzelne vertikale Geräusche, oft am Punkt, wo man selbst das Bedürfnis verspürt einmal auf die riesigen Trommeln zu schlagen, diese Momente erlebt man beim zweiten Mal anderthalb Jahre nach der Uraufführung sehr intensiv. Das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter Ekkehard Klemm schafft es wieder, diese, für die Welt Terterians ganz spezifische Unmittelbarkeit zu erzeugen. Die konzentrierte Musik öffnet dem Publikum und den Musikern alle Poren. Gierig saugt man dieses Universum an Tönen und Geräuschen in sich ein.
Zurückhaltend, im Thema aber überaus subtil geht die Inszenierung von Claus Guth und Christian Schmidt mit der Welt Terterians um, hier überzeugt wieder der alle Ereignisse kommentierende Tänzer mit der überdimensionalen Maske Kens, Konsumgefährte der Barbiepuppe. In Tradition asiatischer Theater können nur durch den Körper die Gefühle und Emotionen transportiert werden, da das Gesicht durch die immergleiche Maske verdeckt ist. Der Schauspieler, hier der Tänzer, muss dazu jede Faser seines Körpers in der Rolle aufgehen lassen. Durch die Sparsamkeit der dramaturgischen Elemente bewegt sich Musik und Inszenierung auf einer Ebene. Gerade auch im Kontrast mit der bildreichen Inszenierung von „Berenice“, Uraufführung im Mai 2004, von Guth/Schmidt wird deutlich, dass die beiden in ihren Arbeiten eine spezifische Werktreue entwickelt haben, die erst nach der Beschäftigung mit dem Stück eigene Interpretationen behutsam folienhaft ergänzen.
Wie gut ein Theater funktioniert, wenn man es auf den Kopf stellt, lässt wehmütig an die Visionen vom Totaltheater eines Erwin Piscator denken: die flexible Theatermaschine, welche ohne das Korsett der klassischen Aufführungspraxis – Bühne davor das Publikum – veränderbar ist, im Dienste des Stückes, aber auch der sich verändernden kulturellen Bedingungen. Die visionären Entwürfe von Walter Gropius liegen noch in den Archiven! Derweil man am Gärtnerplatz ganz gut mit dem altem Haus zu Recht kommt: das Parkett ist vollständig überbaut für einen Teil des Orchester und das reduzierte Bühnenbild. Weitere Musiker sitzen auf der eigentlichen Bühne vor einer Tribüne, welche den Hauptteil des Publikums aufnimmt. Der Chor ist im Verlauf des Stückes wandelnd im ganzen Haus verteilt, da kann es passieren, dass plötzlich ein Solist im Rang auftaucht und ebenso wieder verschwindet. Als ein Verschwinden könnte man auch den Schluss der Oper beschreiben, plötzlich ist man mit seinen Gedanken und Emotionen allein, wie schade.

( Steffen Kühn )

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