Film Noir bei den Französischen Filmtagen (Lina Dinkla, Marie T. Martin)

10. Französische Filmtage 2004, 17.-24.11.2004
Kommunales Kino in der naTo, Passage-Kinos,
Schaubühne Lindenfels, LUX-Kino (Halle)
www.französische-filmtage.deSérie noire
F 1979, Regie: Alain CorneauVier im roten Kreis / Le cercle rouge
F/I 1970, Regie: Jean-Pierre MelvilleWenn es Nacht wird in Paris / Touchez pas au grisbi
F/I 1954, Regie: Jacques BeckerNur die Sonne war Zeuge / Plein soleil
F/I 1959, Regie: René ClementDas Verhör / Garde ? vue
F 1981, Regie: Claude MillerInspektor Lavardin oder die Gerechtigkeit / Inspecteur Lavardin
F 1986, R: Claude Chabrol

Bilder: Französische Filmtage
1. Vier im roten Kreis
2. Nur die Sonne war Zeuge
3. Série noireDie dunkle Seite des Kinos
Sonderprogramm Film Noir

Sollte man hier als filmwissenschaftlich einseitig vorbelasteter Zuschauer das französische Pendant zum amerikanisch geprägten Film Noir vermuten (The Maltese Falcon, Farewell my lovely oder Touch of Evil), wird man schnell eines Besseren belehrt. Noch schneller sollte man sich von der Idee lösen, die amerikanische Schwarze Serie habe als Vorbild für die Franzosen fungiert oder sei gar das Nonplusultra dieses Quasi-Genres. Kurz tauchen die Fragen trotzdem auf, was einen Noir zu einem Noir macht und warum es dieser Einordnung bedarf – so unterschiedlich, vielfältig und von ungeheurer Bandbreite kommen die ausgewählten Filme dieser Reihe daher.
„Film Noir“ als erste nicht von der Filmindustrie, sondern nachträglich von der Filmkritik eingeführte Stil-Einordnung weist derartig viele, fast widersprüchliche Attribute und Aspekte auf, dass man sich die eben noch gestellten Fragen endgültig sparen möchte. Ursprünglich von der französischen Filmkritik eher abwertend auf amerikanische Detektivgeschichten bezogen, war die Bezeichnung zunächst beschränkt auf Verfilmungen der Romane von Raymond Chandler und Dashiell Hammet (mit Philip Marlowe und Sam Spade als hartgesottene Privatermittler). Der Begriff wurde allmählich auf Filme ausgeweitet, die vordergründig eine Kriminalgeschichte erzählen, sich aber auf einer tieferen Ebene mit dem Zerfall von Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichen Konsequenzen auseinandersetzen. Als typische filmische Mittel gelten starke Licht- und Schattenkontraste, eine durch die distanzierte Kameraführung hervorgerufene unterkühlte, fast sarkastische Stimmung und eine insgesamt eher düstere Szenerie.

Die diesjährigen Französischen Filmtage haben in den Archiven gekramt und neun höchst unterschiedliche Filme, ältere wie neuere, zutage befördert, die sich alle zumindest unter dieser groben Inhaltsbeschreibung subsumieren lassen. Keiner der Filme lässt sich jedoch als „typisch noir“ repräsentativ für diesen Filmstil heranziehen, wurden doch die meisten dieser Filme erst durch eine lange Rezeptionsgeschichte in jenen Kontext eingeordnet.

Melvilles äußerst sparsam inszenierter Vier im roten Kreis mit dem undurchschaubaren Alain Delon gilt als einziger in dieser Reihe als klassischer französischer Noir. Ein komisch abstruser Film wie Série noire wirkt dagegen seltsam ab- und aufgedreht. Dieser trägt das Programm zwar im Namen, weist auf den ersten Blick allerdings keines der typischen Noir-Merkmale auf. Hier spielt der Titel wohl eher auf das schon zynische Pech der Hauptfigur an. In Inspektor Lavardin oder Die Gerechtigkeit interpretiert ein unverwechselbarer Regisseur wie Chabrol den Noir, der daraus eine Mischung aus gallenbittersüßem Humor und ernsthafter Kriminalermittlung macht. Im kammerspielartig angelegten Das Verhör steht im Mittelpunkt ein nervenzermürbendes, aber mit ebensoviel Sprachwitz ausgestattetes Wortgefecht zwischen Kommissar und Hauptverdächtigem. Wenn es Nacht wird in Paris zeigt, auch eher ungewohnt, das Gangsterleben aus der Perspektive des Ruheständlers. Jean Gabin als alternder Meisterdieb Max füllt diese Rolle mit hintergründig subtiler Komik. Auf den Punkt bringt es die Szene, in der er umständlich eine Lesebrille aus der Tasche kramt, um eine Telefonnummer entziffern zu können. Die Verfilmung des Patricia Highsmith Romans „Der talentierte Mr Ripley“, Nur die Sonne war Zeuge, fesselt durch die ambivalente Zeichnung der Hauptfigur, dessen Werdegang man mit wechselnder Abscheu und Sympathie verfolgt.

Die verschiedenen Auslegungen des Noir in den Filmen dieser Reihe lassen sich zwar nur mit Mühen auf einen gemeinsamen Nenner bringen, ein übergreifendes Element aller Filme ist jedoch der abgründige Witz, der mal etwas melancholisch, mal mit einer eher satirischen Note ausgestattet ist.
Als Wehmutstropfen erwies sich allerdings die Präsentation der Filme im Original mit englischen Untertiteln, denn so manches vom doppeldeutigen „Gangstersprech“ blieb durch die zweifache Übersetzung auf der Strecke. Wohl eher unbeabsichtigt trugen zur Stimmung die alten, teilweise wirklich sehr schlechten Kopien bei, durch die schon mal in den letzten zwei Minuten des Films die heitere rotstichige Farbgebung abrupt in einen bläulichen Ton wechselt und der Atmosphäre – durchaus passend zur Handlung – plötzlich etwas Ernstes, Kaltes, Unerbittliches gibt.(Lina Dinkla)Französischer Noir
Vier im roten Kreis / Le cercle rouge

Es ist gut, von Zeit zu Zeit den Werken der Meister wiederzubegegnen, um zu sehen, wie gute Filme gemacht werden: Sie vertrauen auf die Kraft des Bildes. So geschehen in Le cercle rouge / Vier im roten Kreis von Jean-Pierre Melville. Eine ruhig, fast streng erzählte Geschichte von vier Männern, die letztendlich alle aneinandergekettet sind wie die beiden Figuren am Anfang. Der Train Bleu, der den Gefangenen Vogel und Kommissar Mattei nach Paris bringen soll, wirkt wie ein Traumgebilde, ein mythischer Schicksalszug. Vogel, von seinem eigenen Namen verhöhnt, kann nur mit menschlichen Mitteln fliehen – und mit Hilfe von Corney, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Eine hin- und hergeworfene Zigarettenschachtel und ein Blickwechsel besiegeln die Freundschaft. Auch das Nichtgesagte ist etwas Gesagtes bei Melville, die verknappten Dialoge bestechen durch feinen Witz. Die Gesichter der Männer, ihre Gesten, deuten die Tragik nur an. Wenn Alain Delon als Corey Geld aus dem Safe eines ehemaligen Kollegen nimmt, die Fotos der verlorenen Geliebten aber hineinlegt und zurücklässt, gibt es nichts mehr zu sagen. Die Schweigsamkeit wird ironisiert, wenn während des Juwelierraubs nicht gesprochen werden darf. Auf dem Tonband ist danach nichts zu hören, „nicht sehr gesprächig“, sagt ein Polizist – ein Augenzwinkern des Regisseurs. Stets schwingt in den Gesten der Abschied mit. „Wenn wir uns nicht mehr sehen, vielen Dank“, sagt Vogel zu Corey. Und wenn Corey in einem Nachtclub eine Rose geschenkt bekommt und kaum ein Lächeln meistern kann, wissen wir, dass es eine Abschiedsblume ist.

Der dritte im Bunde, der ehemalige Polizist Hansen (Yves Montand), liefert zwar den präzisesten Schuss der Filmgeschichte. Aber alle Professionalität nützt den Dreien nichts, sie können ihrem Schicksal nicht entgehen, es macht sie und auch den Kommissar zu tragischen, gleichgestellten Figuren. Wer hier schuldig ist, das wird einfach entschieden. „Alle Menschen sind schuldig“, sagt Matteis Chef. „Sie werden unschuldig geboren und irgendwann werden sie schuldig“. Als Mattei in dem sterbenden Hansen, dessen Tod er eben mitverantwortet hat, seinen ehemaligen Kollegen erkennt, fragt er ungläubig: „Du?“ Damit spricht er letztendlich auch zu sich selbst.(Marie T. Martin)

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