Korfmachers Giftschrank

Der Tag der Abrechnung ist gekommen

Giftschränke sind in letzter Zeit aus der Mode gekommen. Sie sind nur noch Requisiten romantischer Opern, gehören in Chroniken des Barock oder in Novellen von E.T.A. Hoffmann. Auch Bibliotheken und Rundfunkarchive kommen zum Glück mittlerweile ohne Giftschränke aus, die vor 1989 nicht selten Symbole von Rigorismus, Zensur und Diktatur waren.

Dass der Musikkritiker Peter Korfmacher am Sonntagmorgen, dem 5. Dezember die Tradition der Giftschränke im Kellertheater der Oper wiederaufleben lässt, hat einen anderen Grund. Denn vorgestellt werden CD-Einspielungen, die dem Kulturressortleiter der Leipziger Volkszeitung ganz persönlich als so schlecht und zweifelhaft erschienen, dass sie wegen ihrer mangelhaften Qualität besser unterblieben wären.

Korfmachers Danse macabre durch den aktuellen Musikbetrieb enthält insgesamt vier Kategorien: die überflüssigsten Kompositionen, die missratensten Bearbeitungen bekannter Vorlagen und ein Gruselkabinett, bestehend aus einst großartigen Künstlern auf dem absoluten Tiefpunkt ihrer Karrieren. Gipfelpunkt ist eine Folterkammer der grauenerregendsten Interpretationen aus den letzten siebzig Jahren.

Wenn Edward Simoni auf der Pan-Flöte die Morgenstimmung von Grieg mit dem seltenen Privileg spielt, nicht einen einzigen Ton der Vorlage zu treffen oder wenn die australische Jodelweltmeisterin Mary Schneider sich mit grenzenloser Sorglosigkeit am 5. Ungarischen Tanz von Brahms vergeht, hat Korfmacher die Lacher auf seiner Seite. Wenn der große Geigenvirtuose Ruggiero Ricci sich im Alter von 80 Jahren noch einmal – und leider vergeblich – an einer Paganini-Caprice versucht oder wenn Hermann Prey kurz vor seinem Tod noch einmal mit einer „Winterreise“ auf CD aufgenommen wird, verstummt das Lachen.

Am Ende bleiben in der Show des schlechten Geschmacks Fragen offen: Ist der Text von „Discofieber“ aus dem Musical „Elixier“ wirklich so missraten, wie Korfmacher meint, oder nicht doch auf seine Weise akzeptabel ironisch? Ist es fair, ein Laienorchester dem Gelächter des Publikums preiszugeben? Wie auch immer: Der Januskopf der Musikkritik wird sichtbar.

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