Auch eine Parallelgesellschaft: „Russendisko” von und mit Wladimir Kaminer (Rebecca Maria Salentin)

Wladimir Kaminer- Russendisko
Schaubühne Lindenfels, 18.12.2004

Selbstläufer Russendisko

Im Grunde gibt es zur Veranstaltung „Russendisko“ nicht mehr viel zu sagen. Zweimal jährlich rückt Wladimir Kaminer mit neuen Geschichten, russischer Musik und Partner-DJ an, das Konzept ist bekannt: Herr Kaminer liest erst aus seinem neuesten Buch, dann werden die Stühle aus dem Saal geräumt – die Russendisko beginnt.
Wladimir Kaminer spricht sein Publikum direkt an, erkundigt sich nach Fragen, er weiß, dass die Leute seine Texte schon kennen und dass die meisten nicht zum ersten Mal vor ihm sitzen. Er antwortet, plaudert Neues aus seinem Leben, alle lachen, da die Hintergründe bekannt sind. Diesmal stellt er keins seiner Bücher sondern neue Texte im Rohausdruck vor. Etwa eine Stunde lang liest er Geschichten, die natürlich vom Leben als Russe in Deutschland, vom Leben als Russe in Russland oder vom Leben Deutscher und Russen nebeneinander handeln. Russische Küche und Esskultur werden ebenso wie das Volkslied der Deutschen oder die Gepflogenheiten der Armenier aufs Korn genommen.

Die Lesung an sich ist zu so etwas wie einem warm-up für die Veranstaltung geworden, man kommt nicht allein der Texte wegen, es geht auch um den Kult der “ Russendisko“ als Gesamterlebnis und wohl auch um Wladimir Kaminer selbst. Mit seinem Konzept, an die Lesung eine Disko anzuhängen, hat Kaminer zum richtigen Zeitpunkt die richtige Idee gehabt, die dann zum Selbstläufer geworden ist. So ist der Saal auch heute wieder ausverkauft.

Nachdem die Stühle weggeräumt sind, beginnt die Russendisko. Das Parkett des ehemaligen Ballsaals bebt im Rhythmus. Im Hintergrund flimmern russische Zeichentrickfilme über die Leinwand. Kaminer und sein DJ-Kollege singen laut mit und spielen Lufttrompete. Die Stimmung ist gelöst und ausgelassen.
Manch einer verschätzt sich und macht sich bei dem Versuch, Russe zu sein, eher zum Affen, aber gerade das ist ja der Spaß: jeder kann seine Vorstellung von einer „echten“ Russendisko ausleben. Irgendwann schleichen sich die Bässe durch die Füße in den Körper, der den Rhythmus auffängt, und man stürzt sich in die Menge mit dem Gedanken: „Was solls, mach ich mich eben zum Affen, äh pardon: Russen!“

(Rebecca Maria Salentin)

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