Ich könnte auch versuchen, den Sonnenuntergang zu beschreiben

Es gibt neue Alben von The Church, Blackfield und Tears for Fears

Von ferne rauscht ein abgrundtiefer, vibrierender Gitarrenakkord heran, packt dich am Kragen und in der nächsten Stunde zieht dich diese Platte mit der Macht eines rostigen Frachtschiffs durch ein Meer aus Gitarren und Stimmung. Komme ich hier etwa ins Schwärmen? Acht lange Jahre veröffentlichen die Australier, mit Paisleyhemd und 28 Saiten bewaffnet, nahezu unbemerkt einen Klassiker nach dem anderen, bevor ihnen 1988 mit „Under the Milky Way“ ein Überraschungserfolg glückte; ein Song mit zartesten Akustikgitarren, einem Dudelsacksolo und dem traumverlorenen Bariton von Steve Kilbey. Der kommerzielle Erfolg währte nicht lang und The Church wurden wieder ein gutgehütetes Geheimnis der australischen Musik.

Es ist unbegreiflich schön, was sich alles mit Gitarren machen lässt: undurchdringliche Klangnebel spinnen, markerschütterndes Geschepper loslassen, berauschende Harmonien ins Universum schicken. Peter Koppes und Marty Willson-Piper bringen aus ihren Gitarren mächtige Klangblöcke hervor und schichten sie zu Soundkathedralen, mit Telecaster, Strat und vor allem dieser wohlklingenden Zwölfsaitigen aus dem Hause Rickenbacker. Das ist keine angeberische Gitarren-Wechsel-Schlacht, sondern Liebe zum Detail. Die Klänge werden nicht zu Brei und Bombast produziert, immer bleibt in den Arrangements Luft zum Atmen. Koppes und Willson-Piper machen eigentlich Kammermusik, nur eben mit den Reglern auf 11. Das kann dezent vor sich gehen, wie bei „Telepath“, das verhalten beginnt, bevor man in einem unwiderstehlichen Strudel gezogen wird. Oder mit an Barbarei grenzender Kraft wie beim „Song in Space“, einem Stück wie flüssiges Metall, legiert mit beatlesker Melodienseligkeit. „The Theatre & Its Double“ ist ein opiumberauschter Walzertraum mit Flamencoeinlage. „Lay low“ und „Nothing seeker“ beschwören Alptraumfantasien herauf. „June“ und „Maya“ sind sinistre Balladen von melancholischer Schönheit. Diese Sprünge, von der gläsernen Fragilität zum dichten Spacerock, von düsteren Dröhnen zu elegischer Melancholie machen atemlos, bevor „Forget Yourself“ mit „Summer“ endet – Musik wie von Claude Monet gemalt, als hätte man zu lang in die Sonne geschaut.

Und über allem Steve Kilbeys surreal versponnene Texte und seine Stimme, die nicht nur in Würde altert, sondern wie ein edler Wein mit den Jahren gewinnt. Diese distanziert elegant-tiefe Stimme mit ihrem warmen Timbre bekommt Risse; hindurch schimmert Emotion. Ungemein bestrickend kann sie wirken, bis sie sich urplötzlich kühl wie ein Rauhreif auf die Lieder legt. Marty Willson-Pipers „See your lights“ würde die Strokes zu Asche zerfallen lassen und die Herren von Coldplay dürften sich bei der eisigen Schönheit von „June“ und „Appalatia“ weinend unter dem Mischpult verkriechen. Was The Church von ihren Epigonen unterscheidet, ist der Unwille, den Klang gewissermaßen mit Firnis zu überziehen. Es wird wenig gefeilt und geschliffen. Krachen, Quietschen, Saitenriss bleiben einfach stehen, mit der Souveränität des Meisters, die sich sonst vielleicht nur noch Neil Young erlaubt. The Church haben in diesen vierzehn Liedern ein Genre erfunden und bewegen sich sich darin mit Souveränität und jenem Mut, den man sich nur erlauben kann, wenn niemand mehr etwas erwartet. „Forget Yourself“ ist ein vollendetes Meisterwerk, eine langsame Explosion, ein rotglühender Fixstern, der träge durch den Raum schwebt und noch lange, lange leuchten wird.
www.thechurchband.com
www.hotelwomb.com
www.cookingvinyl.com
Blackfield – Blackfield
Aviv Geffen ist in seiner Heimat Israel so etwas wie ein Superstar. The Porcupine Tree sind zwar keine Superstars, aber doch eine grandiose Band: Wer sich die gräßlich unhippen 70er-Jahre-Prog-Rock-Bands zum Vorbild nimmt und es dabei schafft, keine Sekunde sabbrigen Marillion-Bombast zu produzieren, sondern schön seltsame Popsongs („Baby Dream in Cellophane“), muß rückhaltslos gelobt werden. Pocupine Trees Mastermind Steven Wilson hat sich mit Geffen zusammengetan und ein Debüt aufgenommen, das in meinen nassen Leipziger Herbst eingeschlagen ist wie ein Meteor.

Wie lässt sich ein derart subtiles Wunder wie diese Platte nur beschreiben? „Andy Partridge und Noel Gallagher besteigen eine Zeitmaschine und reisen ins Jahr 1971, um von der britischen Prog-Szene noch etwas zu lernen und ein paar Aufnahmen zu machen Dabei treffen sie einen trübseligen Briten namens Nick Drake“. Das ist Blödsinn, sicher, aber was soll man machen, wenn man noch nach dem zehnten Hören wie besoffen vor den Boxen hockt und sich freut, dass die Schönheit von dieser Welt nicht verschwunden ist. Aviv Geffens Stimme klingt wie der junge Peter Gabriel, warm und voll, mit einem wunderbar schüchternen Tremolo. Wilson Arrangements sind simpel und sind doch so intrikat ausgewogen. Hier ein einzelner sehnsüchtiger Gitarrenakkord, da zwei Noten auf dem Flügel, ein leises Mellotron im Hintergrund, ein Cello zieht gemächlich seine Bahnen. Dezente herbstliche Traurigkeit und zehn Ohrwürmer, einer schöner als der andere. Eine CD, die sprachlos macht.www.blackfield.org
Verspielte Grabbelkiste
Tears For Fears – Everybody Loves a Happy Ending
Da war doch mal dieses Land, das hieß Pepperland. Alles bestand aus Musik, Freude, Drogen und Liebe, genau jener Ort, an dem jeder, wenn er ehrlich sein will, seinen Lebensabend verbringen will. Dann gab es Krieg und John, Paul, George und Ringo mußten mit dem Yellow Submarine ausrücken. Pepperland war gerettet. Lange nichts mehr aus Pepperland gehört. Doch zwei sind heuer ausgezogen und beanspruchen Töchter, Thron und nicht nur das halbe Königreich. Als Legitimation führen sie nur eine Silberscheibe mit Liedgut im Gepäck. Diese Platte ist eine Zumutung. Eine Unverschämtheit, wie es heutzutage im diplomatischen Jargon heißt. Und ist es nicht irrsinnig abgeschmackt? Wieder eine Eighties-Band, längst zerstritten und auf dem Tiefpunkt angelangt. Rauft sich wieder zusammen um noch einmal so richtig abzukassieren.

Wir erinnern uns – Roland Orzabal (Gesang, Gitarren, Programmierung, Arrangement, Produktion, Komposition, Texte) und Curt Smith (ja was eigentlich?), zwei Grünschnäbel aus Bath, machen 1983 Furore mit einem feinen Synthi-Pop-Album namens „The Hurting“. Gute Songs. Zwei Jahre später „Songs from the Big Chair“ – Hymnisches für den Weg zur Weltherrschaft („Everybody wants to rule the world“). Vier Jahre verstreichen und TFF präsentieren eine Art Mischung aus „Sgt. Pepper“ und „Dark Side of the Moon“. Dieses gigantomanische Psychedelic-Soul-Revival spielte sich unter dem Titel „The Seeds of Love“ ab und implodierte dann. Ernüchterung, Streit, Trennung, erfolglose Soloplatten und dann nach einer Dekade der zerknirschte Anruf, man hatte sowieso Rechtliches zu erledigen. Was die Kinder so trieben, und überhaupt, man könnte doch mal wieder zusammen Musik machen…

An die drei Jahre wurde ergo im Hobbykeller geschraubt und gebastelt. Jetzt ist das Ergebnis da. und es ist richtig gut! Wäre ich jetzt ein Gebrauchtwagenhändler, würde ich wohl so etwas sagen wie „Der ist zwar nicht mehr ganz neu, aber so was wird heute gar nicht mehr gebaut!“ Ja, die Songs… jeder einzelne mit irrsinnigem Aufwand handgefertigt. Glöckchen, Rickenbacker, blubbernde Moogs, fetteste Hammondorgeln, goldene Byrds-Chöre, donnernde Drums. Alles in einen Topf geworfen, durch die Echobox geschickt und so filigran zusammengesetzt, dass man Angst hat, der ganze Segen könnte gleich auseinanderfallen. Dick aufgetragen und doch transparent. Orzabal ist blendender Historiker und Handwerker zugleich. Allein der monumentale Titeltrack ist ein vierminütiger Miniatur-„Sgt. Pepper“ in mehreren Sektionen, berstend vor dreisten Beatles-Zitaten und originellen Einfällen. „Closest thing to heaven“ ist ein Hybrid aus Seventies-Edel-Disco-Öligkeit und Pink Floyd. Warum diese Geschichte auch noch funktioniert, ist mir ein Rätsel. Geradezu pervers ist „Call me mellow“. Fröhliches Intro mit George-Harrison-Gitarre, fröhliche Strophe frei nach XTC, sofort weiter zum Refrain (schäumt vor Freude nur so über), gleich nochmal und nochmal, mit kleinen Variatiönchen. Ein paar Sekunden Pause in Moll und wieder zurück!, exakt drei Minuten und dreißig Sekunden lang, vollgepackt mit Sonnenschein und einem Text, standesgemäß auf dem Niveau der frühen BeeGees („She drives me like a truck“?!) – so gehört es sich für den perfekten Popsong. „Secret World“ ist der Gipfel in diesem Kaleidoskop. Man sieht förmlich, wie Roland Orzabal von Brian Wilson und Paul McCartney dereinst stolz im Pophimmel begrüßt werden wird.
TFF sind sich ihres Tuns nicht nur bewußt („Don’t steal, just borrow“, singt Smith), sondern haben ein gerüttelt Maß Ironie in die Musik gestrickt. TFF geben sich nicht ganz so verschroben wie die geistesverwandten XTC, aber doch seltsam genug, um nicht als monströs aufgeblähter Wings-Aufguss zu enden. Man kommt sich vor, als mache sich eine Horde hochbegabter Drittklässler über ein Musikmuseum her. Nach knapp fünfzig Minuten ist Schluß und die ganzen Töne wollen aus dem Kopf raus, einige schneller, einige bleiben noch Wochen in den Ohren hängen. „Everybody Loves A Happy Ending“ ist eine Platte wie eine Achterbahn – der eine taumelt mit Serotoninüberschuss aus der Lore, der andere will einfach nur reihern.www.tearsforfears.net

The Church:
Forget Yourself

Cooking VI

VÖ: 26.01.2004

Blackfield:
Blackfield

Snapper Music

VÖ: 23.08.2004

Tears for Fears:
Everybody Loves a Happy Ending

Arista

25.12.2004


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