Anarchie und Alltag

Film-Rückblick 2004: : „Die fetten Jahre sind vorbei” ist eine einzige Enttäuschung

Mit diesem Film ist es wirklich seltsam: Je länger es her ist, dass ich ihn gesehen habe, desto mehr ärgere ich mich über ihn. Am 16. September 2004, 20 Uhr, lief Die fetten Jahre sind vorbei im Rahmen der Filmmesse in den Passage-Kinos, und anschließend habe ich ihm auf dem Auswertungsformular allen Ernstes eine „2“ als Gesamtnote gegeben. Wahnsinn, aus heutiger Sicht. Nach etwas mehr als drei Monaten latenten Abwägens muss ich zu dem Schluss kommen, dass ich heute eher eine „5“ geben würde – wenn überhaupt. Was ist passiert?

Damals fand ich: Netter Soundtrack, nette Schauspieler, nette Story (auch im September allerdings schon in dieser Reihenfolge). Die Idee, dass nonchalante Jugendliche in Luxusvillen einbrechen, nichts klauen, aber alles umräumen und Zettel hinterlassen mit Aufschriften wie „Die fetten Jahre sind vorbei.“ oder „Sie haben zuviel Geld. Die Erziehungsberechtigten.“, fand ich lustig, und im Kino habe ich auch gelacht. Das Ende des Films, von dem Regisseur Hans Weingartner sagt, es sei ein „Rock’n’Roll-Ende“, hielt ich für gelungen. Revoluzzer mit Ex-Revoluzzern auf einsamen Berghütten diskutieren zu sehen, erschien mir ganz interessant, und im Kino habe ich mir auch alle Dialoge angehört. Der Film war schließlich in Cannes gelaufen, mit stehenden Ovationen anschließend. Und am Ende machte ich mein Kreuz bei der „2“.

Heute denke ich: Nett reicht nicht für einen Film mit diesen Ansprüchen. Nett ist der kleine Bruder von Scheiße, und wenn es, wie hier, um das Thema Revolution geht, wäre ein bisschen Abstand zur Che-Guevara-Shirt-Masse angenehm gewesen. Die Protagonisten erscheinen jedoch wie Abziehbildchen, deren größte Sorge es durchaus sein könnte, nicht überall und in jeder Situation extrabetroffen zu wirken – es sei denn, es geht um die bösen Bonzen; dass diese so viel Geld verdienen, passt nicht in Jans (Daniel Brühl), Jules (Julia Jentsch) und Peters (Stipe Erceg) vulgärökonomisches Weltbild.

Im Film begibt es sich, dass Jule hohe Schulden bei Hardenberg (Burghart Klaußner), einem – man soll es wohl schon an seinem Fetter-Manager-Äußeren erkennen – fiesen Kapitalisten hat. Verschuldet ist Jule, weil sie Hardenbergs Nobelkarosse rammte – mit ihrer leider unversicherten Schrottkarre (selbst schuld, Mädel? No way, so die Aussage des Films). Totalschaden. Schlussfolgerung der drei Freunde: Wer reich ist und ein armes Mädchen Schulden abstottern lässt, ist – buhuuu – gemein. Die sich anschließenden Verstrickungen (Hardenberg, Ex-68er, wird entführt etc.) müssen hier nicht erörtert werden, vielmehr: Was sollen die geballten Klischees und Kinderspielchen bewirken?

Dass ein Manager mehr verdient als ein teppichknüpfendes Kind in Anatolien, ist das eine; dass dies aber dem Manager als Person zum Vorwurf gemacht wird, kann nicht sein. Dass Hans Weingartner pro 90 Minuten Film mehr Geld verdient als ein MDR-Aufnahmeleiter (obwohl dieser sicher mehr schuftet als jeder Promi-Regisseur), wird ersteren auch nicht dazu bewegen, sein Gehalt in Frage zu stellen. „Das Herz ist eine revolutionäre Zelle“, heißt es in Die fetten Jahre sind vorbei – wen soll derartige Anarchisten-Polemik beeindrucken? Können Linksradikale ihre Straftaten (im Film: Einbruch, Hausfriedensbruch, Entführung, Körperverletzung usw. usf.) dadurch legitimieren, dass sie zwischendurch „Freiheit!“ rufen? Wohl kaum. Den Film nicht ernst zu nehmen geht leider nicht, da der Regisseur, sich für äußerst subversiv haltend, ihn ernst meint („Jetzt kommt wieder eine Phase der Gerechtigkeit und des Widerstandes.“) und sich als „U-Boot in der Matrix“ sieht – womit er anscheinend meint, gesellschaftliche Missstände geschickt aufdecken und verarbeiten zu können. Naja.

Über Utopien nachzudenken kann nie falsch sein – sie dabei der Lächerlichkeit preiszugeben hingegen schon. Die fetten Jahre sind vorbei mag ein Rock’n’Roll-Ende haben, ein Rock’n’Roll-Film ist er nicht – eher ein Mittelstufenpop-Film.

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