Hommage an eine ungewöhnliche Mutter – Barbara Honigmanns Erinnerungen (Rebecca Maria Salentin)

Ein Kapitel aus meinem Leben
von Barbara Honigmann
Hanser Verlag, München 2004

Hommage an die Mutter

Barbara Honigmann, geboren 1949 in Ost-Berlin, ist Dramaturgin, Regisseurin, Autorin und Tochter von Lizzy Kohlmann, die zwölf Jahre lang mit dem Geheimagenten und Meisterspion Kim Philby verheiratet war. Diesen Abschnitt im Leben ihrer Mutter versucht Honigmann in dem Buch „Ein Kapitel aus meinem Leben“ zu rekonstruieren.

Da Lizzy Kohlmann es stets verstanden hat, ihren Lebenslauf mit Geheimnissen zu umweben, ist das schwierig: „So wie ihren Geburtstag hat meine Mutter alle Daten ihres Lebens im Ungefähren gelassen.“ Sie ließ “ sogar ihr Sterbedatum (…) im Unklaren, (…) sie starb in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai. Doch niemand weiß nun, ob ihr Tod noch am 18. oder schon am 19. Mai eingetreten ist“.

Barbara Honigmann erzählt Episoden, die ihr aus dem Leben der Mutter bekannt sind. Manches hat die Mutter selbst erzählt, einiges ist von alten Freunden der Mutter bekannt, vieles stammt aus der Zeit, in der die Autorin selbst schon gelebt hat. Sie sammelt die Erinnerungen und versucht sie zu einem Bild zusammenzufügen, das dem Leben der Mutter entsprechen könnte. Dabei muss sie feststellen, dass ihre Mutter zwar einiges erzählt, als sie bereitwillig ankündigt, sie werde ihre Tochter nun aufklären über die Zeit mit Kim Philby, über „dieses Kapitel aus meinem Leben“, doch dass sie die Tochter im Grunde wieder nichts Genaues wissen lässt.
Nicht nur Barbara Honigmann fühlt sich im Ungewissen gelassen, auch ihr Vater und ein ehemaliger Liebhaber der Mutter bestätigen das Gefühl des Ausgeschlossenseins. „Mein Vater, Pieter und ich hätten einen Dreierbund schließen können, wir, die ihr so stark zugeneigt waren und uns doch aus ihrem Leben ausgeschlossen oder zumindest immer wieder vor die Tür gesetzt fühlten.“

Da Barbara Honigmann nie wirklich etwas über die Ehe der Mutter mit dem Geheimagenten und die eigene Mitarbeit für den russischen Geheimdienst erfährt, zieht sie den Schluss: „Vielleicht gehörte meine Mutter zu den Menschen, die, was sie lieben, verraten müssen.“ Anders kann sie sich nicht erklären, dass ihre Mutter England, das Land verriet, das sie so liebte und von dem sie ihr Leben lang noch schwärmen sollte. Sie belässt es dabei und versucht auch nach dem Tod der Mutter nicht, durch Akteneinsicht Genaueres zu erfahren.
„Ein Kapitel aus meinem Leben“ ist der anrührende Versuch einer Tochter, das Leben der Mutter zu reflektieren und zu verstehen. Zuweilen nähert sich die Tochter der Vergangenheit der Eltern ironisch: „Jetzt saß die Partisanin im Wintergarten ihrer Villa (…) und lackierte sich Fuß- und Fingernägel, während sie von den Abenteuern und Gefahren ihres Partisanenlebens erzählte. Und danach gingen wir ins Gellertbad schwimmen.“, doch es bleibt bei aller Kritik ein liebevolles Porträt. Es gibt keine Passagen, in denen Barbara Honigmann ohne Respekt über ihre Eltern erzählt, und gerade diese Haltung macht die besondere Qualität des Buches aus.

(Rebecca Maria Salentin)

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