Visionen aus dem Irgendwo

„Turn the lights on bright, you’re a rock’n’roll star!”: Veröffentlichung der neuen CD und des neuen Buches von Adam Green

Adam Greens Januar 2005 kann sich schon sehen lassen: Seine Gedichte beim Suhrkamp-Verlag veröffentlicht, sein Album auf Platz 8 der deutschen Media Control Charts platziert, Medienpräsenz galore und ungefähr zehn Millionen Menschen, die seiner am 10. Februar beginnenden Deutschlandtour entgegenfiebern. Adam Greens legendärer Schlafzimmerblick – Augen halb zu, ein bisschen Verschlafenheit, ein bisschen Berechnung – und Adam Greens chaotische Ich-gehe-nicht-zum-Friseur-Frisur, Adam Greens böse Texte und Adam Greens zauberhafte Melodien – nichts ist an Adam Green, das nicht beschreibenswert erschiene. Er ist 23, aus New York und der erste große Hype dieses Jahres.

Und warum? Adam Green singt, begleitet von einer Band namens The Gnomes, kurze Lieder mit sehr melodiösen Melodien und Texten, in denen mehr verschiedene Wörter für Masturbation vorkommen als schätzungsweise alle deutschen Feuilletonisten zusammen kennen. Überall ist zu lesen, dass sich auf seinem neuen, dritten Album Gemstones (Edelsteine) „Carolina“ auf „vagina“ reimt, was aber nichts Besonderes ist, denn schon 2001 textete er mit seiner damaligen Band The Moldy Peaches Ähnliches, reimte „genius“ auf „penis“ und handelte sich damit die eine oder andere Zensur in den USA ein. Eine gewisse Kontinuität der Green’schen Sujets ist also unverkennbar, und auch die Musik kann man getrost als typisch bezeichnen: Mal eher lo-fi wie auf seinem Erstling Adam Green, mal mit Streichern garniert wie auf dem Nachfolger Friends of mine, immer aber eingängigster Pop mit Folk- und Swing-Einschlag. Als sogenannter Antifolker hat Green in den 1990ern begonnen, harmlos-hübsche Melodien mit ausgelassen-fiesen Texten zu verbinden – nun ist er im 21. Jahrhundert angekommen und perfektioniert seinen Stil.

Nicht, dass wirklich alle Adam Green zu schätzen wissen: „Bob Dylan für Arme und Nochnichtdabeigewesene“ wurde er unlängst in der Süddeutschen Zeitung genannt, doch abgesehen von dem mehr als abgedroschenen Vergleich hat Adam Green eine deutlich schönere Stimme als Dylan. Ein Ärgernis ist Green wahrscheinlich außerdem für all jene Journalisten, die ihre Texte gern mit aus Fan-Foren abgeschriebenen Simpsons– und Stones-Zitaten anreichern und sich nun grämen, dass sie die Lyrics des New Yorkers entweder gar nicht verstehen oder nur die Wörter „suck“ oder „dick“. Für Interviewer, behauptete man an anderer Stelle, sei er „an accident waiting to happen“, was auf schlecht vorbereitete Interviewer bestimmt zutrifft. Ob Green ein „Linksradikaler“ sei, weil seine Haare selbstgeschnitten aussehen, wollte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung von ihm wissen, und setzte nach: „Ist die Welt kubistisch oder surreal, Professor Green?“ Von der VIVA-Moderatorin Sarah Kuttner wurde der Musiker aufgefordert, doch mal richtig wütend zu werden vor der Kamera, das wäre bestimmt lustig; Adam Green lächelte indigniert und machte gar nichts. Bei Harald Schmidt streckte er die Zunge raus, nachdem der Altmeister eines seiner Gedichte (Frozen Gay Turtle) vorgetragen hatte. Aufgesetztes Andersseinwollen, sagen die einen, tatsächliches Anderssein vermuten die anderen.

Was auch immer er ist, er ist unterhaltsam. Im Video zur ersten Gemstones-Single ?Emily‘ erhält man einen Vorgeschmack auf das, was Adam Green, der an seinem letzten Geburtstag in der Leipziger Schaubühne Lindenfels spielte, auch live unvergesslich macht: Der Tanzstil. Arme und Beine lässig schwingend und schlenkernd (bei den Moldy Peaches sogar noch im Robin-Hood-Dress, heute in Jackett und Jeans), dazwischen YMCA-ähnliche Figuren einbauend, mit Hut und im Video auch mit Katze hantierend, konzentriert er sich darauf, möglichst viele Varianten seines Blickes zu erfinden. „Emily“ ist übrigens auch ohne Video ein Genuss – 1960er-Jahre-Sound á la Roy Orbison, ein schöner Jauchzer in der Mitte und ein Text, den Kinder zum Glück nicht verstehen und sich daher vorstellen können, das Lied wäre von Dick Brave – andere behaupten interessanter Weise, die Melodie komme ihnen verdächtig bekannt vor aus Torfrocks „Beinhart“. Neben „Emily“ finden sich auf Gemstones 14 weitere Songs, die dann am stärksten sind, wenn sie der schlichten, nicht durch Tempiwechsel zerrissenen Melodie vertrauen und Greens Stimme, die konstant in der Indifferenzlage bleibt. „He’s The Brat“, „Country Road“, „Bible Club“, „Losing On A Tuesday“ – arm an Ohrwürmern ist das Album wahrlich nicht.

Wem der singende Adam Green nicht reicht, der greift zum schreibenden. Es wird wohl nicht allzu viele geben, die seine Lyrik mögen, seine Musik aber geringschätzen – auch wenn es in gewissen Kreisen schicker sein mag, ein Suhrkamp-Buch aus der Tasche ragen zu lassen als eine CD mit silbrig-bunt glitzerndem Cover und Green-Porträt. Im Adam Green Magazine jedenfalls erwarten den Leser vier poetische Werke, jeweils im englischsprachigen Original und in der deutschen Überstzung Thomas Meineckes: „The Flowers Of Capitalism“, „The Civilian“, „Frozen Gay Turtle“ und „8 Pages For Allah“. Wie seine Liedtexte sind auch Greens Langgedichte, die er beim Spazierengehen in New York ins Diktiergerät gesprochen und dann aufgeschrieben hat, kryptisch und radikal. Kostprobe und Gruß an die Beatgeneration: „I’m going to write the equivalent of „On the Road“ for my generation. It’s going to be called ‚Stay at Home'“. An anderer Stelle heißt es: „New York is married but she still wants one last kiss.“ Oft ohne erkennbaren Zusammenhang, sind die Verse doch Ausdruck einer ungewöhnlichen Beobachtungsgabe und einer geradezu überbordenden Fantasie.

Ob man Adam Green nun mag oder nicht, aufhalten kann man ihn nicht. Um es ihm in seinen eigenen Worten zu bestätigen: „Turn the lights on bright, you’re a rock’n’roll star!“

Adam Green:
Gemstones

Rough Trade

VÖ: 10.01.2005

Adam Green:
Adam Green Magazine

Januar 2005, Suhrkamp Verlag

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