Sozialdarwinismus am Fischerteich: der Dokumentarfilm „Darwins Nightmare” (Maike Schmidt)

Darwins Nightmare
F/Ö/B 2004, 107 min., Dok.
Regie, Buch, Kamera: Hubert Sauper
Kinostart: 10. März 2005

Bilder: Arsenal Filmverleih
„Ein märchenhafter Alptraum“
oder wie ein Fisch Menschen tötet

An einem Nachmittag kam ein Mann mit einem Eimer an einen See. In dem Eimer schwamm ein Fisch – ein Fisch, den es noch nie gegeben hatte, denn er war extra für diesen See „erfunden“ worden, und der Mann wollte nun sehen, ob der Fisch sich hier wohl fühlen würde und überleben könnte. So wurde der Fisch ausgesetzt, schwamm fröhlich in den See hinein, fühlte sich sehr wohl, vermehrte sich, fraß die seeeigenen Fische gänzlich auf, wurde von den einheimischen Fischern gefangen, für recht lecker befunden, wurde exportiert und konnte einen ungemeinen Erfolg auf der ganzen Welt erzielen. Schon bald kamen wichtige Männer in schicken Anzügen und bauten große Fabriken. Das fanden die einheimischen Menschen erst richtig gut, denn sie bekamen Arbeit und Geld. Zwar kamen so viele Männer in Anzügen und bauten so viele Fabriken, dass das Geld schnell weniger wurde, aber da waren schon zu viele aus dem Umland an die Küste des Sees gekommen, dass ein Zurück nicht mehr möglich war. So arbeiteten die Menschen eben für weniger Geld oder gar nicht. Mit den Fabriken kamen die großen Flugzeuge, die den verheißungsvollen Fisch zu Tonnen mit sich nahmen, ganz weit weg nach Russland oder auch hierher – zu uns. Und weil der Fisch so lecker und so billig zu haben war, kamen die Piloten auch immer mit Geschenken an den großen See. Diese Geschenke konnte man zwar nicht essen, aber sie waren ganz toll zum Krieg führen und das ist ja auch was!

Und weil die Piloten oft ein, zwei Nächte bleiben mussten, kamen nette Mädchen aus dem Umland und waren recht freundlich zu den fremden Männern. Und auch wenn das oft bedeuten musste, dass diese netten Mädchen ihre Träume aufgaben und auch schon mal erstochen wurden, so blieben sie doch, denn sie waren eben wirklich nett. Bald sah es so aus, als würde das einst so blühende Geschäft mit dem leckeren Fisch gar nicht mehr wirklich weiterblühen. Die Menschen hatten sich selbst so große Konkurrenz gemacht, dass viele immer ärmer wurden. Die Fischer konnten ihren Fang nur noch für wenig Geld verkaufen, so dass ihre Kinder auf der Straße leben mussten. Das war wirklich schlimm, so schlimm, dass sich ein Mancher wünschte, ein Krieg würde ausbrechen, denn Krieg bedeutet Geld für jeden Menschen, der sich freiwillig meldet…

Huch – wird jetzt vielleicht der Eine oder Andere denken – da wünscht sich jemand Krieg? Das kann doch nur ein schlechter Witz sein.

Ist es aber nicht. Und wenn so vieles hier auf eine erschreckende Weise einem märchenhaften Alptraum gleicht, aus dem man bloß erwachen muss, so zeigt der Film Darwins Nightmare, dass gerade dieses nicht möglich ist. Jedenfalls nicht für die Menschen in Tansania, welche mit dem Viktoriabarsch in einer zerstörenden Abhängigkeit leben müssen, die einem spiralenförmigen Kreislauf entspricht, der sich unaufhaltsam in Richtung Untergang bewegt. Eindrucksvoll schildert der Dokumentarist Hubert Sauper bildhaft den Alltag rund um den Viktoriasee. Arbeiter, Fischer, Straßenkinder, Huren, Armut, Hoffnungslosigkeit und ein Gefühl, dass hier nicht mit, sondern neben der Natur gelebt wird – ein Gefühl, das die Menschen auf verstörende Weise wie eine Aura umgibt und den ganzen Film zu bestimmen scheint. Ohne große Worte erzählen die beispielhaften Menschen aus ihrer Welt, beginnen mit dem Fisch und enden mit ihm, einer Symbiose folgend, die nicht zerbrochen werden darf, auch wenn dieser Fisch Menschen tötet (- ein bisschen Polemik sei nach diesem Film erlaubt). Und nicht nur die Menschen sind beispielhaft, der ganze Film ist es, und das macht ihn wirklich wichtig. Es werden strukturiert und der natürlichen Abfolge gemäß Mechanismen aufgedeckt, die einer – hier durch und durch – radikalen Ausbeute von Mensch und Natur folgen. Das ist erschreckend und das ist gut so, auch wenn man nach der Rezeption wahrscheinlich nie wieder Fisch essen mag. Dafür wurde der Film zu Recht gerade erst auf dem European Film Festival zum Besten Dokumentarfilm 2004 gewählt, denn es bleibt zum Schluss zu deutlich und zu eindrucksvoll stehen: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute.(Maike Schmidt)

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