Bach bald im Realbook?

Die neue CD des Jazzduos David Timm & Reiko Brockelt „Visions. Johann Sebastian Bach. Organ Works. Adaptions”

Der neue Universitätsmusikdirektor David Timm ist ja zurzeit in aller Munde. Das verwundert nicht, ist er doch ein musikalischer Springinsfeld, der seine Finger überall im Spiel hat, jetzt sogar in der Unimusik. Wie steht’s nun um seine (relativ) neue CD Visions. Johann Sebastian Bach. Organ Works. Adaptions, die er gemeinsam mit seinem langjährigen musikalischen Weggefährten, dem Saxophonisten Reiko Brockelt, aufgenommen hat?

Optisch ist das Ganze, milde ausgedrückt, ein Desaster. Aber die Verpackung sagt natürlich noch nichts über die Musik aus, welche sie umhüllt. Zur Verpackung im weitesten Sinne gehört auch der Titel des Projekts; der kommt etwas sperrig daher, mal von seinem internationalen Impetus abgesehen.

Lässt man solche Äußerlichkeiten beiseite und nimmt stattdessen den Projektgedanken in den Blick, so stößt man auf eine reizvolle Konzeption: Bachsche Themen und Motive in Form von Jazzstandards. Doch halt! Wer nun erwartet – wie es der CD-Titel suggeriert – einen Silberling voll mit Jazz-Bearbeitungen des Bachschen Orgelwerkes hören zu können, der irrt, denn es sind auch die Originale drauf, was ja prinzipiell zu begrüßen ist. Klar, die sollen den Kontrast zu den Bearbeitungen bzw. Improvisationen bilden, aber das Konzept wird nicht durchgehalten, denn mitunter fehlt das Original. Außerdem gehen nicht alle Adaptionen auf das Orgelwerk zurück, sondern beruhen zum Teil auf Themen und Motiven aus dem Wohltemperierten Klavier Teil 1. Aber wer nicht kleinlich ist, sieht darüber hinweg (und freut sich gar an der breiteren Auswahl).

Aufgenommen wurde die CD schon Ende 2002 in der Thomaskirche zu Leipzig (herausgebracht aber erst 2004). Zwangsläufig ist die lang nachhallende Raumakustik bei den Uptempo-Nummern problematisch, weil sie den Drive leicht verwischt und damit entschärft. Andererseits kommt sie den balladesken Stücken zugute.

David Timm neigt manchmal ein wenig zum Vorauseilen und die perkussiven Akkorde seiner linken Hand kommen mitunter etwas hölzern daher. Da vermisst der geneigte Jazz-Fan das rhythmische laid-back-Feeling der großen Hammond-B3-Orgler. Aber um nicht den Eindruck zu erwecken, David Timm hätte das Rhythmusgefühl eines minderjährigen Blockflötenspielers, sei hier dessen Meisterschaft betont, mit der rechten Hand das Tempo spielerisch zu variieren bei gleichzeitigem Halten des Tempos in der Linken und im Fußbass.

Reiko Brockelt spielt ein lyrisches Altsax, das besonders in den ruhigeren Stücken zum Tragen kommt. Überhaupt sind es diese, die an dieser CD am meisten überzeugen. Sie kommen sowohl der Raumakustik als auch der Instrumentenkonstellation entgegen und lassen viel Platz für Klangschwelgereien.

Gesamtgesehen ist die CD ein ambitioniertes Projekt mit starken Momenten und durchgehend solidem Handwerk. Freunde der Orgelmusik werden sicherlich auf ihre Kosten kommen. Dass die Musik des „Gottes der Musiker“ zu swingen vermag, wussten wir ja schon immer. Dass sie als Material für Standards im Realbook-Format taugt, haben wir zwar geahnt, aber nun wissen wir es – Timm und Brockelt sei Dank. Was der CD jedoch fehlt ist sozusagen der letzte Schliff. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden Musiker dem Material noch mehr hätten entlocken können.
Konzerttermine mit David Timm und/oder Reiko Brockelt:

03.3.2005 – Leipzig „Haus des Buches“e.V.
02.3. – Halle
11.3. – Leipzig
17.3. – Leipzig Buchmesse
19.3. – Leipzig Buchmesse
26.3. – Barleben
02.4. – Visions – Record Release Concert – Thomaskirche Leipzig
05.4. – Leipzig

Nähere Infos zu den Auftritten:
telefonisch unter: +49 (0) 177 592 20 32
oder per Mail unter: info_jazzduo@web.de.

CD
Jazzduo David Timm & Reiko Brockelt
Visions. Johann Sebastian Bach. Organ Works. Adaptions

2004 bei Profil
jazzduo-timm-brockelt.de

David Timm (r.) – Orgel
Reiko Brockelt (l.) – Altsaxophon, Altflöte

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