Endlich! Die Wiederaufnahme von Richard Wagners „Tannhäuser” (Sebastian Schmideler)

Tannhäuser und Der Sängerkrieg auf Wartburg
Oper von Richard Wagner
Musikalische Leitung: Axel Kober
Inszenierung: Eike Gramss
Chor der Oper Leipzig, Gewandhausorchester
Oper Leipzig, 26. Februar 2005

Foto: Andreas Birkigt

Endlich wieder Wagner…
Zur Wiederaufnahme des Tannhäuser

Über Wagner gehen die Meinungen bekanntlich weit auseinander. Für die einen ist er enfant terrible des 19. Jahrhunderts. Sie finden, dass seine erste Frau Minna durchaus recht hatte, wenn sie Knackerchen – ihrem Papageien – den alles bezeichnenden Satz beibrachte: „Richard ist ein böser Mann.“ Für die anderen ist Wagner Apologet der anbrechenden Moderne. In ihren Augen kann selbst der herbste Dilettantismusvorwurf Thomas Manns dem geheiligten Idol nichts anhaben. Doch ob so oder so: Ein Leipziger Spielplan ohne eine Wagner-Oper wäre in jedem Fall eine ziemlich dürftige Angelegenheit – und das nicht nur wegen der Pietät, zu der sich die Geburtsstadt des befehdeten Meisters verpflichtet fühlen sollte.

Am Samstag, dem 26. Februar 2005 ist nun das längere Zeit anhaltende Wagner-Vakuum endlich durch die Wiederaufnahme des Tannhäuser beseitigt worden. Obwohl auch hier der Blick ins Programmheft einen ziemlich bedauernswürdigen Zustand offenbart. Denn diese Inszenierung – eine Kompilation aus Dresdner und Pariser Fassung – hat bereits fast zehn Jahre auf dem Buckel. Immerhin: Schön zu sehen, wenn das Publikum zusammen mit dem Spielplan alt werden kann. Allerdings: Was gut ist, spricht sich herum, und so sind denn auch eine ganze Reihe jüngerer Zuschauer im Publikum (die aber nicht alle bis zum Schluss durchgehalten haben).

Der veranstaltete Aufwand ist für Leipziger Verhältnisse mehr als beträchtlich. Zwei lange Doppelreihen von je rund vierzig Chorsängern werden allein aufgeboten, um dem Sängerwettstreit die nötige dynamische Durchschlagkraft und optische Suggestivwirkung zu verleihen. Das gelingt: Denn es entsteht ein durchaus atemberaubendes, gut konturiertes, monumentales Sittenbild … und aus der Oper wird Ereignis, auch wenn es ruhig noch ein paar Sänger mehr hätten sein können (- aber es können eigentlich nie genug sein). Der Monolitchor singt formidabel, präzise und geschliffen und besticht durch machtvollen Ausdruck und gute Artikulation, selbst bei schwierigeren, lippenakrobatischen Stellen („Thüringens Fürsten“). Überhaupt sind Oper und Aufführung nach wie vor wirkungsvoll und langweilen trotz der vier Stunden Dauer an keiner Stelle. Das ist auch und gerade Ergebnis der zum Teil vorzüglichen musikalischen Leistungen dieses Abends. Denn das Ganze schwingt sich im organischen Zusammenwirken von Ensemble, Chor, Ballett und Orchester auf zu einem rundum fertigen Wagnerschen Gesamtkunstwerk. Auch das Bühnenbild wirkt in seiner reduzierten architektonischen Geschlossenheit wie ein Sinnbild auf Platos Höhlengleichnis, die dem Hochmittelalter angeglichenen Kostüme sind durchweg angemessen, sodass die Musik und die szenischen Effekte ganz in den Vordergrund der Rezeption treten können.

Wenn es vor kurzem in einer überregionalen Kritik zum Leipziger Fidelio hieß: „Gesungen wird … angestrengt bis überfordert“, so beweist die Tannhäuser-Aufführung einmal mehr, dass sich dieser pauschale Eindruck keinesfalls generalisieren lässt. Nicht nur, dass es ein Wiederhören mit Tommi Hakala als zu recht umjubelten Wolfram von Eschenbach gibt, der mit seiner schlanken, natürlichen und modulationsfähigen Stimme nicht nur dem Lied vom Abendstern eine bezaubernde Aura von Authentizität und unverstellter, freimütiger Bühnenwirkung gibt. Auch dem energievollen Bass James Moellenhoff ist die Rolle des Landgrafen Hermann geradezu auf den Leib geschneidert. Das Gleiche lässt sich von der sehr hohen künstlerischen und musikalisch-gestalterischen Qualität von Cornelia Helfricht als Vernus sagen. Mit Robert Künzli als Tannhäuser und Metodie Bujor als Biterolf sind immerhin Sänger auf der Bühne, mit denen sich auch ein großes Haus nicht zu verstecken braucht. Hervorragend und alles überschattend ist jedoch Majken Bjerno als Elisabeth, die durch ihr darstellerisches und musikalisches Talent die Mittellage der Figur zwischen Heiliger und Jungfrau aus Fleisch und Blut mit besonderer Eindrücklichkeit versinnlicht.

Im Bachanal entführt das Leipziger Ballett in einem sinnfällig choreografierten symbolistischen Intermezzo in eine flirrende Traum- und Faunenwelt, so fieberhaft entschwebend wie die Melusinengemälde des 19. Jahrhunderts. Dabei kommt die Geschichte, die erzählt wird, fast ohne Posen aus, nicht zuletzt dank der ausgezeichneten Solisteneinlagen, die der schwülen Atmosphäre dieser Faunenwelt gerecht wird.

Jeder, der ein Auge dafür hat und nicht nur mit Verstand oder aus Kalkül urteilt, kann sehen, dass das Haus alle Kräfte aufbietet, um zu zeigen, was es kann. Und diese professionelle Leistung verdient die Feststellung, dass die Sparmaßnahmen nicht ein Absinken des Niveaus auf den mittleren Durchschnitt bewirken. Zeichen der unbedingten Professionalität ist auch, dass sich mit Genugtuung beobachten lässt, mit welcher Akuratesse Axel Kober das disziplinierte Gewandhausorchester einen ausgezeichnet konzisen, spezifischen, virtuosen Wagner-Ton abverlangt, der in der formvollendeten Breite und der Eleganz der leitmotivisch-weitläufigen Partien ihre ausdrucksvolle Entsprechung fand. Das Orchester hatte an diesem Abend eine große, ausgewogene musikalische Leuchtkraft, die so berückend war, dass nicht nur der Sängerstreit zum Fest im wahrsten Sinn des Wortes avancierte. So bot dieser Tannhäuser eine vollkommen zufriedenstellende Aufführung. Wer die Dinge mit klarem und vor allem ehrlichen Blick sieht, wird sich sagen: Das ist das Machbare. Nicht mehr und nicht weniger.

(Sebastian Schmideler)


Weitere Aufführungen:
Fr 29.04.2005, 18:00 Uhr
So 08.05.2005, 17:00 Uhr

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.