Wenn die MuKo protestiert: Carl Zellers Operette „Der Vogelsänger” (Sebastian Schmideler)

Der Vogelhändler
Operette in drei Akten von Carl Zeller
Libretto von Moritz West und Ludwig Held
Musikalische Leitung: Roland Seiffarth,
Inszenierung: Karl Absenger
Bühne, Kostüme: Tamara Oswatitsch
Chor, Orchester und Ballett der Musikalischen Komödie
Premiere: 5. März 2005, Musikalische Komödie im Haus Dreilinden

Foto: Andreas Birkigt

Stiller Protest trotz gefälliger Inszenierung
Vogelhändler-Premiere in der MuKo

Nach dem großen Erfolg der Gräfin Mariza in der letzten Spielzeit stand für die MuKo fest, mit einer zweiten Inszenierung desselben Teams an diesen umjubelten Renner anzuknüpfen. Nichts schien jedoch für die schwankenden Bretter im Haus Dreilinden geeigneter zu sein als die geniale Gesellschaftssatire von Carl Zeller aus dem Jahr 1891: Der Vogelhändler. Dabei geht die MuKo, deren Kapazitäten eigentlich nur für eine Eigenproduktion pro Spielzeit eingepegelt sind, über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hinaus. Das hat mehrere Gründe.

Zunächst das Stück selbst. Dass dieses bunte und muntere Komödien-Panorama um Liebe, Intrige, Politik und Klüngelei trotz seines hohen Alters so aktuell ist wie eh und je, liegt nicht zuletzt daran, dass Zeller ein hoher Staatsbeamter im K.K. Ministerium für öffentlichen Unterricht und Kultus war und dort im Umkreis der Macht die beste Gelegenheit hatte, mit eigenen Augen seine homiletischen Studien zu betreiben. Und da er genau, ja gestochen scharf beobachtete und zusammen mit seinen beiden gewitzten Librettisten Moritz West und Ludwig Held ein Händchen für geschickt entwickelte, pointenreiche Dialoge und Sinn für eingängige, schlicht anrührende Melodien hatte, avanciert der Vogelhändler zu einem zeitlosen Kabinettstück eloquenter Gesellschaftskritik im Mantel der Operette.

Regisseur Karl Absenger konzentriert sich in seiner Arbeit ganz auf das filigrane Herausfiltern der ideellen Substanz des 18. Jahrhunderts, die in der Vorlage steckt. Das gelingt ihm mit Akribie und Detailreichtum, sanft subtilen ironischen Gesten und zurückhaltenden szenischen und optischen Kalauern. Eine riesige schützende Hand kommt da zum Beispiel von oben und nimmt als Sinnbild der Protektion den beiden, Kandidat Adam nur formal prüfenden Professoren ihre Aktentaschen ab. Oder da sitzt der mundtot gemachte Gemeinderat unter der Führung des despotischen und korrupten Barons Weps auf einer Schaukel – und lässt für alle sichtbar seine signifikanten saudummen Schweine-Ringelschwänzchen erkennen. So sorgt Absenger für mancherlei freie Assoziationen. Die farbenreichen, konstraststarken und typisierenden Kostüme unterstreichen diese Wirkung ebenso wie das praktikable Bühnenbild (Tamara Oswatitsch).

Der Vogelhändler ist eigentlich keine waschechte Operette, sondern zu großen Teilen auch gehobenes Volksstück in guter Wiener Theatertradition (so wird ja auch bei Raimund und Nestroy viel gesungen). Das Stück verlangt einerseits Sänger, die zugleich vollblütige Schauspieler sind und es verlangt andererseits publikumswirksame Darsteller, die ebenso gute Sänger sein sollen. Früher nannte man diesen zugleich singenden als auch spielenden Typus den Volksschauspieler. Dafür heute eine geeignete Besetzung zu finden ist zweifellos ein Balanceakt. Die schauspielerische Leistung dieser Inszenierung zeigt nicht in jedem Fall dieses wünschenswerte Profil. Das ist schade, denn Zellers Pointen sitzen eigentlich fast wie am ersten Tag. Das wäre deutlicher geworden, wären sie nur schwungvoller herausgearbeitet worden. Dass dies möglich ist, zeigte zum Beispiel die Heidi-Inszenierung. Aber wenn zentrale Textpassagen streckenweise im hohen Fidelio-Zwischendialog-Ton deklamiert werden, anstatt sie zu spielen, dann verliert das Ganze an Witz und an Natürlichkeit und wirkt zu klar, zu überlegt, zu wenig urwüchsig. Doch unverwechselbar, mit welcher gesten- und mimikreichen Komik Milko Milev den eitlen, aufgeblasenen und intriganten Baron Weps spielt. Ein kleiner Höhepunkt auch die Prüfungsszene („Ich bin der Prodekan“), mit Schwung und Elan gespielt und gesungen von Andreas Reiner als Professor Süffle, der dem Vogelhändler-Schaupiel-Ideal ziemlich nahe kommt, und Folker Herterich als Professor Würmchen.

Entschädigung für manche folglich nur als bloßer Sprachwitz schießende Pointe bieten die musikalischen Leckerbissen – die unschlagbaren alten Evergreens wie „Ich bin die Christel von der Post“, „Schenkt man sich Rosen in Tirol“, „Grüß enk Gott, alle miteinander!“ usw. Großartig Judith Kuhn als Kurfürstin Marie, mit funkelnden Melodien, sicher und geschmeidig intoniert. Beate Gabriels feine Stimme klettert fundiert und kunstvoll die Melodien entlang – als Christel von der Post ist sie ideal besetzt. Heinz Hartel als Stanislaus passt sich gut in die Rolle ein. Ein besonderer Fall ist während der Premiere am 5. März 2005 die Rolle des Vogelhändlers Adam: Im ersten Teil singt sie Michael Heim und spielt sie gut; man wundert sich nur über die gepresste Intonation. Da plötzlich bricht die Stimme wegen einer nun nicht mehr zu verleugnenden Krankheit völlig weg, es verschlägt allen die Sprache. – Fast wäre die Vorstellung deswegen geplatzt, wäre nicht zufälligerweise die Zweitbesetzung im Haus gewesen! MuKo-Direktor Bernhard Helmich versteht es in seiner charmanten Ankündigung, dieses Malheur dem Publikum zu erklären. Und Hans-Jörg Bock springt Hals über Kopf in sein Kostüm – und ist auf der Bühne präsent, sicher sitzen die Pointen, gut singt er seine liebenswürdigen Arien – und der Abend ist gerettet. Eine beeindruckende Leistung auch vom MuKo-Chor und Orchester; beide zeigen eine formgemäße Geschlossenheit und Homogenität, die Roland Seiffarth mit der Präzision gekonnter Einfachheit beiden abverlangt. Kompliment!

Der Vogelhändler in der MuKo ist aber wegen seiner brandheißen Thematik auch ein heimlicher Aufstand, ein stiller Streik, ein Aufbäumen und Sich-Verwahren gegen alles Drohende und gegen die Befürchtung, dass es auch hier – wie Goethe sagt – heißen könnte: „Warte nur balde…“ Diese Inszenierung ist ein wichtiger und klug gesetzter Akzent im Kampf um den Erhalt dieser Spielstätte und ein Plädoyer für die Aktualität uralter Possen mit Gesang, die aber viel, viel mehr sein können?

(Sebastian Schmideler)


Weitere Aufführungen: 8., 12., 13. 15., 26., 27. März, 16., 17. April, 14., 15. Mai, 4., 5., 18., 19. Juni, 8. Juli 2005.

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