Das Museum im Wohnzimmer

Zur Eröffnung des Leipziger Bildermuseums ist ein Prachtband erschienen, der mehr als ein Katalog ist

Umschlagbild nach einem Gemälde im Bildermuseum:“Lesendes Mädchen“ von Gustav Adolph Hennig, um 1828 Öl auf Leinwand, 42,5 x 36,5 cm

Da steht es nun also am Sachsenplatz, seit vier Monaten eröffnet, und dass Leute abends durch die Katharinenstraße gehen, nur um noch einen kurzen Blick auf die blinkende Zündkerze zu werfen und sich die Augen vom seltsamen Licht dort fluten zu lassen, obwohl doch der Weg durch die Hainstraße viel kürzer wäre. Dass viele, die sonst nie ins Museum gehen, auf einmal ins Museum gehen, ist wohl sein Verdienst, das heißt also der des neuen Museums der bildenden Künste zu Leipzig. Was noch fehlt – die Außenverglasung, die Randbebauung -, kann jeder sehen, doch was schon da ist – die Sammlung -, sollte jeder gesehen haben. Zur Eröffnung am 4. Dezember 2004 (auf den Tag genau 61 Jahre nach der Zerstörung des alten Museums im Zweiten Weltkrieg) erschien – neben Tausenden von Besuchern – auch ein prachtvolles Buch zum Museum, das ein Dasein jenseits von Kaffeetischchentristesse verdient hat. Sein schlichter Name: Museum der bildenden Künste Leipzig.

Dieser Band, erschienen im Kerber-Verlag, dürfte nun zunächst einmal Kunstfreunde ansprechen, die nicht die Möglichkeit haben, durchs Leipziger Bildermuseum zu flanieren, wann immer sie wollen, einfach weil sie vielleicht weit weg wohnen und trotzdem nicht von Max Klingers „Beethoven“, von Caspar David Friedrichs „Kreidefelsen auf Rügen“, von Frans Hals‘ „Mulatten“, von ihrem persönlichen Lieblingswerk lassen können. Eine repräsentative Auswahl von Meisterwerken der Leipziger Sammlung, begonnen bei „Der Schmerzensmann“ von Meister Francke (entstanden um 1425), endend bei „Brüssel # 15“ von Matthias Hoch (2001), führt den Betrachter durch die Jahrhunderte. Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, jeweils von kurzen Texten zu Künstler, Entstehung und Motiv begleitet, lassen sich im Buch stundenlang und geduldig betrachten, unabhängig von Öffnungszeiten, Dränglern und Müdigkeit.

Museumsneubau (Bild: PUNCTUM/Hans-Christian Schink)

Wichtig ist der Band zum Bildermuseum aber auch deshalb, weil hier endlich Material zur Museumsgeschichte zusammengetragen und ausgewertet worden ist, das bisher gesucht und oftmals nicht gefunden wurde von historisch interessierten Besuchern. Herausgeber und Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt skizziert in seinem Vorwort bereits einiges, was jedoch ausführlich in acht Artikeln dargestellt wird: „Vor 1837: Kunstsammlungen in Leipzig“ heißt der erste, von Richard Hüttel verfasst, „1989 – 2004: Kontinuität und Neuanfang“ der abschließende; Autor ist hier wieder Hans-Werner Schmidt. Vierzig Seiten zur Entwicklung, illustriert mit zahlreichen Fotos, ermöglichen einen erfreulich tiefen Einblick in die Vergangenheit des Museums. So liest man von 800 Gläsern „mit allerhand in spiritu balsamico conservirten Animalien“, von der Herkunft der fünf Meter hohen Gipskopie von Michelangelos „David“, die noch heute am Sachsenplatz zu sehen ist, auch von der Aktion „Entartete Kunst“ 1937 und anderen Auswirkungen der NS-Propaganda: „Anlässlich einer Ausstellung im Museum am Augustusplatz 1943 ist gar von einem ?neuen Typus des Künstlers“ die Rede, dem „Typus des kämpfenden Schaffenden, der nicht in schönen, oft aber allzu wirklichkeitsfremden Phantasien schwelgt, sondern die ureigene Angelegenheit des Mannes, den harten Kampf zu seinem Thema macht.'“

Noch mehr Informationen warten nach dem Bildtafelteil auf den Leser: Es schließt sich ein hundertseitiges Glossar an, das von „Abend- und Tagesausstellungen“ bis „Weigel, Johann August Gottlob“ zahlreiche Begriffe und Persönlichkeiten aus dem Museumsumfeld erläutert. Neben den zu erwartenden Einträgen zu den bisherigen Direktoren oder diversen Stiftungen findet sich auch Kurioses, so etwa der Text zum „Garderobegelderfonds“: „Aus einem Schreiben von Julius Vogel vom 5. Februar 1921 an den Rat der Stadt erfährt man, dass für die Aufbewahrung an der Kleiderablage des Museums „seit undenklichen Zeiten“ 10 Pfennige erhoben werden. Im vergangenen Jahr seien dadurch rund 2.200 Mark eingegangen. Die vielen Regelungen zu den Garderobekosten, die im November 1923 bei inflationären 5 Mill. Mark lagen, erhalten eine andere Bedeutung, wenn man mehrfach bei den Erwerbungsvorgängen Hinweise darauf findet, dass Kunstwerke aus dem sogenannten Garderobengelderfonds erworben werden konnten. Darunter befanden sich beispielsweise Eduard Schleichs großformatiges Gemälde „Chiemseelandschaft mit Regenbogen“ im Jahre 1892 oder um 1894 Zeichnungen und Aquarelle von Adolph Männchen, Adolph von Menzel, Fedor Flinzer, Theodor Grosse und Ernst Klotz. Da seit 1945 die Aufbewahrung der Garderobe eine kostenlose „Serviceleistung“ des Museums ist, sind bei den kontinuierlich geringer werdenden Haushalten andere „Finanzquellen“ zum Ausbau der Sammlungen dringend gefragt.“

Viele Informationen und viele Bilder also in einem Buch, das – was in der Natur der Sache liegt – den Museumsgang nicht ersetzten kann, ihn aber um vieles interessanter macht – denn, das weiß man nun, er fängt schon an der Garderobe an, bedeutungsvoll zu sein.

Museum der bildenden Künste Leipzig

Herausgegeben von Hans-Werner-Schmidt,
Museum der bildenden Künste, Leipzig
Kerber-Verlag, Bielefeld
Format 24 x 32 cm, 272 Seiten
131 farbige, 167 s/w-Abbildungen

Hardcover, EUR 68,-


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