Merk-würdiges am Ostermontag

Noam Chomsky erweist sich bei seinem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Deutschland – Israel – Palästina“ als äußerst umstritten

Mit Noam Chomsky hatte die Universität einen besonders populären Gast eingeladen, um den zweiten Zyklus der Sonntagsgespräche zu eröffnen. In den nächsten beiden Semestern geht es im Rahmen dieser Ringvorlesung um „Deutschland – Israel – Palästina“, und am Ostermontag äußerte sich dazu als erster Noam Chomsky.

Für eine Veranstaltungsreihe, die sich ganz gezielt an die allgemeine Öffentlichkeit wenden will – an „alle, die Lust auf anspruchsvolle intellektuelle Auseinandersetzung, Freude am fachlichen Streit haben“, wie die Veranstalter wissen ließen, und von der sie erwarten, dass die Meinungen „auch extrem“ divergieren werden – für eine solche Reihe sollte ein Noam Chomsky als Eröffnungsredner ja geradezu ein Idealfall sein. Zumindest was den Publikumsandrang betrifft ging die Rechnung auf: der Große Saal des Gewandhauses war nahezu voll, trotz der 5 Euro Eintritt, die die Veranstalter ausnahmsweise für die Ringvorlesung verlangten.

Chomsky ist zweifelsohne populär, er ist eine faszinierende Figur: Linguist, Philosoph und profilierter Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik zugleich. Georg Meggle, Professor der Philosophie und Organisator der Veranstaltung, sprach in seiner Begrüßung auch von den „zwei Chomskys“, dem Politikanalytiker und dem Linguisten, von denen man mitunter nicht glauben könne, dass es sich um dieselbe Person handle. Aber angesichts eines Chomskys könne man dann auch begreifen, dass es „nur einen Leibniz“ gegeben habe, was vielleicht doch ein etwas hochgesteckter Vergleich ist. Der Politikkommentator und -kritiker Chomsky gehört aber nicht nur zu den „meistzitierten Intellektuellen“, sondern ist auch einer, der viel und heftig kritisiert wird.

Die „zwei Chomskys“ und ein dritter

Zum einen finden einige Kritiker Chomsky schlichtweg nervig, halten ihn für einen alten Linksintellektuellen, der sich längst sein plattes Weltbild zurechtgezimmert hat, von dem er nicht mehr abrücken will. Er sei die intellektuelle Ausgabe von Michael Moore und der Großvater der USA-Kritiker, meinte der „Spiegel“ jüngst und wollte ihm damit wohl eine bisweilen recht unreflektierte und populistische Amerikakritik unterstellen. Die „Welt“ urteilte, Chomsky sei zwar „kein Verrückter“ aber ein „Urheber von Verschwörungstheorien“ und die intellektuelle Ikone der „eigentlich antiintellektuellen Bewegung der Globalisierungsgegner“, womit der Kunstgriff gelingt, Chomsky und Globalisierungskritiker gleichzeitig zu desavouieren.

Nun gut, man muss die Kommentatoren und Feuilletonisten von „Welt“ und „Spiegel“ ja nicht immer ernst nehmen. Das Publikum wurde am Ostermontag allerdings mit Kritik an Chomsky konfrontiert, die schwerer wiegt und die – auch wenn die Flugblätter recht markig formuliert waren – Zweifel an Noam Chomsky weckten. Das Leipziger „Bündnis gegen Antisemitismus“ verteilte am Eingang zwei Flugblätter: Eines war Chomsky gewidmet und ein anderes der Ringvorlesung im Allgemeinen. Hier wurden die Zuhörer gewissermaßen mit einem dritten Chomsky konfrontiert. In dem Flugblatt wird ihm vorgeworfen, er sei „Antizionist“ und ein „linksintellektueller Geschichtsfälscher“. Und die Vorwürfe sind nicht ganz unbegründet. Chomsky hatte sich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre mehrfach zum Werk des französischen Holocaust-Leugners Robert Faurisson geäußert und grundsätzlich dessen Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt. Der Text, in dem Chomsky Faurissons Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt hatte, war dann auch als Vorwort für eines der Bücher Faurissons verwendet worden. Zwar hatte Chomsky ausdrücklich betont, dass er Faurissons Ansichten über den Holocaust nicht teile, aber im Kontext der Debatte hatte er auch jene Aussage formuliert, von der sich nun ein Ausschnitt auf dem Flugblatt des Bündnisses gegen Antisemitismus fand: „I see no anti-Semitic implications in denial of the existence of gas chambers or even denial of the Holocaust. Nor would there be anti-Semitic implications, per se, in the claim that the Holocaust (whether one believes it took place or not) is being exploited, viciously so, by apologists for Israeli repression and violence. I see no hint of anti-Semitic implications in Faurisson’s work.“ Diese Aussage hat er später selbst so erläutert: „In that context, I made a further point: even denial of the Holocaust would not prove that a person is an anti-Semite. I presume that that point too is not subject to contention. Thus if a person ignorant of modern history were told of the Holocaust and refused to believe that humans are capable of such monstrous acts, we would not conclude that he is an anti-Semite. That suffices to establish the point at issue.“ Diese Argumentation Chomskys mag scharfsinnig sein, aber insgesamt mutet Chomskys Differenzierung doch seltsam spitzfindig an: die Erfahrung der meisten Zeitgenossen dürfte viel eher die sein, dass – statistisch gesprochen – eine hohe Korrelation zwischen der Leugnung des Holocausts und einer antisemitischen Einstellung besteht, dass also seine Argumentation logisch korrekt sein mag, aber es diese denkbaren Fälle in der Realität wohl einfach nicht gibt. Man traut Chomsky eigentlich zu, zu wissen, dass solche Äußerungen leicht missverstanden und missbraucht werden können. Und dann wundert man sich doch, dass er sich gerade so geäußert hat.
Angesichts der Proteste vor und im Gewandhaus – die Demonstranten entrollten zwei Plakate mit den Aufschriften: „Toleranz tötet: Keine Diskussion mit Antisemiten“ und „Gegen den Terror und seine Apologeten“ – und des wichtigen Themas waren die Zuhörer also sicher sehr gespannt auf das, was Chomsky zu sagen hatte. Aber was kam nun beim Sonntagsgespräch heraus? Ich meine, recht wenig. Zumindest die erste Veranstaltung der Reihe wurde ihrem hochgesteckten Anspruch nicht gerecht. Überhaupt schien das Ganze kein schlüssiges Konzept zu haben. Mona Ragy Enayat und Silvia Needun trugen zu Beginn zwei Lieder vor und das Duo Rubin (Ithay Khen und Gabriella Gonda Khen) umrahmte Chomskys Vortrag mit einer Meditation für Cello und Klavier des Komponisten Alberto Hemsi und einer Variation Paganinis. Meggle hatte dies mit dem Veranstaltungsort Gewandhaus begründet. Die Musik blieb aber ganz ohne Bezug zum Vortrag: Weder ist die Ringvorlesung – ob im Gewandhaus oder im Hörsaal – ein Festakt, der erst durch die Musik die rechte Feierlichkeit erhalten hätte, noch hatten die Stücke irgendeinen Zusammenhang zum Vortrag. Enayat sang zwar zuerst ein Lied, das „Palästinalied“ überschrieben war. Dabei handelt es sich um eines der wenigen Lieder Walthers von der Vogelweide – genauer, um ein Kreuzzugslied -, zu denen eine Melodie erhalten ist, die hier von der Sängerin und Komponistin mit einem neuen Text verwendet wurde. Ob aber hier ein Zusammenhang zum aktuellen Palästina-Konflikt besteht und ob der Zusammenhang zu den Kreuzzügen den Zuhörern klar war, scheint sehr fraglich. So wollte die Musik nicht zur Veranstaltung passen und wirkte ziemlich deplaziert. Auch das Grußwort des Rektors Häuser, das aus recht allgemeinen Sentenzen zur ach so wichtigen Rolle der Universität im öffentlichen Diskurs und Hinweisen auf das anstehende Jubiläum und den kürzlich verstorbenen, ehemaligen Rektor Volker Bigl bestand, wirkte seltsam isoliert vom Zweck der Veranstaltung und wäre mehr als entbehrlich gewesen.

Nebenbei: der Vortrag

Der Vortrag selbst drohte in der Aufregung um Protestanten und im belanglosen Rahmenprogramm beinahe unterzugehen. Chomsky wandte sich zuerst mit einer kurzen Replik an die Demonstrierenden, denen er Totalitarismus vorwarf, und er wies darauf hin, dass er, wenn er die Politik des Staates Israel kritisiere, nicht die Bevölkerung Israels kritisiere, also mitnichten Antisemit sei. Gerade diese Argumentationslinie wird vom Bündnis gegen Antisemitismus auf seinen Flugblättern heftig bestritten. Der Antisemitismus argumentiere „nicht mehr völkisch und rassistisch“, sondern sei „ethnopluralistisch“ und verkleide sich als Kritik an Israel dergestalt, dass man dem Staat Israel dieselben „Vorwürfe [mache] wie früher den Juden.“

Die kurze Replik Chomskys an die Demonstrierenden stellte den Übersetzer, der für den Vortrag offensichtlich ein bereits übersetztes Manuskript zum Vorlesen zur Verfügung hatte, leider vor so große Schwierigkeiten, dass man im Deutschen der Argumentation Chomskys nur zum Teil folgen konnte: Chomsky wollte an drei Beispielen – einer Perikope aus dem alten Testament (1. Könige 18,16-18), Stalin und den USA der 50er Jahre – deutlich machen, dass Totalitarismus immer auch darin bestehe, Kritiker des Staates zu Feinden des Volkes zu erklären.

Der Vortrag selbst bot nichts wesentlich Neues oder Unerwartetes und widmete sich weniger der Rolle, die Europa im Nahost-Friedensprozess spielen sollte oder könnte, sondern stellte eher einen kurzen Überblick über die Strategie der US-Außenpolitik im Nahen Osten dar, was Chomsky an drei Beispielen darlegen wollte: dem Libanon, dem Irak und Israel-Palästina.

Als das Grundmuster der US-Außenpolitik sieht Chomsky das Prinzip, strategische Ziele zu verfolgen und dies mit Vorwänden zu begründen. Er zitierte zunächst Samuel Huntington, der zu Zeiten des Kalten Kriegs gesagt hatte, die US-Außenpolitik wolle den Anschein erwecken, dass das, was sie tue, gegen den Kommunismus gerichtet sei. In Wirklichkeit gehe es aber um andere Interessen. Nach Chomsky hat sich die Verhüllung nach dem Ende des Kalten Kriegs gewandelt. Jetzt spreche man nicht mehr von der Bekämpfung des Kommunismus sondern von der Ausbreitung der Demokratie oder der Bekämpfung des Terrors. Der Außenpolitik gehe es aber nicht darum, Demokratie im Irak zu etablieren, sondern in einer strategisch wichtigen Region militärisch präsent zu sein. Daher würde es auch abgelehnt, die Truppen rasch aus dem Irak abzuziehen, was eigentlich ein dringender Wunsch der Bevölkerung sei. Den USA gehe es im Wesentlichen darum, Regierungen einzusetzen, die die Wünsche der USA ausführen. Das könnten demokratisch gewählte Regierungen sein, aber eben nur dann, wenn die Wahlergebnisse den Wünschen der US-Regierung entsprächen. Dieses (hier stark verkürzte) Deutungsmuster legte Chomsky dann seiner Interpretation des Konflikts zwischen Israel und Palästina und der Einflussnahme der USA in diesem Konflikt zu Grunde und fasste so dessen Geschichte in den letzten 35 Jahren zusammen.

Chomsky kritisiert dabei vor allem, dass in einigen – offensichtlich einflussreichen – Medien die Deutung der Geschichte seitens der US-Regierung im Wesentlichen übernommen wird. Im Leipziger Vortrag kritisierte er allerdings fast ausschließlich die New York Times.

Des Weiteren betonte Chomsky in seinem Vortrag häufig, dass die US-Regierungen und ihre unterschiedlichen Präsidenten immer wieder über internationales Recht, z. B. die Genfer Konvention, gebrochen und sich über Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates hinweggesetzt hätten. Erst am Schluss seines Vortrags kam Chomsky kurz auf die europäischen Staaten zu sprechen, die die Wahl hätten, passive Beobachter zu bleiben oder sich einzumischen.

Chomsky vereinfacht – und erklärt doch richtig?

Chomskys Argumentation ist – was ihm vorgehalten wird – vergleichsweise einfach nachzuvollziehen. Er erkennt in der Außenpolitik der USA ein durchgängiges Grundmuster, das nur hinsichtlich der äußerlichen Begründung und aufgrund besonderer Umstände vor Ort variiert. Und Chomsky ist mitunter durchaus sarkastisch oder zuspitzend, z. B. wenn er vom „Erzterroristen Scharon“ redet oder der Presse vorhält, die Intervention im Irak zum „edelsten Krieg in der Geschichte“ hochstilisiert zu haben. Vielleicht ist diese Vorgehensweise pauschalisierend und lässt andere Einflussfaktoren außer Acht. Ganz so geradlinig werden die Mechanismen in einem so komplexen Feld wie der internationalen Politik nicht immer ablaufen und Chomsky äußerte sich auch nicht näher dazu, worin die echten Ziele der USA denn genau bestehen. Aber man muss Chomsky zugute halten, dass er meist Fakten – vom Wasserverbrauch, über Umfragewerte, bis zu Plänen zur geographischen Aufteilung – aufbieten kann und dass sein Erklärungsmuster unter Umständen einen Teil der kriegerischen Konflikte der letzten Jahrzehnte recht gut erklären kann. Und ganz so schwarz-weiß-malerisch wie er gern dargestellt wird, präsentierte sich Chomsky letztlich nicht. Die unreflektierte Medienschelte, die ihm z. B. immer wieder vorgeworfen wird, bezog sich im Leipziger Vortrag nur auf die New York Times. Und er erwähnte durchaus, dass Informationen zugänglich sind (er hat sie ja auch, ohne Mitglied der amerikanischen Geheimdienste zu sein) nur eben nicht in den Leitmedien auftauchen. Seine Kritik an der einseitigen Berichterstattung in den weiter verbreiteten Medien scheint mir mitunter auch auf die Berichterstattung der FAZ über Südamerika, insbesondere Venezuela, zuzutreffen. Der Blick nach Lateinamerika zeigt ferner – so scheint es mir zumindest -, dass der Interventionismus der USA wohl nicht nur ein Hirngespinst Chomskys ist. Hingewiesen sei auch darauf, dass Chomsky mit seiner Kritik der US-Außenpolitik ja durchaus Recht haben kann, deswegen aber noch lange nicht mit seiner Meinung über die Rote Khmer Recht haben muss. Gerade Personen, die eine Meinung immer wieder pointiert in der Öffentlichkeit vertreten und vertreten müssen, sollte man zugestehen, dass sie sich irren können.

Wie auch immer man sich im Einzelnen zu Chomsky stellen will – sein Vortrag bot immerhin einige Denkanstöße. Ob diese Denkanstöße aber angesichts des geplanten und ungeplanten Drumherums beim Zuhörer ankamen? Man kann es bezweifeln. Zu einer Diskussion, einer Auseinandersetzung oder zum sachlichen Streit kam es beim Sonntagsgespräch leider nicht. Das wäre im Gewandhaussaal auch schwer möglich gewesen. Aber werbewirksam für die Ringvorlesung war dieser Auftakt allemal. Und wenn sich daraus in den beiden nächsten Semestern tatsächlich eine öffentliche Diskussion um Israel, Palästina, die Rolle Europas und Deutschlands entwickelt, dann hat Chomskys Vortrag seinen Zweck mehr als erfüllt.

Noam Chomsky: Vortrag „Europa-Israel-Palästina“
28. März 2005, Gewandhaus zu Leipzig, Großer Saal
Weitere Informationen zur Ringvorlesung „Deutschland – Israel – Palästina“ unter: www.uni-leipzig.de/~dip
Informationen zum Sonntagsgespräch unter: www.uni-leipzig.de/~sonntag/

Weitere Veranstaltungen der Ringvorlesung im Sommersemester 2005
04. April: Shimon Stein – Deutschland – und die Zukunft Israels
11. April: Martin Beck – Friedensprozess im Nahen Osten ?
18. April: Uwe Steinhoff – Deutsche Doppelmoral
25. April: Igor Primoratz – Terror im israelisch/palästinensischen Konflikt
02. Mai: Walter Hollstein – Der Nahe Osten: Wahrheit und Rassismus
08. Mai: Michael Wolffsohn – Deutschland/ Israel/ Palästina – Geschichte als Falle
23. Mai: Rüdiger Lux – Zur „Biblischen Geschichte“ Israels
30. Mai: Anis Hamadeh – Eine deutsch-palästinensiche Identität
06. Juni: Abdallah Frangi – Deutschland und Palästina
13. Juni: Tomis Kapitan – Europe’s Responsibility
20. Juni: Manfred Rotter – Lösungsmöglichkeiten – nach dem Völkerrecht
27. Juni: Abraham Sion – Palästina aus der Sicht der Likud
04. Juli: Helga Baumgarten – Zur Rolle der Hamas
11. Juli: Hajo Meyer – Das Ende des Judentums
18. Juli: Michael Haller – Der Nahostkonflikt aus medienethischer Sicht

Ein Kommentar anzeigen

  1. chomskys vater war ein angesehener hebraist, chomsky ist selber jude und hat sogar kurzfristig in einem kibbuz in israel gelebt. diesem mann antisemitismus vorzuwerfen ist ein armutszeugnis. es beweist nur einmal wieder, wie der begriff antisemitismus überstrapaziert wird, um jede art von kritik am israelischen staat zurück zu weisen. sobald man die wahrheit über die politik israels erfahren will und da diese wahrheit verbunden ist mit gewalt und blut und da dies das bild vom opferstaat israel verrückt, ist man antisemit. unfassbar, wie kurzsichtig einige menschen sind.

    chomsky ist ein genie und ein mutiger mann, einer der wenigen hoffnungsschimmer unserer zeit.

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