Spielfreude, Temperament und Eleganz

Das Gewandhausorchester spielt Tschaikowski und Rachmaninow unter Leitung von Daniel Harding

Spielfreude, Temperament, Eleganz: Mit diesen drei Wörtern lässt sich beschreiben, was Sebastian Breuningers Tschaikowski-Spiel auszeichnet. Schon im Kopfsatz des Violinkonzerts stürzt Breuninger sich ohne falsche Zurückhaltung in die hoch virtuosen Passagen, die enormen Sprünge, die wahnwitzigen Doppelgriffe. Souverän meistert er selbst die abenteuerlichsten geigerischen Anforderungen und scheut auch in den höchsten Lagen kein Risiko. Entscheidender als diese technische Überlegenheit ist aber die immer spürbare Spielfreude, bisweilen auch der Spaß an der puren Virtuosität, welche ja in diesem Violinkonzert – vor allem im Finalsatz – tatsächlich manchmal zum Selbstzweck wird. Diese stets greifbare Musizierlust ist bei Breuninger aber ganz offensichtlich eine Lust am gemeinsamen Musizieren, wie die sensible Kommunikation zwischen ihm und dem Dirigenten Daniel Harding zeigt, dessen zurückhaltende Begleitung manchmal fast schmerzlich zutage treten lässt, welch eine Statistenrolle Tschaikowski dem Orchester streckenweise zugedacht hat. Im übrigen kommt der Aufführung sehr zugute, dass Breuninger – sonst als Konzertmeister im Orchester tätig – an diesem Abend mit Kollegen spielt, mit denen er sich musikalisch hörbar gut versteht. Dass Breuningers Spiel nicht nur mit äußerlichen Effekten glänzt, beweist er im langsamen Mittelsatz. Hier lässt er die Geige einfühlsam singen (nicht schluchzen!) und begeistert durch einen eleganten, edlen Ton.

Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, ist es Lob oder Kritik, wenn einer Komposition bescheinigt wird, sie klinge „wie Filmmusik“? Sicherlich ist dieser Vergleich meistens als Kompliment gemeint, auch wenn das Filmmusik-Genre für viele Musikwissenschaftler allenfalls irgendwo zwischen Schund und Kitsch einzuordnen wäre. Diese fragwürdige Kategorisierung, welche auf einseitige Bewertungskriterien zurückgeht, muss aber zum Glück die Konzertbesucher nicht weiter kümmern, die ja auch Musik gewöhnlich mit den Ohren und nicht mit Noten lesenden Augen wahrnehmen. Wer es braucht, kann in Rachmaninows zweiter Sinfonie genügend Anhaltspunkte finden, um jenen musiktheoretisch abgeleiteten kompositorischen Anspruch nachzuweisen, ohne den es für viele einfach nicht geht. Trotzdem liegt die große Stärke der Sinfonie nicht in formaler oder struktureller Vollendung, sondern in ihrem reichen Fundus an wundervollen Melodien, traumhaften Klangfarben-Wirkungen, berückenden Soli etc..

Daniel Harding weiß dies, und er betont deshalb nicht so sehr das -durchaus vorhandene – rationale Element, sondern geht stark vom Klang aus. Er lässt das Orchester glänzen, strahlen und schwelgen, ohne aber dafür die Durchhörbarkeit zu opfern. Er präsentiert den groß angelegten Kopfsatz als ein sich organisch entwickelndes Gebilde, den zweiten Satz als übermütige bis groteske Scharade ? la Prokofjew. Dem Hollywood-Schmelz des dritten Satzes lässt er seine Wirkung, ohne zuviel an Zuckerguss zu verwenden. Gerade für einen so jungen Dirigenten ist dies eine mehr als beachtlich Leistung. Allein im Finalsatz geht Harding manchmal der große Atem aus. Hier würde man sich eine noch deutlichere Differenzierung der Orchestergruppen wünschen. Auch die großen dynamischen Steigerungen entwickeln sich nicht immer so zwingend und gleichmäßig wie noch im ersten Satz (allerdings ist dies sicherlich nicht allein dem Dirigenten anzulasten). Ungeachtet dieser Kleinigkeiten ist Harding und dem auf absolutem Weltklasse-Niveau spielenden Gewandhausorchester eine hervorragende Aufführung gelungen, die man sich unter Live-Bedingungen (und auch sonst) kaum besser hätte vorstellen können.

Peter I. Tschaikowski: Violinkonzert
Sergej W. Rachmaninow: Sinfonie Nr. 2

Gewandhausorchester Leipzig
Solist: Sebastian Breuninger, Violine
Dirigent: Daniel Harding

7. April 2005, Gewandhaus, Großer Saal

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