Perfektion mit Hang zum Kitsch

Das sechste Festival für Vokalmusik „a cappella”ist wieder in Leipzig

Camerata, die Vokaltruppe aus Minsk, Weißrussland und „Manhattan Transfer des Ostens“, zeigte im Rahmen des VI. a cappella-Festivals ihr grandioses Können. Auch in ihrem neuen Programm „Miracle“ – es handelt von den Wundern der Welt, der Liebe, übernatürlichen Dingen und verzaubernden Landschaften – zeigt sie sich von ihrer äußerst wandlungsfähigen Seite. Die vier Sängerinnen und drei Sänger haben in Russland eine musikalische Ausbildung genossen, die weltweit zur Elite zählt. Dieses Kapital macht sich bezahlt: Das stimmliche Spektrum reicht von kehligem Gesang, wie man ihn von bulgarischen Chören kennt, über klassische Kantilenen, hin zu jazzigem Satchmo-Sound. Neben den sieben Sängern muss man auch den achten Mann erwähnen, den Soundingenieur. Er neigte dazu, dem Gesang etwas zu viel Hall beizumengen. Überflüssig bei solchen Stimmen.

Das Besondere an Camerata sind neben dem Klangzauber ihre Arrangements. Unbekümmert verweben sie Klassisches mit slawischer Folklore und Jazz. Oft kommen innerhalb eines Stückes abrupte Wechsel, als ob man aus Versehen den Sender im Radio gewechselt hätte. Doch neben den ungewohnten Klangwechseln bestechen die Sängerinnen und Sänger durch epische Breite: Die einzelnen Stücke sind ungewöhnlich lang und entfalten sich über langsam aufgebaute Klangteppiche. Teppiche, die mit wechselnden, unterschiedlich schillernden Fäden gewoben sind.
Ein gutes Bespiel dafür ist das Stück „Bulgarian Fantasy“, zu dem die Gruppe durch eine Bulgarien-Tournee inspiriert wurde. Epische Klänge, die wie Filmmusik eine Landschaft beschreiben, wechseln sich ab mit rhythmischen Gesängen aus der bulgarischen Folklore.

Hervorzuheben ist außerdem das Stück „Falcon“, ein Lied mit bezaubernder Melodie. Der Falkenschrei wird zum Scatgesang, das Atemgeräusch zur sirrenden Luft. „Fading Star“, ein Arrangement, das in diesem Programm Premiere hat, besticht durch seinen symmetrischen Aufbau und Klangvielfalt, changierend zwischen Popgesang und Klassik. In „Love Appointment“ beschwört die Gruppe eine Waldidylle herauf, mischen sich Melodien mit unnachahmlichem Vogelgezwitscher.

Ein wunderbares Klangerlebnis, wäre da nicht die visuelle Komponente des Abends. Natürlich steht die Musik im Vordergrund, aber wenn eine Gruppe ihr Programm als Show ankündigt und mit choreographischen Elementen arbeitet, schaut man eben auch hin, und dabei fallen einige Ungereimtheiten auf. Zunächst erscheint mir die Kleidung der Gruppe unstimmig. Allesamt schwarz gewandet, schreiten die Damen gravitätisch in bodenlangen Mänteln daher, während die Herren mit ihren lockeren Hemden in der Hose und offenem Kragenknopf eher wie koboldhafte Kellner wirken. Das wirkt uneinheitlich und teilweise unfreiwillig komisch. Dann die Choreographie: Vielleicht haben wir es hier mit einem typisch russischen Phänomen zu tun, mit einem Hang zu Kitsch, Theatralik und großen Gesten. Da schwebt der sterbende Falke mit breiten Armschwüngen, da macht die Truppe selbst vor Kniefällen nicht halt, wenn es um die Liebe geht. Dann wieder wandeln die einzelnen Mitglieder unambitioniert über die Bühne, statt einfach dem Klang zu vertrauen. Manchmal war da die beste Lösung: Augen zu und lauschen. Denn was die Musik betrifft, war dieser Abend ein unerhörtes Erlebnis.

VI. Festival für Vokalmusik „a cappella“ 2005 in Leipzig

Camerata: „Miracle“

Dienstag, 19. April 2005, Mendelssohn-Saal, Gewandhaus

www.magenta-concerts.de

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