Offenbachisch göttlich: Zur Wiederaufnahme von „Orpheus in der Unterwelt” (Sebastian Schmideler)

Jacques Offenbach: „Orpheus in der Unterwelt“
Inszenierung: Katja Drewanz
Musikalische Komödie, 23. April 2005

Götter sind auch bloß Menschen – Zur Wiederaufnahme von „Orpheus in der Unterwelt“

Dass den Göttern menschliche Züge und Handlungsweisen eigen waren, galt in der Mythologie des alten Griechenlandes als besonderes Zeichen für die Vitalität der Gottheiten. Aber dass sie so menschlich sein können, dass sie der Lebenswelt der Moderne zum Verwechseln ähnlich sehen und fortwährend gegen das Bürgerliche Gesetzbuch verstoßen, stellt eine Einsicht dar, die Jacques Offenbach zu verdanken ist. Dem Deutschen aus Köln, der in Paris zum perfektesten Franzosen avancierte, den die Mode des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat, war mit „Orpheus in der Unterwelt“ der erste große Wurf gelungen, der seinen Ruhm begründete.

Die Leipziger Wiederaufnahme dieser nach wie vor überaus beliebten Buffo-Oper am 23. April 2005 im voll besetzten Saal der Musikalischen Komödie verdeutlicht, was für ein Grenzgänger Offenbach war. Er überwand nicht nur die Schranken der Nationalitäten, bereicherte die „Querelle des Anciens et des Modernes“ um die Erkenntnis, dass man Zeitkritik am besten in historisches Kolorit kleidet, sondern er ist vor allem ein ästhetischer Provokateur gewesen, der mit dem öffentlichen Kulturgut Oper sein scheinbar leichtes Spiel trieb.

Dieses Spiel ist schwer zu durchschauen. Auch die Leipziger Inszenierung lässt es dabei bewenden, die eigentlichen Rätselnüsse den Zuschauern zu knacken zu geben. Musikalische Anspielungen auf Christoph Willibald Glucks Oper „Orpheus und Euridike“, intertextuelle Referenzen auf die antike menippeische Satire des Lukian – das „Lob der Fliege“ – oder die raffinierten Travestien und Parodien der in die bürgerlichen Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts verlagerten Göttergeschichten muss auch hier der Zuschauer schon selber verstehen wollen. Und das ist allerhand verlangt: denn dazu sollte jeder seinen Homer und am besten gleich noch die Götterlehre von Karl Philipp Moritz gelesen haben, in der Musikgeschichte bewandert sein, über das 19. Jahrhundert bescheid wissen – und sich als Kenner menschlicher Schwächen hervortun. Dann erst kann diese anspruchsvolle Buffo-Oper ihren vollen Reiz entfalten. Wer nur dem sattsam bekannten Can-Can entgegenfiebert oder darauf wartet, bis es wieder heißt „Als ich noch Prinz war von Arkadien“, der kommt zwar auch auf seine Kosten, hat aber nicht viel von dem Pointen-Feuerwerk, das sich reich verzweigt drum herum rankt.

Worauf sich die Leipziger Inszenierung von Katja Drewanz vom November 2001 konzentriert, ist schnell gesagt: sie will ein im besten Sinn konventionalisiertes, sozusagen realistisches Abbild geben, das die verschiedenen Ebenen der Handlung zu unterscheiden hilft – nämlich das reale 19. Jahrhundert, den zeitlosen Olymp und Plutos Unterwelt mit einigen Anspielungen auf die Jetztzeit. Der Clou des Ganzen besteht darin, dass die Akteure aus großen, barock-verzierten und goldenen Rembrandt-Bilderrahmen agieren (Bühne: Hermann Feuchter), sich also ein Spiel im Spiele entwickelt, das verschiedene Ebenen und Meta-Ebenen eröffnet, die Drewanz und Feuchter durch sichtbare Rahmen – eben Bilderrahmen – als anschauliche Satire auf Kommunikationsmodelle sinnlich machen. Eine weitere nennenswerte Leistung der Regie besteht in der guten Arbeit an den Dialogen, die das schauspielerische und theatralische Element vorteilhaft hervortreten lassen. Die Pointen sitzen, die Bewegungen sind nur hier und da Pose und wenn sie satirisch gemeint sind, wird dies für den Zuschauer auch erkennbar.

Danielle Laurents Kostüme präsentieren sich als ein konventioneller, bunter Augenschmaus, der das 19. Jahrhundert in typischen Formen ebenso deutlich sichtbar macht wie Pluto in Rockerkluft. Die Götterwelt ist mit kontraststarken, bunten, assoziativen und symbolhaltigen Kostümen ausgestattet (das grün schillernde Fliegenkostüm ist eine wahre Meisterleistung gekonnter Ironie), die in den Massenszenen Eindruck machen. Monika Gepperts Choreografie ist solide und entspricht einem gewissermaßen „salonmäßigen“ Verständnis von französischer Unterhaltungsmusik des vorletzten Jahrhunderts. Das Ballet der Musikalischen Komödie setzt dies adäquat und präzise um.

Unter den sängerischen Leistungen ragen besonders Milko Milev als Aristeus und Pluto hervor, von ihm pointiert gespielt und kraftvoll ausgesungen, sowie Anne-Kathrin Fischer als Venus und Katja Kriesel als Cupido. Aber zu betonen ist, wie sehr die Abfolge der Dialoge und das flotte Vorantreiben der musikalischen Handlung in dieser Inszenierung funktionierten. Das gute Dutzend Götter wirkt in seiner musikalischen und schauspielerischen Gesamtheit beeindruckend. Karl Zugowski hatte als besonders wohlwollend aufgenommener Prinz von Arkadien nichts von der dankbaren Rolle verschenkt und stellte sich als ein würdiger Nachfolger von Minetti und Theo Lingen heraus, die darin vorbildlich paradierten.
Doch die eigentliche große Überraschung dieser Wiederaufnahme kam aus dem Orchester der Musikalischen Komödie unter dem fabelhaften Kapellmeister Stefan Diederich, der nach der kritischen Ausgabe von Jean-Christophe Keck dirigierte. Hier war viel Kongeniales zu hören, denn Diederich nahm die Vorlage sehr ernst und akkurat wie es sich gehört, präsentierte er sie als überaus farbige Partitur eines großen Instrumentalisten, eines schwungvollen und einfallsreichen Musikdramatikers. Die straffen Tempi mochten manchem Sänger nicht behagen, doch waren sie nicht jugendlicher Überschwang sondern erschienen hier als echt „offenbachisch“. Das Orchester parierte mit schönem Holz, weichen, aber aufgeräumten Streichern und einem wunderbar genauen Zusammenspiel. Respekt! Hier wurde deutlich, dass man es bei Offenbachs „Orpheus“ mit einer Oper zu tun hat, auf die das Vorurteil von der leichten Muse absolut nicht passt.

Die Wiederaufnahme kann insbesondere durch Diederich und sein Orchester als eine weitere Qualitätsproduktion der Musikalischen Komödie für die Besonderheit dieses Hauses zeugen. Das ältere und jüngere Publikum war begeistert. Möge dies auch weiterhin so bleiben.

(Sebastian Schmideler)

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