„Vocal Sampling” singen sich auf dem auf dem sechsten a-cappella-Festival die Seele aus dem Leib
Schließt man die Augen, hört man ein ganzes Latin-Orchester mit Percussion, Hörnern, Trompeten und Bässen. Öffnet man sie, stehen da sechs ausgelassene Männer in bunten Hemden auf der Bühne, quäken mit zugehaltener Nase ins Mikro, singen sich die kubanische Seele aus dem Leib und mimen mit Hingabe Instrumente. Was als musikalische Spielerei während des Studiums begann – die Herren sind alle ausgebildete Instrumentalisten – ist heute das unverwechselbare Markenzeichen von Vocal Sampling.
Andere Vokalgruppen bauen solche Instrumentimitationen als kleinen Gag zwischendurch ein, Vocal Sampling imitiert naturalistisch den gesamten Instrumentalsatz. Ihre Musik klingt durchweg als Gesang mit Instrumentalbegleitung, mit allen Konsequenzen wie den obligaten Soli von Trompete, Schlagzeug (hinreißend: Abel Sanabria Padrón) oder einem grandiosen E-Gitarren-Solo von René Ba?os Pascual. Die Imitation war dank (absichtlicher) Übersteuerung der Anlage bis aufs I-Tüpfelchen perfekt. Für Neulinge im Bereich Latinomusik bietet die Gruppe übrigens eine äußerst unterhaltsame Einführung in die Rhythmen und Stile der kubanischen Musik – Guaracha, Boleros, Rumba und Swinging Salsa. Selbst Kenner dieses Genres bringt die Gruppe noch heute regelmäßig zum Erstaunen.
So auch im Spizz. Der Keller war brechend voll, die Luft zum Schneiden. Zum Glück hielten sich die meisten an die Bitte des Veranstalters, während des Gesangs das Rauchen zu unterlassen. Dafür durfte das Publikum mitsingen. Unter Anleitung von René Ba?os Pascual begann der zweite Teil des Abends mit Lockerungsübungen und Summen: „Please very low und very relaxed!“ Die neuen Erkenntnisse kamen sofort zum Einsatz beim Evergreen „Mi Guantanamera“. Auch, was das rhythmische Empfinden betraf, kitzelten die Kubaner das Menschenmögliche aus den Leipzigern: Am Ende wurde sogar in Synkopen geklatscht. Bach hätte seine Freude gehabt.
Neben der beispiellosen Musik überzeugt die Gruppe durch ihr Auftreten und Spiel auf der Bühne. Die Choreographien sind unverkrampft, wirken spontan, die Imitation der Instrumente ahmen die Musiker pantomimisch nach ohne Peinlichkeit oder Übertreibung. Gelegentliche Kostümwechsel setzen die Sänger eher sparsam ein und nie zum Selbstzweck. Da zelebriert Vocal Sampling den Beginn der Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss in Mönchskutten. An anderer Stelle spielen sie in neonfarbener Bauarbeiterjacke mit dem Charme des Latinlovers. Bei diesem Charme hätte eher das weibliche Publikum den Schutzhelm gebraucht… Mit einer Mitmachnummer, in der Reinaldo Mora Espinosa zur Freude der deutschen Seele sogar jodelte, beendete Vokal Sampling einen grandiosen a cappella-Abend. Mehr davon!
Vocal Sampling
im Rahmen des VI. Festivals für Vokalmusik – a cappella
Spizz, 23. April 2005
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