„Maria voll der Gnade”, ein Film von Joshua Marston (Sarie Teichfischer)

Maria voll der Gnade
Kolumbien, USA, 2003, 101 Min.
Regie: Joshua Marston
Darsteller: Catalina Sandino Moreno, Guilied Lopez, Patricia Rae
Verleih: Universum Film
Kinostart: 21. April 2005

Bilder: Universum
Maria voll der Gnade und Heroin

Es gibt Filme, da kommt man hinterher aus dem Kino und bemerkt zum ersten Mal, wie unsagbar unkompliziert das Leben ist, wenn man nicht mehr mit seiner gesamten Familie unter einem Dach wohnen muss, nicht schwanger von einem ungeliebten Mann ist, nicht durch den amerikanischen Zoll muss mit einem halben Kilo Heroin im Bauch. So wie die rebellische Dorfschönheit Maria. Sie ist 17, versucht der Armut in ihrem Heimatland Kolumbien zu entfliehen und wird so zum „Maultier“, einem von Hunderten Drogenkurieren, die Heroin in ihrem Körper von Kolumbien in die USA schmuggeln. 5000 Dollar sind Marias Anreiz – mehr als das doppelte Jahresgehalt, was sie auf ihrer heimatlichen Rosenplantage verdienen würde.

Maria kündigt ihren Job auf der Plantage, nachdem sie dort nicht auf Toilette gehen darf, als ihr schlecht wird. Da sie nun ihre verärgerte Familie gegen sich und im Dorf keine Aussichten auf einen neuen Job hat, beschließt sie, in die nächstgrößere Stadt zu fahren. Als der charmante Franklin Maria ein Jobangebot macht, das „mit Reisen zu tun hat“, ahnt sie bereits, worum es geht. Sie müsste – gemäß ihrem Körpergewicht – mindestens 60 daumengroße Gummipäckchen gefüllt mit Heroin schlucken und in die USA schmuggeln. Maria hat schon einiges über festgenommene Drogenkuriere gehört, die in die Schlagzeilen gekommen sind, aber Franklin beschreibt sie als geltungssüchtige Trottel, die sich absichtlich fangen lassen, um ins Fernsehen zu kommen. Maria schiebt ihre Bedenken beiseite und lässt sich den Job von ihrem zukünftigen Arbeitgeber, dem entwaffnend väterlichen Javier erklären. Sie freundet sich mit Lucy an, die auch für Javier arbeitet und den Trip schon zweimal gemacht hat. Davon kann sie sich eine großzügige, lichtdurchflutete Wohnung leisten, in die sie Maria einlädt, um sie auf ihre erste Reise vorzubereiten. Sie erklärt ihr, dass sie 24 Stunden vorm Abflug nichts mehr essen darf, sich unauffällig kleiden soll, und dass man stirbt, wenn eines der Päcken im Körper platzt. Und sie bietet Maria tischtennisballgroße Weintrauben an – zum Üben. Unter Javiers aufmerksamem Blick schluckt Maria einige Tage später gehorsam ein Heroinpäckchen nach dem anderen, zusammen mit Tabletten, die die Verdauung verlangsamen, und steigt ins Flugzeug nach New York.

Entgegen Franklins Aussage verläuft die Reise alles andere als unproblematisch. Doch Maria entwickelt und beweist auch unter diesen Umständen Stärke und Willenskraft, die ihr und den Menschen an ihrer Seite die Möglichkeit eröffnen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Maria voll der Gnade ist eine Geschichte aus tausend wahren Geschichten, eine Geschichte, die jeden Tag passiert. Maria, gespielt von der Studentin Catalina Sandino Moreno, wurde für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert, der Film erhielt diverse Auszeichnungen, unter anderen auf der Berlinale und auf dem Sundance Festival, durchaus zu Recht. Regisseur Joshua Marstons Geschichte wird hier nicht zum ersten Mal erzählt, aber in diesem Falle frei von Emotionalisierung, sachlich, unspektakulär und teilweise fast dokumentarisch. Der Film beschreibt tägliche Realität teilweise bedrückend, doch nie aussichtslos. Marston lässt seine Protagonistin psychisch und physisch durch die Hölle gehen und sie doch weder ihren Mut noch ihre wilde Entschlossenheit verlieren, aus ihrem Leben mehr zu machen als ein tristes Durchschnittsdasein in einer kolumbianischen Kleinstadt. Die Kamera bleibt während des gesamten Films in Reichweite Marias, was ihre Figur noch an Eindringlichkeit gewinnen lässt.Maria voll der Gnade verzichtet auf Stereotypen des kolumbianischen Elends, allerdings zu ganzheitlich: Eben diese Blumenplantagen in der Nähe von Bogata, wo Maria anfangs arbeitet, sind bekannt dafür, dass Arbeiter dort nicht nur ausgebeutet werden, sondern auch ohne Schutzanzüge arbeiten müssen und so durch den Einsatz von Pestiziden vergiftet werden. Und Dörfer wie Marias Heimatdorf am Rande von großen Städten sind Schauplätze von Massakern von Miliz, der Guerilla und Drogenhändlern. Das zeigt der Film nicht. Umso überraschter ist der Zuschauer, wenn Maria in New York dringend geraten wird, unbedingt die Drogen abzugeben, bevor man ihrer Familie in Kolumbien etwas antue. Bis dahin wirkte ihr Heimatdorf eher idyllisch, bunte Häuser mit wehenden Gardinen, schläfrig dösende Hunde in der Mittagssonne.

Aber lieber ein Film, der sich auf wenige Aspekte konzentriert und dadurch berührt, als ein alles-umfassen-wollendes Chaos ohne jegliche Tangenten zur Seele des Zuschauers. Maria voll der Hoffnung.(Sarie Teichfischer)

In Leipzig läuft Maria voll der Gnade in den Passage Kinos.

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