Die Franz Schubert des Pop sind zurück

Das Album des Monats Mai ist von The Go-Betweens mit „Oceans Apart”

Die Go-Betweens sind so etwas wie das Popmusik-Äquivalent zu Franz Schubert. Da verfertigt man jahrelang ein Meisterwerk nach dem anderen und niemand merkt es. Immer verfeinertere, reifere Musik entsteht und kaum jemand hebt auch nur sein Augenlid. Als man dann zu Grabe getragen wird, dauert es nicht lange und die Musikwelt schreit auf. Hätten all jene, die sich plötzlich als Fans und Nachfolger bezeichnen, die Musik gekauft – der Schubert Franz, wie auch Grant McLennan und Robert Forster wären reich und berühmt. Und dann
stelle man sich vor, Schubert wäre nach zehn Jahren plötzlich einfach wieder aufgetaucht. Hatte ein paar Jahre auf irgendeinem estnischen Landgut verbracht und in Ruhe komponiert, nachgedacht und Landpartien unternommen…

Was um alles in der Welt hatten die Go-Betweens seinerzeit nur falsch gemacht? Wollten Forster und McLennan doch nichts anderes, als mit klassischen Songs, ausgefeilten Texten und zartem Gitarren-Pop etwas Sonne, Poesie und Gefühl in die Welt der Musik zaubern und dazu Geschichten erzählen. Wahrscheinlich war genau das der Fehler in einer Welt, deren Mainstream von Namen wie Boney-M und Duran Duran dominiert wurde und in deren Untergrund pechschwarzer Postpunk sein metallenes Zepter schwang. Es fehlte auch die sarkastisch-theatralische Provo-Attitüde der Smiths oder der Wille zu radikalen Sound-Experimenten. Die Go-Betweens klangen eher, als ob Bob Dylan und Leonard Cohen bei den Beatles eingesprungen wären. Auf der einen Seite das lange Elend Robert Forster und seine lakonischen Songs, stets mit einer Portion Seelenqual, auf der anderen Seite der kleine, freundliche Grant McLennan, dessen Songs einen mit einem Lächeln an die Hand nahmen und in den Pop-Himmel entführten. Sie hatten sich im australischen Brisbane zusammengefunden und sich schließlich in Schottland niedergelassen. Immer edler wurden die Alben, sparsam mit ein paar Gitarren, etwas Geige und einer unauffälligen Rhythmussektion instrumentiert. Dazu Gesang, treffsichere Texte, die auch im Gedichtband stehen könnten. Natürliche Klangfarben, wie blanchiert anstatt im Eighties-Pudding zu Tode gekocht. 1988 erschien 16 Lovers Lane – eine Meditation über das Wesen von Liebe und Liebesleid in zehn sanften Songs. Müßig zu erwähnen, dass dieses Weltwunder neben Lambada und den schon zur Unkenntlichkeit aufgeblähten Simple Minds einfach unterging. Forster und McLennan warfen das Handtuch und begannen solo, ihr Handwerk zu perfektionieren – wie gehabt größtenteils unter den Augen respektvoller Kritiker.

Die Welt drehte sich weiter, und plötzlich fehlten die Go-Betweens schmerzlich, wie ein geliebter verstorbener Verwandter, von dem nur noch die Fotos bleiben. Vorbei, vorbei. Und das in einer Zeit, als Emotion und Substanz sich wieder in die Popmusik eingeschlichen hatten. Als hätten die Go-Betweens einst ein Apfelbäumchen gepflanzt, wuchsen in Schottland Edelgewächse wie die Delgados, Belle & Sebastian, die Pearlfishers heran. Die Zeit war reif. Geschichte, so viel ist klar, wiederholt sich nicht und wäre sie tatsächlich Magistra Vitae, wie es so schön heißt, dann würde vielleicht manches ganz anders laufen. Doch die Go-Betweens fanden sich zusammen, und die Chemie stimmte nach all den Jahren mehr als je zuvor. Die Ex-Frauen – einst am Trommeln und Geige dabei – wollten weder von ihren Ex-Männern noch von der Band etwas wissen, trotzdem gab es das wunderbare The Friends of Rachel Worth und die keinen Deut schlechtere Bright Yellow Bright Orange.Oceans Apart, das dritte Album nach der Wiederauferstehung, ist Anwärter auf den Platz ihres besten Albums. Oceans Apart schimmert, leuchtet, irisiert. Kennt Ihr das Gefühl, an einem erstickenden Sommertag im Park an einem Rasensprenger vorbeizugehen und ein ganz leichter Nebel legt sich auf das Gesicht…? Robert Forsters Songs klingen versöhnlicher und McLennan arbeitet nach wie vor an herzzerreißenden Drei-Minuten-Epen mit
größtmöglicher Emotion und einfachsten Mitteln. „Here comes the city“ ist feinster Gitarrenpop mit einer winzigen Idee von metallischer Härte.

McLennans „Finding You“ ist ein kleines Wunder mit sehnsüchtigen Akkorden und leiser Traurigkeit. Was wie ein Bluegrass-Song mit Mandoline beginnt, entpuppt sich nach wenigen Sekunden als melancholische impressionistische Skizze, mit Gitarren wie zerbrechliche Schichten aus Blätterkrokant, die mit bitterer Süße dahinschmelzen. Forsters sechsminütiges „Darlinghurst Nights“ glüht vor Wärme. Das alles kommt aus ohne vordergründige Virtuosität, Pose oder Maskerade. Die Texte sind weniger Gedichte als kleine Entwürfe zu
Kurzgeschichten. Sie loten die Natur des Vergehens der Zeit aus. Wie der Protagonist in „Darlinghurst Nights“ sein altes Notizbuch wiederfindet und Namen, Erinnerungen und unverwirklichte Pläne am inneren Auge vorbeiziehen – das ist, mit wenigen Pastellfarben dahinskizziert von derart gediegener Meisterschaft, dass das Herz vor Glück zusammenkrampft. Und wer ein Herz hat, dem mag diese Platte zum besten Freund werden.

1.Here comes a city
2.Finding you
3.Born to a family
4.No reason to cry
5.Boundary rider
6.Darlinghurst nights
7.Lavender
8.The statue
9.This night’s for you
10.The mountains near Dellray

Album des Monats:
The Go-Betweens:
Oceans Apart

Tuition

VÖ: 25.04.2005

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