Andrea Breth inszeniert Tschechows „Kirschgarten” im Wiener Burgtheater (Steffen Kühn)

Freitag, 6. 5. 05, 19.00 Uhr, Burgtheater Wien
Premiere 29. 4. 2005
Anton Tschechow: „Der Kirschgarten“
Komödie in 4 Akten, 1904
Deutsch von Peter Urban

Regie: Andrea Breth
Bühne: Gisbert Jäckel
Kostüme: Franciose Clavel
Dramaturgie: Wolfgang Wiens

Die Illusionen des Menschen sind unantastbar
Andrea Breth inszeniert am Wiener Burgtheater einen menschlichen „Kirschgarten“

Die Handlung ist so einfach wie aktuell: Eine überschuldete Besitzerin kann sich nicht gegen die Zwangsversteigerung ihres Gutes samt Kirschgarten wehren und verliert infolgedessen ihre Existenz- und Lebensgrundlage. Davon ist dann auch die gesamte Familie betroffen neben allen im Gut und im Haushalt Beschäftigten. Im Grunde eine tragische Geschichte, weshalb Tschechow seinen „Kirschgarten“ trotzdem (trotzig?) Komödie genannt hat, kann man derzeit am Wiener Burgtheater erleben. Andrea Breth hat alles Tragische, Aufgesetzte vermieden, die Personen handeln gleichberechtigt und selbstbewusst nebeneinander, modische Bezüge hat ihr unaufgeregter Ansatz nicht nötig.

Die sich überschlagenden technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen am Ende des 19. Jahrhunderts läuteten das Ende der feudalen Strukturen in Russland ein. Doch genauso wie sich die Aristokratie gegen das unbekannte Neue zur Wehr setzt, fehlt den Aufsteigern und Gewinnern des technischen Fortschritts (noch) die Sicherheit, vielleicht auch der Mut, gesellschaftlich autonom aufzutreten. Dass in diesem ambivalenten Prozess auch viel Komisches steckt, hat Tschechow auch in eigenen Kommentaren zum Stück betont. Nicht die natürlich auch innewohnende Tragik von Veränderungen interessieren im Kirschgarten, sondern das spannend Neue des Nebeneinanders verschiedener Zeiten. Und in welche Stadt passen diese Themen besser als nach Wien, wo auf die selbstverständlichste Art (der Welt?) Vergangenes nebeneinander existiert und gerade das paradoxerweise immer wieder Entwicklungen anstößt.

Die Bühne von Gisbert Jäckel liegt irgendwo zwischen Wartesaal und Mehrzweckraum eines Schullandheimes, ein riesiges Abflussrohr der etwas sehr didaktisch geratene (bedrohliche) technische Fortschritt. Im ersten Akt warten im früheren Kinderzimmer der Gutsherrin Ranjewskaja der Kaufmann Lopachin und zwei Hausangestellte auf die Ankunft der Herrschaft aus Paris. Im Kontrast mit dem alsbald vom Bahnhof ankommenden fröhlichen Hofstaat funktioniert sogar jetzt das auf den ersten Blick lieblose Bühnenbild. Man lässt sich durch keine äußeren Umstände aus der Ruhe bringen, munter wird ein Leben zelebriert, was seit Jahren nicht mehr möglich ist. Andrea Clausen als Ranjewskaja gibt die großzügige verletzliche Aristokratin, ihre gescheiterten Liebschaften trägt sie stolz vor sich her, genau wie ihren Vornamen Ljubow, zu deutsch Liebe. Ihr Bruder Gajew ist nicht immer nur ganz onkelhaft an seinen in den besten Jahren stehenden Nichten interessiert, außerdem den ganzen Tag mit Reden (Ansprache auf das hundertste Jubiläum des Kinderzimmerschrankes) und Billard beschäftigt, dabei vertilgt er Unmengen von Bonbons „Man sagt, ich hätte in den Jahren mein ganzes Vermögen aufgelutscht“. Ein skurriler Reigen, die Reden, Umarmungen und Kaffeekränzchen werden nur gestört durch Lopachin, der vor der drohenden Versteigerung warnt und vorschlägt, den Kirschgarten abzuholzen und Sommerhäuser darauf zu errichten. Wo Gajew in Gutsherrenmanier Lopachin nur mit „So ein Quatsch“ abkanzelt, verzaubert die elfenhafte Ranjewskaja selbst noch in der Ablehnung den schon von Beginn an in Hochachtung vor der (ehemaligen) Gutsherrin gefangenen Kaufmann. Lopachin, immerhin Sohn eines damals noch leibeigenen Bauern des Gutes findet nichts Widersprüchliches im Umgang mit den früheren Herrschaften, ganz dem Glanz der Vergangenheit erlegen. Auf der anderen Seite nutzen die Ranjewskaja und Gajew selbstverständlich neue Errungenschaften wie Eisenbahn und Telegrafie, versäumen aber keine Gelegenheit die alten Zeiten zu beschwören und den Fortschritt zu verdammen. Weshalb auch die alten Illusionen über Bord werfen, nur weil sich die Verhältnisse ändern. Im energischen Ausspruch des Dienstmädchens „Lasst mich in Ruhe, jetzt träume ich“ kulminiert Tschechows charmante Botschaft den Menschen doch ihre Illusionen nicht zu nehmen.

Es kommt dann wie es kommen musste. Lopachin ersteigert den Kirschgarten, im Rausch ob des Besitzes bemächtigt er sich auf einer rasender Party des Mikros, grölend vereint mit der Russenband vermittelt er nicht mehr den Eindruck des knallhart kalkulierenden Geschäftsmannes. Sommerhäuser im Kirschgarten vielleicht auch nur eine Illusion? Die Ranjewskaja beseitigt einstweilen artig die Reste der Party.

(Steffen Kühn)

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