Shakespeares falscher Bart: Michael Radfords uninspirierte Verfilmung des „Kaufmann von Venedig” (Sarie Teichfischer)

Der Kaufmann von Venedig
(The Merchant Of Venice)
Großbritannien/Italien/USA 2004, 131 Min.
Drehbuch und Regie: Michael Radford
Darsteller: Al Pacino, Jeremy Irons, Joseph Fiennes, Lynn Collins
Kinostart: 21. April 2005

Bilder: Sony Pictures
Wie ein unterbelichteter Hamster

Was haben eine Shakespeare-Verfilmung von Michael Radford und schlechte Weihnachtsmänner gemeinsam? Beiden fallen bei Gelegenheit die angeklebten Bärte ab. Der Kaufmann von Venedig ist einer von Shakespeares großen Bühnen-Klassikern. Verwunderlich, dass er in der Stummfilmzeit das letzte Mal für das Kino verfilmt wurde. Orson Welles plante seinerseits eine Adaption des Stoffes, ließ sie aber wieder fallen, weil die Herausforderung der Umsetzung zu gewaltig war. Nun holten sich die Produzenten Barry Navidi und Cary Brokaw für eine Neuauflage den Schotten Michael Radford (Der Postmann) an Bord und machten damit alles falsch.

Radford, geboren und aufgewachsen in Neu Delhi, wollte sich wohl große Bollywood-Gefühle abgucken, hat sich damit aber komplett in den Sand gesetzt. Im Kaufmann von Venedig verwechselt er Leichtigkeit mit oberflächlicher Belanglosigkeit, spritzige Dialoge mit aufgesagten Versen, Wortwitz mit Klamauk. Entlocken schlechte Witze in schlechten Filmen einem Teil des Publikums doch immer noch einen Lacher, so ersterben hier die letzten nach der Hälfte des Films und werden ersetzt durch verlegenes Rascheln mit der Chipstüte. Die Handlung zieht sich dahin so dickflüssig wie Lakritze: Venedig, 1596 – Der junge Aristokrat Bassanio ist durch seinen verschwenderischen Lebenswandel hoch verschuldet. Um das Herz seiner Angebeteten Portia zu erobern, benötigt er 3.000 Dukaten für die Mitgift. Der Kaufmann Antonio bietet seinem besten Freund Hilfe an und bürgt beim jüdischen Geldverleiher Shylock für einen Schuldschein. Die Brisanz: Zahlt er das Geld nicht pünktlich zurück, darf ihm Shylock – den Antonio zuvor als Juden beschimpft, bespuckt und verachtet hat – 500 Gramm Fleisch nahe des Herzens herausschneiden. Da der Kaufmann sehr wohlhabend ist, rechnet niemand damit, dass er das Geld nicht in drei Monaten zurückzahlen kann. Doch das Schicksal hat andere Pläne mit Antonio: Die meisten seiner Schiffe erreichen den heimatlichen Hafen nicht, aus drei Monaten werden ein paar mehr, und dem großen Finale mit Anwesenheit aller Beteiligten vor dem Gericht Venedigs steht nichts mehr im Wege.

Gäbe als Plot einiges her – doch nicht bei Radford. Man wähnt sich in einer schlechten Schultheatervorführung und möchte den Nebendarstellern die ganze Zeit zuschreiben, sie sollen doch bitte etwas beteiligtere Gesichter machen! Und könnte man doch wenigstens von opulentem Bildkino sprechen; nein – nicht einmal das ist es. Ist der Zuschauer doch dieser anhaltenden Angst ausgeliefert, es könnte dem Hauptdarsteller der Bart abfallen, die Pappkulisse im Hintergrund durch den Windzug wegwehen oder die „rothaarige Schönheit“ Portia aus Verlegenheit über ihre abgrundtief schlechte Leistung in ein beschämendes Kichern ausbrechen.

Generell gibt die Besetzung dem Film den Gnadenstoß: Lynn Collins als Portia schaut – wie bereits erwähnt – so dümmlich drein, als habe man sie gerade daran gehindert, ihren Samstagabend in der Dorfdisco zu verbringen. Jeremy Irons als Kaufmann Antonio leidet – bar jeder Facetten – ohne Unterlass, was seinem ausgehungerten Gesicht ausgenommen gut steht. Al Pacino in der Rolle des Juden Shylock bemüht sich redlich, dem Drama – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Rest von Glaubwürdigkeit zu erhalten. Den Höhepunkt verpasster Schauspielkunst bildet aber Joseph Fiennes, der seit Elizabeth zum Stamm-Cast jeglicher Kostümfilme zu gehören scheint. Fand man ihn in Shakespeare in Love noch niedlich, macht er in diesem Film aggressiv. Dass er zuweilen aussieht wie ein unterbelichteter Hamster – und das in der Rolle des Schönlings der Geschichte, des jungen Aristokraten Bassanio – wäre noch zu verzeihen, könnte er doch mehr als eine Gefühlslage spielen – oder sollte man es besser Gefühlsleere nennen?

Auch den sonst so Hollywood-verliebten Amerikanern schien was zu fehlen bei Radford: Trotz prominenter Besetzung spielte die 30-Millionen-Dollar-Produktion nur weniger als 5 Millionen wieder ein. Fazit: Selten so gelangweilt. Und: Das hat Shakespeare nicht verdient! Der Fan grämt sich und rennt geradewegs ins nächste Laientheater, um sich die Freude am Dramatiker zurückzuholen. (Sarie Teichfischer)

Der Film läuft unter anderem in den Passage Kinos.

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.