Aber hier leben, nein danke?

Die vierte Leipziger Musikmesse „Pop-Up” diskutiert über das Deutsche in der Musik

Mal wieder total abseitig und deswegen gut: die Leipziger Musikmesse (POP UP

„Nicht zur (POP UP? Kopp ab!“ hieß es im Vorfeld schon zu jeder Gelegenheit, und das diesen Spruch meistens begleitende Augenzwinkern war nicht unbedingt ernst zu nehmen. Also sind – natürlich zu Recht – wieder viele hingekommen zur Independent-Musikmesse, die dieses Jahr zum vierten Mal stattfand im Leipziger Werk II und diversen Clubs in ganz Leipzig. Samstag war traditionell Messetag, über hundert Labels stellten aus, und von Donnerstag bis Sonntag gab’s Konzerte, zum Beispiel von JaKönigJa, Die Tante Renate, Die Türen und The Robocop Kraus. Unter von der Decke hängenden Postern mit gewohnt popkulturell-ironischen Texten wie „SEX IST ACHTZIGER“ oder „DAS IST NICHT MEIN PROBLEM“ spazierten im Werk II Hunderte struppiger Jungs und fransiger Mädels von Stand zu Stand, sammelten Buttons, Infos und CDs und versicherten sich der Tatsache, dass Indieland noch lange nicht abgebrannt ist. In der Halle 5 gab’s dazu noch Bandauftritte, bei denen man sich vom Labelmarathon erholen konnte. Exemplarisch sei hier die wunderbare Performance von Katze erwähnt. „Ich Katze – du Hund“ hieß die Einstiegsnummer der Band um Klaus Cornfield, dessen „Foufou und HaHa“-Comics schon legendär sind. Verschwurbelte Texte („In dem Brief, den du mir gabst, steht nur Scheiß. Wenn du mich wirklich magst, sag’s doch gleich“, heißt es in „Der Brief“) treffen auf exotische Pop-Klänge, von Minki Warhol durch seltene Instrumente und melodiöses Schreien erst richtig seltsam gemacht. Wie Katze selbst verkünden: „Die Songs von Katze sind launisch wie ihre Namensgeber. Sie liegen kurz auf der Lauer, um dann wie von der Nadel gestochen aufzuspringen und eine Kralle in dein Nagelbett zu jagen. Das ist nicht immer nett, klingt aber so.“ Kann man nur zustimmen. Spektakuläre Gitarrensoli, Speedpop, durch die Gegend fliegende Brillen und nette Zwischenmoderationen gab’s auch, und wenn im Juli das bezeichnender Weise „…von hinten“ betitelte Album erscheint, dürften Katze-Liebhaber voll auf ihre Kosten kommen.

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18:30 Uhr, Conne Island: Forum „I can’t relax in Deutschland“. Bald gibt es einen neuen Sampler, herausgebracht von einer Initiative namens „I can’t relax in Deutschland“ (beteiligt sind unter anderem das Label Unterm Durchschnitt, das Leipziger Conne Island sowie das Beatpunk Webzine). Der Sampler erscheint zwar erst im Spätsommer 2005, aber anlässlich der (POP UP gab es am Samstag schon mal eine sogenannte Pre-Releaseveranstaltung zum Thema. Im Rahmen einer Art Podiumsdiskussion sollte das Anliegen der Initiative vorgestellt werden, und wer dabei war, hätte sich eigentlich erschrecken müssen ob des schauerlichen Konsens‘, der dort herrschte – die meisten aber applaudierten. Zusammen mit der CD, auf der, wie der Name schon vermuten lässt, „Kontraststimmen zur momentanen deutschnationalen Selbstfindung“ (Veranstalter) gebündelt werden sollen, wird ein kleines Büchlein veröffentlicht, in dem Sätze stehen wie: „Erst wenn jener traditionsreiche Allmachtstraum ausgeträumt, Deutschland abgeschafft und seine notwendige Bedingung, das Kapitalverhältnis, auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt ist, wird die Menschheit in einen wahrhaft relaxten Zustand eintreten können.“ und in dem die Verfolgung von „Arbeitsunwilligen“ mit dem Schicksal der Juden verglichen wird. Allzu einfach wäre es, sich darüber lustig zu machen, zumal einem ohnehin das Lachen im Halse steckenblieb bei der als „Diskussion“ getarnten Promoveranstaltung, deren wesentlichstes Merkmal es war, dass alle auf dem Podium die gleiche Meinung vertraten. Martin Büsser (Journalist und Autor), Elena Lange (Stella), Uli Rothfuss (icrid) und ein Vertreter des Conne Islands saßen dort; letzterer begann seine Anmoderation mit einem mehrminütigen Werk-II-Bashing, da das Werk II der Band Mia. zu einem Auftritt verholfen hatte – dazu muss man wissen, dass sich der Hass der Initiative „I can’t relax in Deutschland“ zu großen Teilen auf Mia. fokussiert, denn: „Die Pop-Dissidenz endet eben doch bei einem frechen Haarschnitt.“

Warum sie in Deutschland einfach nicht relaxen können und wollen, erklärten die Initiatoren ausführlich, nicht ohne mehrfach zu betonen, dass sie keine verkrampften, humorlosen Typen seien. „Okay, Rot-Grün steht ja nicht unbedingt direkt für Faschisten“, wurde da festgestellt, und für diese Erkenntnis sollte man womöglich schon dankbar sein. „Wir sind auch ganz froh, dass Mia. heute nicht hier ist“, verkündete man auf die schüchterne Frage eines Zuschauers, warum denn keine kritischen Gesprächspartner eingeladen worden seien, „die Argumente der anderen Seite kennt man ja eh.“ Applaus von großen Teilen des Auditoriums. Überhaupt seien ja die Vaterlands- und Heimatfreunde in den Medien ständig präsent (klar, 95 Prozent der Journalisten und Intellektuellen sind ja auch Rechte, das ist allgemein bekannt), man selbst verschaffe sich jetzt eben mit dem Sampler Gehör. Darauf sind durchaus bekannte Bands wie Tocotronic (die kürzlich auf einem Festival mit dem Motto „Deutschland, Du Opfer – Gegen Geschichtsrevisionismus, Opfermythen und Kapitalismus“ spielten), Die Sterne, Die Goldenen Zitronen und Superpunk versammelt, die offenbar die Überzeugung der „I can’t relax in Deutschland“-Initiative teilen. Während der Diskussion kam einem allerdings der Verdacht, dass die Radikalantinationalen mit ihrer Selbstgefälligkeit, Humorlosigkeit und Intoleranz zum einem den Erfolg von Langweilern wie Joachim Witt und der ganzen Deutschquotenclique noch fördern, indem sie derartig hetzen, dass man selbst bei eigentlicher Sympathie für die unpatriotische Popmusik den Sampler nicht kaufen würde, sich andererseits aber der gleichen Polemik und Kampfrhetorik bedienen wie ihre Gegenspieler. Dass es eventuell einen Teil der Menschheit gibt, der selbst bestimmen kann und will, wann er sich in einem „relaxten Zustand“ befindet, schien bei dieser Veranstaltung den wenigsten klar zu sein. Auch die Publikumsfragen waren wenig kontrovers: Merkte der eine an, dass ihm die Kritik an der Nation noch nicht weit genug gehe (konstruktive Vorschläge wurden an dieser Stelle wie überhaupt während des ganzen Abends ausgespart), stellte ein anderer sich als „Josef, ich sehe mich eher als Weltbewohner als als Deutschen“ vor und äußerte sich zu seiner allgemein eher gleichgültigen Haltung. Und auf die Frage, ob es denn für sie ein Problem sei, dass Bands vom gleichen Label wie sie (Lado) den Song für die deutsche Handball-Nationalmannschaft beisteuerten, meinte Elena Lange nur, dass es Diskussionen gegeben habe und sie ihrem Unverständnis Ausdruck verliehen habe, „das natürlich“, aber solle man denn deswegen etwa das Label wechseln?

Eine Veranstaltung, die leider weit hinter den Erwartungen (der nicht Linksradikalen im Publikum) und hinter ihren Möglichkeiten zurückblieb und über in Vorträgen ausgewalzte Parolen wie „Deutschland, halt’s Maul“ und „Nie wieder Deutschland“ nicht hinausging. Für die ohnehin schon bestehende Zielgruppe vielleicht genug; destruktiv sein, jammern und jede andere Meinung als die eigene als gemeingefährlich darstellen ist allerdings kein Kunststück. Was wirklich wichtig gewesen wäre, nämlich ein Konzept zu präsentieren, mit dem gegen die zweifellos bestehenden und ebenso zweifellos zu kritisierenden Deutschtümeleien im Pop vorzugehen wäre, wurde nicht einmal versucht.

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Conne Island, 22:00 Uhr: Konzert „I can’t relax in Deutschland“ mit Räuberhöhle, Von Spar und The Robocop Kraus. Passend zum Sampler nun auch noch ein Konzert mit drei der darauf vertretenen Bands und „nichtstolzer Musik“ (Veranstalter) – musste das sein? Ja, denn an der Musik war und ist nichts auszusetzen. Wenn man gelesene Interviews ausblendete („[…] da kann ich nicht oft genug erwähnen, dass ich Deutschland hasse“, so die unter dem Namen Räuberhöhle auftretende Krawalla), schienen die Bands einen schönen Abend zu garantieren. Den Anfang machte Räuberhöhle aus Berlin mit einer Art psychedelischem Kasperle-Electroclash: Auf der Bühne ein Puppentheater, Mädchen und Bär treten auf, Bär erklärt Mädchen, wie man Popstar wird. Dann Krawalla im Trashprinzessinkostüm (inklusive Goldpaillettenumhang), mit heller Stimme ein bisschen an Aqua („Barbie Girl“) erinnernd, nur eben in gut. Lametta, Konfetti, Partyhüte, Luftballons und Tröten ergänzten, ins Publikum geworfen, den spaßigen Auftritt (englische Texte übrigens), der leider schon nach knapp einer Stunde zu Ende war.
Was folgte, war hingegen enttäuschend. Von Spar aus Köln erschienen an diesem Abend als eine Art Indie-Scooter mit durchweg völlig unverständlich herausgebrüllten Texten, die, wenn man sie denn verstanden hätte, sicher zur Qualitätssteigerung der Musik hätten beitragen können. So aber blieb: Ein entfesselter Sänger, der ständig mit der Faust in der Luft herumfuchtelte; Lieder, die bis auf zwei, drei Klassiker kaum voneinander unterscheidbar waren; ein pumpender Beat sowie ein zugegebenermaßen sehr guter Schlagzeuger.
Den definitiv krönenden Abschluss bildeten The Robocop Kraus aus Nürnberg. Deren einfallsreiche, tanzbare, ein bisschen elektronische Rockmusik entschädigte für vieles und kostete die zahlreichen Gäste die letzten Kraftreserven; zudem waren The Robocop Kraus die einzige der drei auftretenden Bands, die sich sympathischer Weise eines politischen Kommentars auf der Bühne enthielten.

Anschließend ließ sich feststellen, dass sich der Besuch der (POP UP auch in diesem Jahr wieder gelohnt hat. Ein Blick auf den Erfolg des Eurovision Song Contests (und das diesjährige Abschneiden der deutschen Kandidatin DSDS-Gracia: letzter Platz) und ähnlich sinnlose Veranstaltungen zeigt, dass gute Popmusik aus (bitte jetzt wegschauen, Conne-Island-Crew) Deutschland dringend gebraucht wird – und somit auch die (POP UP. Nur noch ein Jahr warten, dann ist es wieder soweit!

LEIPZIG (POP UP

Messe, Forum, Musik

19. bis 22. Mai 2005, Werk II, Clubs

Bilder:
1. (POP UP-Logo
2. Messestand (© (POP UP)
3. Katze (© Billy & Hells)
4. Räuberhöhle (© Räuberhöhle)

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