Seelenlandschaft Ost: Marco Mittelstaedts Debütfilm „Jena Paradies” (Ulrike Carl)

Jena Paradies
Deutschland 2004, 83 Min.
Regie: Marco Mittelstaedt
Drehbuch: Karen Matting, Marco Mittelstaedt
Darsteller: Stefanie Stappenbeck, Luca de Michieli, Bruno F. Apitz, Gitta Schweighöfer
Kinostart: 12. Mai 2005

Bilder: ZauberlandSeelenlandschaft Ost

„Jena Paradies, das hat früher gar nicht zur Stadt gehört, ein gesetzloser Raum“ sagt Jeanette verträumt beim Blick über das städtische Lichtermeer. Jena und seine hügelige Umgebung mit den Kernbergen sei, so Karen Matting, Drehbuchautorin von Jena Paradies, die ideale „Spiegelung von Jeanettes Charakter“, Sinnbild der „Berg- und Talfahrt“ ihres Lebens zwischen den Pflichten einer alleinerziehenden Mutter, ihres Jobs bei Platzwart Harry und den eigenen Sehnsüchten.

Die junge beherzte Ostfrau schlägt sich auf ihrem Roller tapfer durch die weniger paradiesische Alltagswelt mit ihrem Sohn Louis (Luca de Michieli), der Sehnsucht nach seinen Großeltern hat und unbedingt zu deren bevorstehender Silberhochzeit fahren will. Seine Mutter ist von dieser Idee wenig begeistert, meidet sie doch schon seit einigen Jahren den Kontakt zu ihrer spießigen Familie.

Louis ist einsam, seinen einzigen Freund sieht er in dem Platzwart Harry (Bruno F. Apitz), Jeanettes Chef im Ernst-Abbe-Stadion, der allerdings mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist, von der Fußballmannschaft nur geduldet wird und sich von allen im Stich gelassen fühlt.

Nach einem desaströsen Familienfest bei Jeanettes Eltern betritt nun auch der neue Nachbar Philipp immer häufiger die Bildfläche. Und Jeanettes bisher ungeteilte Aufmerksamkeit für Louis gilt immer häufiger dem Neuling, der in ihr neue Hoffnung auf ein Liebes- und Familienglück weckt. Dieser ist seinerseits zwischen der eigenen Familie und der Faszination für die lebenslustige Jeanette hin- und hergerissen. Louis wird es zu viel, er zieht für ein paar Tage zu seinen Großeltern und Jeanette muss sich entscheiden…

Die Geschichte ist nun wahrlich nichts Neues unter der Sonne, aber dafür doch weitestgehend mitreißend und flüssig erzählt. Stefanie Stappenbeck, nebst Film- auch Theaterschauspielerin in Berlin und Hamburg, spielt sehr überzeugend die junge alleinerziehende Mutter Jeanette, die neben alltäglichen Pflichten ungestüm und fröhlich das Leben auch genießen will. Sowohl die gelegentliche Überforderung in der Mutterrolle als auch ihren Lebenshunger beziehungsweise die einsamen, traurigen Momente spielt sie differenziert und authentisch.
Auch Gitta Schweighöfers Spagat zwischen spießiger Mutter und liebevoller Oma ist gekonnt. Sehr erfrischend auch die Nebendarsteller der Fußballmannschaft.

Andere Charaktere wie der Maler Philipp (Hans-Jochen Wagner) sind dagegen blass. Als der Künstler im Leinenhemd mit Skizzenblatt wirkt er genauso klischeehaft wie seine elegante, kühle Ehefrau mit Cabriolet. Die Dialoge zwischen Jeanette und ihm schwammig, platt und phrasenhaft. Unaufgelöst ist auch der Vater-Tochter-Konflikt, der bei der Familienfeier im Treppenhaus angerissen wird. Durch diese Inkonsequenzen innerhalb der ansonsten schlicht und ehrlich erzählten zwischenmenschlichen Problematik wirken melodramatische Zuspitzungen wie Harrys Selbstmordversuch dann übertrieben und psychologisierend.

Doch alles in allem ist es ein vielversprechendes Debüt von Marco Mittelstaedt, Preisträger des Panorama-Kurzfilmpreises der Berlinale 1999. Nach zwei Kurzfilmen ist Jena Paradies sein erster Langspielfilm und gleichzeitig Abschluss seines Regiestudiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.

Sympathisch vor allem, dass Jena (und mal nicht Berlin) als Handlungsschauplatz entdeckt wurde, das hier in liebevollen und vielseitigen Einstellungen (Kamera: Judith Kaufmann) die Lebensräume, -höhen und -tiefen der Figuren wiederspiegelt. Schon allein deshalb ein sehenswerter kleiner Ausschnitt der Seelenlandschaft Ost. (Ulrike Carl)

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