„Die Perlenstickerinnen”, ein Film von Eléonore Faucher (Lina Dinkla)

Die Perlenstickerinnen
(Les Brodeuses)
Frankreich 2004, 88 min
Regie: Eléonore Faucher
Buch: Eléonore Faucher, Gaelle Macé
Kamera: Pierre Cottereau
Musik: Michael Galasso
Schnitt: Joelle van Effenterre
DarstellerInnen: Lola Naymark (Claire), Ariane Ascaride (Madame Mélikian), Marie Felix (Lucile), Thomas Laroppe (Guillaume)
Kinostart: 19. Mai 2005

Bilder: DelphiVon Perlen- und Lebensstickerinnen

Claire ist 17 Jahre alt, lebt in einem kleinen Ort in der ostfranzösischen Region Rhônes-Alpes und ist ungewollt schwanger. Sie sieht sich mit diesem Umstand ganz allein auf der Welt gelassen, erhält weder von ihren Eltern Unterstützung, noch hat sie wirklich enge Freundschaften, die ihr in diesem Moment Halt geben könnten. Das Familienleben ihrer einzigen Freundin Lucile ist einer der wenigen Orte, zu denen Claire flüchten mag und sie genießt es, hier als gleichberechtigtes Mitglied behandelt zu werden.

Das Mädchen mit den feuerroten Locken strotzt allerdings von einer solchen Ruppigkeit und ablehnenden Haltung, dass sie es denjenigen, die ihr helfen wollen, nicht einfach macht und ihnen wiederholt und nachdrücklich vor den Kopf stößt. So kann ihre Frauenärztin nur hilf- und ratlos reagieren, angesichts der scheinbaren Abgeklärtheit und des Pragmatismus, den Claire an den Tag legt.

Claires einzig wirkliches Interesse gilt der Perlenstickerei; geradezu meditierend versinkt sie in der Arbeit mit Stoffen, Pelz, Pailletten, Nadel und Faden. Die Kamera fährt immer wieder so nah an die Materialien, die für Claire das wichtigste auf Erden sind, heran, dass man meint, die Textur spüren, den Geruch der Seidenstoffe wahrnehmen zu können.

Diese Leidenschaft führt sie zu Madame Mélikian, die als Meisterin dieses Fachs Aufträge der großen Couturiers bearbeitet. Deren Leben hat sich ebenso abrupt und unerwartet verändert: Ihr Sohn kam bei einem Motorradunfall ums Leben und sie sieht sich nicht in der Lage, mit diesem Verlust weiterzuleben. Claire bekommt durch die Begegnung mit Madame Mélikian, die sich ebenso ruppig und unfreundlich gibt, einen Spiegel vorgehalten und nimmt die Chance wahr, sich zu öffnen und ihre Entscheidung, das Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben, noch einmal zu überdenken. Auch Madame Mélikian tut diese unerwartete Begegnung gut und durch die Aufgabe Claire zugleich Mutter, Großmutter und Freundin zu sein, schöpft sie neuen Lebensmut.

Der Kontrast zwischen denen im Film präsentierten Formen von Arbeit und der realen Situation der akuten Entfremdung in der Arbeitswelt könnte größer nicht sein. Zunächst ist da die grobe, dreckige Arbeit der Landwirtschaft auf der einen Seite. Mit harten Hieben werden Kohlköpfe geerntet, um diese heimlich gegen – für die Stickereien benötigten – Kaninchenfelle eintauschen. Im ersten Moment erscheint die feine, filigrane, Geschick und Geduld abverlangende Handarbeit des Stickens als Gegensatz zur Arbeit in der Erde. Auf den zweiten Blick drängt sich jedoch ein anderer Eindruck auf. Vielleicht ist es zu weit gedacht, ein Plädoyer gegen die neoliberale Dienstleistungsgesellschaft zu vermuten, doch lässt sich nicht leugnen, dass ein anachronistisch wehmütiger Blick in eine Zeit geworfen wird, in der die „guten alten Dinge“, geschaffen durch der Hände Arbeit, noch ihren Wert hatten – von Entfremdung keine Spur.

Und die Stickerei lässt sich auch als Sinnbild fürs Filmemachen verstehen. Es sei „eine Metapher des Kinos (…) wie eine Vision Realität wird, in ganz kleinen Schritten“ so Faucher in der SZ. Das ist eine besondere Haltung dem Kino und Filmemachen gegenüber. Neben dem auteur wird das Team als ebenso wichtig erachtet: Das Regieführen ist Handwerk und die Arbeit der Techniker kreativ. Sowie beim Sticken kleine Einzelteile zu einem großen Ganzen werden, ist es beim Film die Arbeit von vielen, die zum Ergebnis führt.

Ganz langsam und unaufgeregt, fast wie nebenbei erzählt Die Perlenstickerinnen von einer Freundschaft zwischen den Generationen. Dialoge stehen nicht im Zentrum, das Kommunizieren übernimmt in weiten Teilen die Beschäftigung mit der Stickerei, und so merkt man erst als sich der Kinosaal wieder erhellt, wie sehr und glücklich man beim Zuschauen in die Bilder dieser beruhigenden Tätigkeit versinken konnte.(Lina Dinkla)

Der Film läuft unter anderem in den Passage-Kinos Leipzig.

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