„Das Leben ist ein Wunder”, der neue Film von Emir Kusturica (Sarie Teichfischer)

Das Leben ist ein Wunder
Life Is A Miracle / Zivot Je Cudo
Frankreich / Serbien 2004, 154 Min.
Regie: Emir Kusturica
Drehbuch: Ranko Bozic, Emir Kusturica
Darsteller: Slavko Stimac, Natasa Solak, Vesna Trivalic, Vuk Kostic, Aleksandar Berek, Stribor Kusturica, Nikola Kojo, Mirjana Karanovic
Kinostart: 16. Juni 2005

Bilder: Concorde
…und manchmal ein Schachspiel

Liebeskranke Esel, hypnotisierende Katzen, Mütter, die kopfüber aus Fenstern hängen, Autos, die auf Gleisen fahren – wer sonst bringt solch ein Potpourri an Skurrilitäten auf die Leinwand, wenn nicht Emir Kusturica? So auch wieder in seinem neusten Film Das Leben ist ein Wunder. Eine abgefahrene Gestalt überbietet die andere, eine kuriose Geschichte gibt der nächsten die verrostete Klinke in die Hand.

Bosnien, 1992. Luka, serbischer Ingenieur aus Belgrad hat sich mit Frau und Sohn in einem Nest im Nirgendwo niedergelassen. Um genau zu sein, in einem Haus direkt an den Bahngleisen, welche die Veranda der Familie teilen. Luka wird die Eisenbahn bauen, die die Region in ein Touristenparadies verwandeln soll. Seine Frau Jadranka hat als passionierte Sängerin schwer zu kauen an ihrem unfreiwilligen Abschied von der Oper; Sohn Milos träumt von einer Fußballkarriere. Niemand achtet wirklich auf das anhaltende Rumoren des heraufziehenden Krieges. Als der Konflikt dann ausbricht, steht Lukas Leben plötzlich Kopf. Seine Frau brennt mit einem Musiker durch und Milos wird an die Front geschickt. Luka, optimistisch wie eh und je, wartet auf die Rückkehr von Frau und Sohn, doch stattdessen bekommt er andere Gesellschaft. Er soll in seinem Haus eine kroatische Geisel bewachen: die junge Muslimin Sabaha. Es kommt wie´s kommen muss: Die beiden verlieben sich. Doch Sabaha soll gegen einen serbischen Gefangenen ausgetauscht werden: Lukas Sohn Milos.

Entgegen des sonstigen teilweise höhepunktlosen Klamauks in Kusturicas Filmen, wird hier wirklich eine zusammenhängende Geschichte erzählt. Eine, die sich wiederum aus 100 kleinen Geschichten zusammensetzt. Die Musik des No Smoking Orchestra, in dem Kustiruca seit Ende der Achtziger als Bassist mitspielt, gibt dem Film den endgültigen Schliff und macht ihn zu einem Rock´n´Roll-Zirkus, wie man ihn von Kusturica erwartet: explosiv, skurril und farbenfroh. Auch in der Handlung spielt Musik eine große Rolle: Luka ist Klarinettist im Dorforchester, seine Frau Opernsängerin. Das Akkordeon ist omnipräsent, ob auf Milos´ Abschiedsfeier oder bei der Bärenhatz im Wald. Zwei Mitglieder des No Smoking Orchestra spielen übrigens selbst im Film mit.

So sehr man von diesem chaotischen Reigen gefesselt wird, darf man doch nicht vergessen, dass Kusturica von seinen Kritikern nach wie vor sehr kontrovers gesehen wird. Ihm wird vorgeworfen, mit seinen Filmen Kriegshandlungen zu entschuldigen und zu propagieren. Wer allerdings auf diese Idee kommt, kann wohl nicht von sich behaupten, mit einem Feingefühl für Untertöne ausgestattet zu sein. Müssen Filme, die in Kriegsgebieten spielen, immer bierernst und Betroffenheit heischend sein? Haben die Menschen keine Daseinsberechtigung, die sich eben nicht kampflos der Situation hingeben, sondern versuchen, ihr Leben weiterzuführen mit einem Mindestmaß an Tagesordnung, Relevanz, ja Freude? Und sind nicht gerade Freude und Hoffnung das, was Menschen am Aufgeben hindert? Manchmal ist ein Schachspiel einziger Anker und Lebenssinn, und wenn es das letzte sein sollte!

Als der Terror begann in Bosnien, lebte Kusturica gerade in Paris. Zum Ausbruch der Kämpfe kam er wieder zurück in sein Land. Geboren in Sarajevo, hat er die meiste Zeit in Bosnien verbracht, lebt jetzt aber in einem kleinen serbischen Dorf. Natürlich hat auch und gerade er versucht, dem Krieg die Stirn zu bieten: Kusturica soll den ultranationalistischen serbischen Politiker und paramilitärischen Führer Vojislav Seselj zum Duell in Belgrad aufgefordert haben. Der lehnte jedoch ab, mit der Aussage, nicht für den Tod eines naiven Künstlers verantwortlich sein zu wollen….

Kusturica bleibt das Filmemachen, und das ist ihm mit Das Leben ist ein Wunder besonders gelungen. Ein hinreißender Streifen für Menschen, die sich mit Wildheit, Starrsinn und unbändiger Lebensfreude identifizieren können. Die sich an großartiger Musik, ungezähmten Landschaften und Menschen und wunderlichen Begebenheiten erfreuen können. Alle anderen haben ihn sowieso nicht verdient. (Sarie Teichfischer)

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