Douglas J. Cohen: „No Way to treat a Lady“
Abschlussproduktion der Musical-Absolventen der Hochschule für Musik und Theater
Schauspiel Leipzig, Neue Szene
24. Juni 2005
Inszenierung: Jana Bauke, Matthias Huber
Bühne und Kostüme:Thomas Weinhold
Musikalische Leitung:Ekkehard Meister
Choreographie: Erik Rentmeister
Morris Brummel:Udo Eickelmann
Christopher „Kit“ Gill:Manuel Jadue
Sarah Stone: Kristina Otten
Mütter und Opfer:Maike Schmidt
„No way to treat a Lady“ – Ödipale Komplexe im Musical aufbereitet
Christopher „Kit“ Gill ist talent- und arbeitsloser Schauspieler, steht stets im Schatten seiner verstorbenen Mutter, der vor allem vom eigenen Sohn zur Broadwaydiva stilisierten und diesen nach wie vor demütigenden Alexandra Gill. Aus diesem Grund befördert er reife Frauen ins Jenseits, um als „Würger von New York“ recht schnell an fragwürdiger Popularität zu gewinnen: Keine Art und Weise, eine Dame zu behandeln.
Morris Brummel ist Detective bei der New Yorker Polizei, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen beamtet, bewohnt als Mittdreißiger noch immer ein Zimmer im (über)mütterlichen Haushalt, und erweist sich – getrieben vom Ehrgeiz, den Würger zu stellen – mitunter blind gegenüber den Reizen der jungen Sarah Stone: Ebenfalls keine Art und Weise, eine Dame zu behandeln.
Beide verbindet der große Wunsch, einmal auf der Titelseite der „New York Times“ zu stehen, um auf diesem Wege endlich die Anerkennung zu erhalten, die ihnen von ihren dominanten Müttern bisher verweigert worden ist.
Dass Neurosen im Allgemeinen und ein nicht verarbeiteter Ödipus-Komplex im Besonderen auch komödientauglich sind, ist seit Woody Allen oder Loriots „Ödipussi“ kein Geheimnis mehr, in Douglas J. Cohens Musical „No way to treat a Lady“ werden allerdings zwei höchst verschiedene Versuche, sich dieses Komplexes zu entledigen, in einer boulevardesk-ironischen Kriminalkomödie verbunden. Freud lässt also in der diesjährigen Abschlussproduktion der Musical-Absolventen der Hochschule für Musik und Theater, die am 24. Juni in der Neuen Szene ihre Premiere erlebt hat, mehrfach grüßen.
Cohens Kompositionen, routiniert gespielt von der fünfköpfigen Band um den musikalischen Leiter Ekkehard Meister, zitieren Elemente des zeitgenössischen Pop- und Funk-Jazz, sind aber vor allem im ersten Akt eher unauffällig. Dass die Sänger trotz Mikroport mitunter von der Band überdeckt werden und die Textverständlichkeit arg leidet, dürfte vor allem ein Problem der Technik sein und ist nach der Pause weitestgehend behoben. Ärgerlich nur, dass man auch in der zweiten Vorstellung die Aussteuerung des Tons noch nicht im Griff hat.
Im zweiten, weitaus kürzeren Teil des Abends erhalten die musikalischen Nummern allerdings mehr Profil und Eigendynamik, weisen darüber hinaus auch die zuvor etwas faden Lied- und Dialogtexte einen größeren parodistischen Witz auf, was dem Tempo der Inszenierung ebenso wie der Bühnenpräsenz der vier Akteure zugute kommt.
Thomas Weinholds Bühnenraum, bestehend aus Kits Penthouse samt einem darunter gelegenen Raum für verschiedene Handlungsorte, einer Morris‘ Büro stilisierenden Telefonsäule am linken und einer gemäß den Gesetzen des Boulevards stark beanspruchten Tür am rechten Rand, erweist sich für den teils simultanen Ablauf der beiden Handlungsstränge als sehr praktikabel und vermeidet Umbaupausen zwischen den einzelnen Szenen. Den beiden Regisseuren Jana Bauke und Matthias Huber ist in ihrer auf das Genre „Musical“ bisweilen ironisch Bezug nehmenden Inszenierung von „No way to treat a Lady“ vor allem an der Spielfreudigkeit des Ensembles gelegen, sodass neben plausibel erarbeiteten, mit witzigen Details gespickten Rollenportraits ein nahezu perfektes Timing und der weitestgehende Verzicht auf eine illustrative Illusion zu Gunsten des Spiels ins Auge fallen. Unterstützt wird die Inszenierung hierbei von Eric Rentmeisters mitunter parodistischen Choreographien zu den einzelnen musikalischen Nummern, von denen besonders die witzig umgesetzte Zeitungslektüre nach der Pause dem Publikum in Erinnerung bleibt.
Entscheidend an dieser Produktion ist allerdings, dass sie den vier jungen Musicaldarstellern genügend Raum bietet, um ihr Können unter Beweis zu stellen.
Kristina Otten legt ihre Sarah Stone zwischen naivem Girlie und lasziv-selbstbewusster, Eigeninitiative beweisender Frau an. Nur schade, dass es ihr die Partie der Sarah erst am Ende des Stücks ermöglicht, ihre Stimme auch in lyrischer Höhe zu entfalten.
In den Rollen der Mütter und der Opfer überzeugt Maike Schmidt mit vollem Körpereinsatz und kräftiger Stimme in einem breiten Spektrum zwischen nervtötender, jegliche Individualität ihres Sohnes eindämmender Übermutter, frustrierter Hausfrau, lüsterner Witwe und abgewrackter Gossendiva, treffsicher unterstützt durch ihr jeweiliges Kostüm.
Als Detective Morris Brummel vollzieht Udo Eickelmann eine Entwicklung vom gehemmten, sich an der Grenze des Nervenzusammenbruchs bewegenden Muttersöhnchen hin zum begehrten Helden, dem es allerdings auch im intimen Bereich sehr schwer fällt, den Polizeibeamten einmal abzustreifen. Richtig befreien von seinem Komplex kann sich Morris allerdings erst durch den finalen Schuss, mit dem er Sarah aus den Armen Kits rettet. Parallel zu der Entwicklung seiner Bühnenfigur gewinnt auch Eickelmann im Verlauf des Abends zunehmend an Souveränität, wird seine anfangs mitunter schwer verständliche Artikulation präziser und seine Stimme kraftvoller, sodass er im zweiten Teil des Abends eine rundum überzeugende Leistung abgibt.
Manuel Jadue gelingt es mit kräftiger Stimme und spielerischer Wandelbarkeit, seinen Kit zwischen extremer Selbstüberschätzung und devoter Verehrung der toten Mutter anzulegen. Die verschiedenen Rollen zwischen schmierigem Pater, Latinlover-Tanzlehrer und verklemmtem Fräulein, in die Kit anlässlich seiner auch als Ersatzbefriedigung dienenden Mordtaten schlüpft, spielt er lustvoll aus und zeigt die „rampensäuische“ Veranlagung seiner Bühnenfigur auf. Dass dieser Charakter sich letztendlich erst im Tod von seinem Ödipus-Komplex lösen kann, ist konsequent.
Eben dieses Finale bedarf einer gesonderten Erwähnung: Dem sterbenden Kit erscheint seine zuvor nur auditiv präsente Mutter – gemäß seines eigenen Bildes von ihr – nun leibhaftig als Engel und erweist ihm endlich die Anerkennung, die sie ihm zu beider Lebzeiten stets verweigert hat. Sarah und Morris besingen in einem Duett mit dem richtigen Maß an Schmelz ihr persönliches Happy End, das aber noch durch das stimmlich sehr homogene Quartett „So weit, so gut“ übertroffen wird: Zu Sarah und Morris treffen Kit und Alexandra Gill, nun beide zum Engel geworden. Die Stiege zu Christophers Loft wird flugs als Showtreppe zweckentfremdet, auf der die vier Protagonisten der Revue eine herrlich ironische Referenz erweisen.
So weit, so gut: Das sehr durchwachsene Publikum entlohnt nach zwei kurzweiligen Stunden die vier jungen Darsteller samt fünfköpfiger Band mit lang anhaltendem, freundlichem Applaus für eine Aufführung fernab des kommerzialisierten Musicals.
(Ingo Rekatzky)
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