„Telefonopern” von Menotti und Poulenc vor kleinem Leipziger Publikum (Ingo Rekatzky)

Telefonopern im Kellertheater – Menottis „Das Telefon oder Die Liebe zu dritt“ und Poulencs „Die Menschliche Stimme“ in der Reihe „Oper am Klavier“

„Das Telefon oder Die Liebe zu dritt“
Lucy: Ainhoa Garmendia
Ben: Jürgen Kurth

„Die menschliche Stimme“
Die Frau: Hendrikje Wangemann


Inszenierung: Gundula Nowak
Klavier: Stefan Knoth

30. Juni 2005

Während das Stammrepertoire der Leipziger Oper überwiegend die Erwartungen des Publikums erfüllt, werden in der von Regieassistentin Gundula Nowak initiierten und nur mit geringem Budget bestrittenen Reihe „Oper am Klavier“ vor allem jene Werke präsentiert, die heute nur selten auf den Spielplänen der großen Häuser zu finden sind. Am 30. Juni 2005 wartete man hingegen gleich mit zwei Raritäten auf, nämlich Gian Carlo Menottis „Das Telefon oder Die Liebe zu dritt“ und Francis Poulencs „Die menschliche Stimme“, für die das Kellertheater als intimer Aufführungsort nahezu prädestiniert scheint. Die beiden nicht abendfüllenden und stilistisch eher konträren Kompositionen verbindet dramaturgisch als roter Faden die nur über das Medium Telefon stattfindende Kommunikation.

In Gian Carlo Menottis 1947 uraufgeführter Opera buffa „Das Telefon oder Die Liebe zu dritt“ will Ben seiner Freundin Lucy unmittelbar vor einer Geschäftsreise einen Heiratsantrag machen, wird aber ständig durch das klingelnde Telefon unterbrochen, weshalb er sich genötigt sieht, eben diesen Antrag selbst über das Telefon zu stellen. Menotti, stets sein eigener Librettist, parodiert also die Gestörtheit moderner Kommunikation, indem er Ben und Lucys Liebe nur über das Medium „Telefon“ stattfinden lässt. Knapp 60 Jahre später läuft die Kommunikation per Handy, SMS sei dank, nahezu nonverbal ab, weshalb Gundula Nowak in ihrer Inszenierung des etwas antiquierten Stoffes auf eine äußere Aktualisierung gesetzt hat. Durch wenige Requisiten wird gehobene Spießigkeit stilisiert, auf dem gläsernen Couchtisch liegen adäquate Periodika für die zeitgenössische, gesellschaftlich interessierte Hausfrau bereit und Menottis Komposition wird mitunter um den Walkürenritt bereichert, selbstredend dargeboten von Lucys Handy.
Entsprechend aktualisiert sind auch die beiden Protagonisten und ihr Verhältnis zueinander: Jürgen Kurth gibt Ben als reiferen Geschäftsmann, der durch die jugendliche, mitunter selbst für den Zuschauer sehr anstrengende Überschwänglichkeit seiner Geliebten und das unentwegt klingelnde Telefon, dessen Kabel er beinahe zerschneidet, gleichermaßen an den Rand des Wahnsinns getrieben wird. Stimmlich zeigt sich Kurth mit kräftigem, gut intoniertem und sehr textverständlichem Bariton von seiner besten Seite.
Als schwatzhafte junge Frau, deren Tagesablauf durch das Medium Telefon maßgeblich strukturiert wird, muss Ainhoa Garmendia recht überdreht agieren, überrascht aber auch mit einigen Pointen, welche die wahrlich nicht tiefgründige Bühnenfigur der Lucy trefflich charakterisieren. Zu Beginn im Verhältnis zur Intimität des Kellertheaters ein wenig stark tremolierend, bringt sie mit virtuos-scherzoartigen Koloraturen gekonnt Lucys Lachen zum Ausdruck und gelingt ihr mit warmem Timbre vortrefflich eine balladenartige Arie, in der sie sich – selbstredend telefonisch – vor ihrer Busenfreundin Pamela über den vermeintlich rüpelhaften Anruf eines gemeinsamen Bekannten beklagt. Zum musikalischen und parodistischen Höhepunkt gerät allerdings der abschließende Walzer, in welchem Ben telefonisch seinen Heiratsantrag vermittelt und Lucy ihm für die Zeit der Dienstreise vorsichtshalber ihre – den lokalen Verhältnissen der Aufführung angepasste – Nummer durchgibt.

Bei alledem kann weder das Spiel der Protagonisten noch Gundula Nowaks gut zwanzigminütige Inszenierung darüber hinwegtäuschen, dass der Stoff ein wenig Patina angesetzt hat, zumindest die deutschen Gesangstexte eher banal wirken und auch die Musik nicht sonderlich tief greift. Menottis Kompositionen, die bekanntlich in der Tradition Puccinis stehen und nicht als sonderlich innovativ gelten, entfalten ihren Reiz vor allem durch die Klangfarben des Orchesters, sodass der engagiert und pointiert spielende Stefan Knoth am Flügel leider nicht all zu viel ausrichten kann. Folglich ist es konsequent, Menottis Konversationsstück, welches er ursprünglich als heiteres Nachspiel für seine Oper „Das Medium“ komponiert hat, der Aufführung von Poulencs Einakter als amüsanten Auftakt voranzustellen.

Das Libretto zu Francis Poulencs 1959 uraufgeführter lyrischen Tragödie „Die menschliche Stimme“ basiert ohne Striche auf Jean Cocteaus gleichnamigem Schauspiel von 1930, in dem eine junge Frau sehnsüchtig auf einen Anruf ihres einstigen Geliebten wartet, der sie nach fünf Jahren wegen einer Anderen verlassen hat. Während des mehrfach unterbrochenen Telefonats lässt sie die gemeinsame Beziehung Revue passieren und entspannt einen Dualismus aus gespielter Stärke im Gespräch mit ihm einerseits und Selbstgeständnis der eigenen emotionalen Leere und psychischen Zerrüttung andererseits, wobei sie sich innerhalb der 40 Minuten nur langsam öffnet und dem einstigen, aber dennoch nur mit „Chéri“ angesprochenen Geliebten erst gegen Ende der Unterredung ihren fehlgeschlagenen Suizidversuch offenbart.
Bedingt durch die räumliche Nähe und die offene Bühne des Kellertheaters wird dem Zuschauer in Gundula Nowaks szenischer Einrichtung das Geschehen unmittelbar präsentiert, sodass eine nahezu voyeuristische Intimität zu der Verlassenen entsteht, die trotz aller emotionaler Nähe nur anonym als „Die Frau“ in der Partitur angegeben wird.
Dem Titel entsprechend wird in Poulencs lyrischer Tragödie auf eine äußere Handlung nahezu verzichtet und die innere Entwicklung der Verlassenen vor allem über ihre menschliche Stimme zum Ausdruck gebracht. Folglich lebt diese Monooper von der Frau, in deren Rolle sich Hendrikje Wangemann als Idealbesetzung in darstellerischer und stimmlicher Hinsicht erweist. Zu Beginn bewegt sie sich ähnlich Rilkes Panther ziellos in dem nach hinten durch Gitterstäbe begrenzten, halbrunden Bühnenraum und zeigt aus dieser Anfangssituation im Verlauf der gut vierzigminütigen Kammeroper einen beständigen Wandel der Emotionen, der durch eine stimmige Lichtregie unterstützt wird: Aufblühend, wenn das Telefon läutet, im grünen Ohrensessel Geborgenheit suchend, die der einstige Geliebte ihr im Gespräch verweigert, eine elegische Haltung einnehmend, während sie an das verlorene Glück zurückdenkt. Hendrikje Wangemann gestaltet bis ins kleinste Detail glaubwürdig und mit immensem Körperbewusstsein die gebrochene Frau, die sich in den letzten fünf Jahren nur über die Beziehung zu ihrem Geliebten definiert hat und nun die Schuld für das Scheitern der Beziehung in ihrem eigenen Alterungsprozess sucht. Erstaunlich ist hierbei, wie sie die größte psychische Verletztheit parallel zu einem Kraft und Stärke suggerierenden stimmlichen Ausdruck am Telefon verkörpert.
Unterstützt durch die im Verhältnis zum ersten Stück sehr viel stärker eigenes Profil zeigende Klavierbegleitung gestaltet Hendrikje Wangemann, immer die räumliche Situation im Blick behaltend, ihren anspruchsvollen Gesangspart souverän zwischen expressiver Kraft, zart-lyrischer Melancholie und verhaltenem, gut prononciertem Sprechgesang. Ein glanzvoller Höhepunkt ist hierbei, wie sie nach einem stimmlich in höchsten Tönen symbolisierten Wahnsinnsausbruch ein wenig sarkastisch, aber dennoch ruhig dem einstigen Geliebten von ihrem Suizidversuch berichtet.
Letztendlich muss die Frau allerdings erkennen, dass es sich um eine endgültige Trennung handelt, weshalb sie sich von ihrem „Chéri“ mit den Worten „Du bist lieb“ verabschiedet. Hendrikje Wangemann geht in diesem abschließenden Rezitativ nahezu vollständig in ihre Sprechstimme über und verlässt die ihr zum inneren Gefängnis gewordene Welt zwar zerrüttet, aber trotzdem entschlossen dem durch gleißendes Licht symbolisierten Ungewissen entgegengehend.

Die leider nur rund 25 Zuschauer, darunter der Intendant und der designierte Generalmusikdirektor der Leipziger Oper, entlohnen Hendrikje Wangemann für ihre ganzheitliche Leistung mit kräftigem, lang anhaltendem Applaus.

Das Programm für die kommende Kellertheatersaison soll im September veröffentlicht werden. Bleibt zu hoffen, dass durch die Aufführung von Kammeropern weiterhin eine sinnvolle Ergänzung des Spielplans geboten und die Reihe „Oper am Klavier“ durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit stärker ins Bewusstsein der Zuschauer getragen wird.


(Ingo Rekatzky)

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